Inhalt
Nachdem seine Mutter hinter seinem Rücken aufgrund von Geldsorgen den Schrebergarten seines verstorbenen Opas verkauft, macht Hugo sich auf die abenteuerliche Suche nach einer neuen Bleibe für sein dort lebendes Bienenvolk. In seinem Übergangsversteck in der Nähe der Zuggleise trifft er auf Merle, die den Ort durch die Hilfe einer mit ihr kommunizierenden Biene gefunden hat. Merle ist eigentlich allergisch gegen Bienen und Blütenstaub und verlässt kaum das Haus. Nachdem sie von einer Biene, die im weiteren Verlauf den Namen Fibie bekommt, gestochen wurde, kann sie mit dieser kommunizieren. Als sie von Fibie einen SOS-Notruf (in Form von gemalten Worten) bekommt, macht sie sich auf den abenteuerlichen Weg und folgt der Biene, wobei sie all dies vor ihren Eltern geheim halten muss. Zusammen mit Hugo und einer über den Roman immer weiter anwachsenden Gruppe aus Kindern versuchen sie, eine dauerhafte Bleibe für das Bienenvolk zu finden. Zunächst bauen sie auf dem Flachdach von Hugos Mehrfamilienhaus ein Bienenparadies auf und versuchen durch die Aktivierung der lokalen Kinder die ganze Stadt grüner zu machen, damit die Insekten auch etwas zu essen finden. Doch der Dachgarten fliegt auf und die Hausverwaltung interveniert.
Kritik
Der Kinderroman legt seinen Fokus auf die Wissensvermittlung zum Thema Bienen, insbesondere deren Lebensbedingungen und Eigenschaften. Dabei steht der junge Hugo als Protagonist und zugleich Wissensvermittler für seine Peer-Group zur Verfügung und muss dieser oftmals Sachverhalte erläutern, die ein hohes Komplexitätslevel innehaben. Auf der Suche nach einem neuen Standort für das Bienenvolk entfaltet sich etwa folgende Unterhaltung:
„'Wie wäre es dann irgendwo in der Nähe von Feldern?“ […] 'Felder? Auf keinen Fall', jaulte Hugo auf. 'Dann können wir die Bienen auch gleich aufgeben.' 'Und warum?', will ich wissen. 'Felder sind doch Natur pur.' Hugo schüttelte den Kopf. 'Von wegen. Viele Bauern benutzen Giftstoffe, um Schädlinge zu bekämpfen. Das machen sie, damit die Ernte nicht zerstört wird. Leider vergiften sie dabei auch die Bienen. Ihr Gehirn wird krank von dem Zeug. Sie verlieren die Orientierung, sammeln viel weniger Nektar und können nicht mehr so gut mit den anderen Bienen Infos austauschen. Manche finden nicht mehr nach Hause zurück.'“ (S. 103)
Der Zusammenhang zwischen Insektiziden und dem Bienensterben wird dabei differenziert erläutert, ohne auf Verkürzungen oder kindgerechte Verharmlosungen zurückzugreifen. Dabei wird auch deutlich gemacht, dass Natur nicht gleich Natur ist und Unterschiede zwischen landwirtschaftlich genutzten Flächen und Brachland existieren. Auch wenn zum Teil die Fachtermini umgangen werden und statt von ‚Insektiziden‘ von ‚Giftstoffen‘ gesprochen wird, wird der fachliche Gehalt nichtdestotrotz umfassend vermittelt.
Nachdem die Kinder sich fragen, warum denn auf wirtschaftlicher Ebene – und damit von Seiten der Erwachsenen – so wenig auf die Insekten eingegangen wird, folgt die Erklärung: „Die Erwachsenen sehen nur die Kohle.“ (S. 103) Primär aus wirtschaftlichen Interessen agierende Erwachsene werden damit klar als die Verursacher*innen von Problemen wie dem Insektensterben angesehen und eingeordnet. Die „Bienenmörder“ (S. 103) sind sich dabei scheinbar weniger als die Protagonist*innen im Werk über die Folgen des unökologischen Handelns im Klaren:
„Wusstet ihr, dass es in China schon fast keine Bienen mehr gibt? Da wandern Arbeiter von Obstbaum zu Obstbaum und bestäuben die Blüten von Hand. Das könnte hier auch passieren, wenn wir nichts tun. Ohne die Bienen werden viele Pflanzenarten sterben.“ (S. 180)
Das Werk zeigt auf anschauliche Weise, dass die Städte in ihrer Konzeption wenig auf Insekten ausgerichtet sind. Zugleich thematisiert es die Auswirkungen des Insektensterbens – veranschaulicht an dem exemplarischen und medial derzeit bereits sehr prominent diskutierten Beispiel der Honigbiene – und zeigt Möglichkeiten der individuellen Einflussnahme auf. So schließen sich die Kinder der Stadt zum Verteilen von Samenbomben zusammen, um ihren Ort durch mehr Pollenangebote für Insekten ansprechender zu machen und diesen dadurch das Überleben zu sichern. Der gemeinsame kindliche Aktionismus ruft ein ökologisches Zusammengehörigkeitsgefühl hervor, das von den Protagonist*innen positiv hervorgehoben wird. Optimistisch blicken sie nach ihrer Blütensamenverteil-Aktion in die Zukunft und können nach einigen Abenteuern und einer kleinen Baumbesetzungsaktion auch das Grundstück von Hugos Großvater von den Investoren zurückerobern, um dort einen dauerhaften Standort für Hugos Bienenvolk zu finden. Dieser positive Abschluss der Erzählung kann und soll Leser*innen vermutlich zum eigenen Aktiv-werden motivieren und Aktionismus sowie Nach- und Weiterdenken anregen. Dabei ist jedoch kritisch auf die – in der ökologischen Kinder- und Jugendliteratur oftmals prominente – Tendenz einzugehen, dass die Verantwortung zum Verändern bzw. Retten der Welt in der Literatur an die Kinder übergeben wird, obgleich diese deutlich weniger Einfluss auf globale, wirtschaftliche oder politische Prozesse als Erwachsene haben. Dieser Trend liegt auch in SOS – Mission Blütenstaub vor, wo der junge Hugo als eine Art didaktisierter Fachwissen-Vermittler auftritt, der zu ökologischen Taten motivieren möchte. Dies geschieht nur wenig über Einblicke in Hugos Innenwelt, sondern primär in dialogisch angelegten Diskursen von Hugo mit Gleichaltrigen (aus deren Sicht zum Teil auch erzählt wird, wodurch auch Blick- und Denkweisen aufgegriffen werden, die noch nicht viel über Bienen wissen).
Fazit
Der Kinderroman SOS – Mission Blütenstaub setzt sich am exemplarischen Beispielorganismus der Honigbiene mit dem menschlichen Einfluss auf Klima und Natur auseinander und veranschaulicht, dass individueller Handlungsspielraum zum Schutz der Tiere besteht. Neben dem vermittelten Fachwissen zur Thematik werden durch die jungen Protagonist*innen auch die ökologischen Einflussmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in einer wirtschaftlich geprägten Welt veranschaulicht. Dabei wird auf leicht nachzuahmende Praktiken, wie den Einsatz von Samenbomben, zurückgegriffen und der Bau einer solchen Aussaatmethode für Pflanzensamen im Werk durch das Bereitstellen einer Anleitung angeregt. Trotz des anspruchsvollen Themas verbleibt das Buch auf einem kindgerechten Sprachniveau, da Fachtermini, wenn möglich, umgangen oder durch alltagssprachliche Formulierungen ersetzt werden. Das Buch eignet sich für Rezipient*innen, die sich bereits mit dem Insektensterben auseinandergesetzt haben ebenso, wie für jene, die hier zum ersten Mal mit der Thematik in Berührung kommen, da das Thema multiperspektivisch aufgearbeitet und erklärt wird. Der Altersempfehlung des Verlags (ab 11 Jahren) schließe ich mich an.
Durch ein hoffnungsvolles und gutes Ende der Misere um Hugos Bienenvolk findet die Thematik im Text einen positiven Abschluss und veranschaulicht so im kleinen Maßstab, dass Hoffnung zum Insektenschutz besteht.
- Name: Kuhn, Esther