Inhalt
Die 10jährige Toni vermisst ihre Mutter, die vor Kurzem verstorben ist. Der Vater ist selbst in Trauer und für Toni keine Hilfe. Dafür gibt es die Freundin YumYum, die mit ihr in der Nacht zeltet, um Funkkontakt mit der verstorbenen Mutter aufzunehmen. Statt der Mutter meldet sich jedoch die Astronautin Zanna und zwischen den Mädchen und der Frau entsteht ein Gespräch über das Leben und den Tod. Am Ende merkt Toni, dass sie nicht alleine trauert. Auf diese Weise kann sie ein bisschen weiter in eine neue Normalität nach dem Verlust hineintreten.
Kritik
Zwei Freundinnen, die gemeinsam im Garten zelten und dabei Funkkontakt zur verstorbenen Mutter der Ich-Erzählerin aufnehmen. Ein wirklich schöner Plot, der dem Dauermotiv Trauer in der Kinder- und Jugendliteratur eine interessante neue Form gibt. Über die Unterhaltung mit einer Astronautin, in deren Frequenz die beiden Mädchen geraten, findet eine Entwicklung der Figur statt, die emotional anzunehmen lernt, dass auch andere um ihre Mutter trauern. Soweit könnte das ein gutes Buch über Trauer und Tod und Freundschaft werden.
Abwechselnde Sprachmodi (Leseansprache, innere Monologe, rasche Dialoge) verweisen auf ein interessantes, mehrperspektivisches Kinderbuch und schließen an die ursprüngliche Konzeption als Theaterstück an. An dieser Koppelung entsteht jedoch leider auch der Schwachpunkt des Buches, da die allzu direkte Überführung von Theater in den Buchtext unberücksichtigt lässt, dass Kinderbücher anders funktionieren als Kindertheaterstücke.
Da sind die ausführlichen Szenen, in denen beschrieben wird, wie die beiden Kinder sich in einen herrlichen Überfluss an Snacks begeben. Sie haben eher dramatischen Belustigungserfolg, als dass sie für einen Kinderroman relevant sind, denn hier verlieren sie ihre Bedeutung und finden keinen Anschluss an die Geschichte. Auch die raschen Dialoge über lohnenswertes Wissen zwischen Weltall und Erde sind als Theaterinszenierung lustig vorstellbar, im Buch bleiben sie in ihrer Menge fragwürdig ob ihrer Bedeutung. Stattdessen erinnert das Ping-Pong der Fragespiele zwischen Freundinnen und Astronautin an Wissensformate im Fernsehen, in denen Kindern Pseudofragen vorgestellt werden, die dann von Erwachsenen beantwortet werden. Liegt hier ein Konzept zugrunde, dass in ein Kinderbuch unbedingt noch etwas Wissen hineinmüsse, aber bitte cool formuliert? Die direkte Überführung von dramatischen Mitteln in das Buch lässt einen solchen Beigeschmack zu. Ähnliches stellt sich angesichts der enorm hohen Anzahl an Anglizismen ein, die – statt sie als Jugendsprache wirken zu lassen – allesamt noch mal phonetisch in Klammern erklärt werden. Durch die Erklärung verlieren sie aber ihren Gebrauch als selbstverständliche Jugendsprache und erlangen den Grad einer Belehrung bzw. Wissensvermittlung. Hinter solchen Effekten leuchtet (sicher ungewollt) ein Kinderbild hervor, das erwachsenenzentriert ist und einem romantischen Kindheitsbild entspricht.
Dort, wo die dramatischen Effekte weggelassen werden, wenn sich den internen Fokalisierungen der Kinderbuchhaftigkeit zugewandt wird, entsteht eine sprachlich wunderschöne Wiedergabe der Trauerarbeit der Protagonistin. Hier gelingt es Köhler den Schmerz und die Trauer des Verlustes in seiner Wortlosigkeit darzustellen. Hier zeigt sich das wirkliche Können der Autorin. Vielleicht wäre genau das auch der Gewinn gewesen, wenn eine Autorin für Erwachsenenliteratur zur Kinderbuchautorin wird – die Stärken ihrer literarischen Sprache auf einen kinderweltlichen Plot anzuwenden. Dafür muss jedoch akzeptiert werden, dass Kinderromane andere Prämissen haben als Kindertheater oder Erwachsenenliteratur: Sie benötigen eine Brecht‘sche Einfachheit der Sprache bei gleichzeitig sprachlicher und thematischer Herausforderungen. Und die darin entworfenen Kinderwelten benötigen Kindererfahrungen anstatt ein dezidiertes Kinderbild von Erwachsenen. Denn sonst transportiert ein Kinderbuch leicht das, was es sicher nicht sollte: ein Kinderbild, das beim genauen Hinsehen romantisierende Züge trägt und pädagogisierend und belehrend ist.
Bewundernswert sind jedoch die Illustrationen von Bea Davis, die in zarten Aquarellfarben das luzide und transformierende der kindlichen Erfahrungswelt aufgreift. In zarten Blautönen zerfließt die Welt der beiden Freundinnen und ist damit dauerhaft in Bewegung, illustriert somit eine Wandlung, die in dieser Nacht mit der Protagonistin und ihrer Trauer geschieht. In den kräftigeren Illustrationen, in denen dunkle Farben Blau und Rot ineinanderfließen entsteht ein Weltraumbild, das in Bewegung ist. Die weißen Punkte in den Weltraumbildern evozieren eine Erfahrung von der Schönheit und der Vielfalt des Weltraums, aus dessen Raum sich das Gespräch der beiden Freundinnen mit der Kosmonautin ergibt und aus dem ein erster Schritt zu einem neuen und erfahrungsreichen Leben nach dem Tod der Mutter hervorwinkt.
Fazit
Der anhaltende Trend, dass Erwachsenenschriftsteller*innen Kinderromane schreiben, erweist der Kinder- und Jugendliteratur manchmal auch einen Bärendienst. Das Thema Tod ist in der KJL umfangreich bearbeitet, mit stilistischen und ästhetischen Formen, die guten Gewissens als avantgardistisch bezeichnet werden können (Wolf Erlbruch). Köhler hätte diesem Thema neue Facetten bieten können, indem sie die innerpsychologische Bedeutung des Todes in der Kinderfigur ausgeleuchtet hätte. Stattdessen verpufft hier ein wirklich interessanter Plot hinter Theatereffekten und einem romantisierten Kinderbild.
- Name: Bea Davies