Inhalt
Måns ist ein typischer Elfjähriger: Er liebt Skateboarden, hat einen langweiligen besten Freund, mit dem er eigentlich kaum Interessen teilt und er schämt sich für seine Eltern. Seine Mutter arbeitet als Synchronsprecherin und muss wegen eines Jobs den Sommer in Malmö verbringen. Die Familie reist mit – wobei der Vater aufgrund eines Fahrradtrainings nachkommt – und kommt in der Wohnung eines ehemaligen Kollegen unter. Hier lernt Måns Mikkel kennen, einen am gesamten Körper tätowierten Jungen, der ihm zu Beginn eher Angst einjagt. Mikkel fordert Måns zu einem Skateboard-Wettbewerb heraus, der in einem Sturz mit starker Kopfwunde und leichter Gehirnerschütterung endet. Überraschenderweise schließt Mikkel in diesem Augenblick Blutsbrüderschaft mit Måns und sie verpflichten sich, immer füreinander da zu sein, die Wahrheit zu sagen und Best Bro(s) ever zu sein. Das titelgebende Versprechen, so löst der Ich-Erzähler nach mittlerweile 50 Seiten auf, scheint jedoch nicht leicht zu halten zu sein, denn Måns hat bereits ein Geheimnis, das er nun mit uns Leser*innen, jedoch nicht mit Mikkel, teilt:
"Also. Okay. Bevor ich weitererzähle, möchte ich mal kurz anhalten. Wir machen eine Pause, und zwar genau hier. […] Am liebsten hätte ich geheult. Nicht vor Schmerzen, sondern vor Glück. Noch nie hat mich jemand seinen Bruder genannt. Das findet ihr vielleicht nicht so komisch, weil ich ja keine Geschwister habe. Aber es gibt da noch eine andere Sache. Ich wollte es eigentlich nicht erzählen. Ich dachte, ich würde es weglassen. Das geht ja andere nichts an. […] Ich bin ein Junge, bloß bin ich mit einer Vulva geboren. Yes. Vulva und Junge, das ist natürlich eine etwas ungewöhnliche Kombination, aber nun ist es so, ich bin kaum der einzige Junge mit Vulva." (Jägerfeld 2023, S. 57f.)
Und so erfahren wir im Weiteren von den Problemen, die es mit sich birgt, ein Trans*Junge zu sein, wie die Familie, insbesondere der Vater große Schwierigkeiten hat, ihn als Junge anzuerkennen und eine große Traurigkeit verspürt, seine Tochter verloren zu haben. Und wir lesen von einem gemeinsamen Sommer von Mikkel und Måns in Malmö. Daneben gibt es weitere Randfiguren wie die 17-jährige 'Babysitterin' Nora, die auf Måns aufpassen soll und immer alles viermal sagt, Mikkels Bruder Simpson, der an allen Freund*innen das Tätowieren übt und Nicki und Jasse, die beim Skateboard-Wettbewerb für fünf Eis von der Halfpipe verschwinden und in die (Jasse) sich Måns ein wenig verguckt. Nach einem abrupten Freundschaftsaus, da Mikkel Måns‘ Pass findet, der seinen Deadname und ein sein ausschließlich weiblich lesbares Passfoto sieht, kann er seiner Enttäuschung über den Wahrheitsbruch der Best Bros nicht anders entgegnen. Nachdem der Vater voller Einsicht sein Fahrradtraining abbricht, zur Familie dazukommt und Måns Anerkennung entgegenbringt, reist die Familie am Ende des Sommers ab – ohne Mikkel noch einmal begegnet zu sein. Doch ein zweiter kurzer Aufenthalt in Malmö bringt die durch Måns' Selbstbewusstsein und Stärke herbeigeführte Versöhnung und den Kontakt über social media zu Jasse. Und so endet das Buch optimistisch: "Was lernen wir also aus all dem hier: AALLES kann schief gehen, aber es kann trotzdem ziemlich gut sein. Am Ende. Wenn die Leute sich nur ein bisschen zusammenreißen." (Ebd., S. 151).
Kritik
Jenny Jägerfeld gelingt es, eine absolut authentische Sprache zu treffen, die jugendsprachliche Wörter einbindet (z. B. "superneiß"), ohne zu affektieren. So werden auch Wörter aus der 'Skateboard-Fachsprache' verwendet, die allerdings für die Nicht-Kenner*innen unter den Lesenden vom homodiegetischen Erzähler erklärt und kommentiert werden:
"Ein Ollie war easy. Lächerlich easy. Da bringt man das Board dazu, vom Boden hochzuspringen und wieder auf dem Boden zu landen. Das habe ich ungefähr eine Millionen Mal gemacht. Es ist für mich wie Laufen. Kickflip ist auch kein größeres Problem. Da lässt man das Board eine Drehung in der Luft rumschnurren, während man selbst springt, und dann landet man wieder drauf. Das kriege ich in den allermeisten Fällen hin. Aber ein Boardslide, na ja. Der ist lebensgefährlich […]." (Ebd., S. 46).
Ebenfalls zeichnet sich die Erzählersprache durch Ironie aus. Für alle Leser*innen, die Schwierigkeiten damit haben, Ironie zu verstehen, kommentiert er zumeist explizit, dass das Gesagte gerade ironisch gemeint wäre. Dennoch erzielen diese ironischen sowie weitere Kommentierungen eine humorvolle Wirkung, so z. B. wenn Måns die für ihn hochpeinlichen Eltern beschreibt, die gleichermaßen eine realitätsnahe (Streit und Schwierigkeiten werden nicht ausgespart) und dennoch liebevolle, Måns in seiner Persönlichkeit stärkende Rolle einnehmen. Durch die interne Fokalisierung wird die starke Beziehung zu den Eltern sehr greifbar, die für Måns noch eine wichtige Rolle spielt – im Gegensatz vielleicht zu Jugend- oder Adoleszenzromanen. Gleichermaßen werden die Gefühle und Erfahrungen des Protagonisten zum Trans*sein sehr authentisch geschildert und regen insbesondere zur Perspektivübernahme an. So leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und Empathieförderung in Bezug zu geschlechtlicher Diversität. Besonders überzeugend ist, dass die Leser*innen Måns über ein Drittel des Buches erst einmal (als Jungen) kennenlernen und dann erst mit seiner Trans*identität konfrontiert werden, anders als z. B. in Der Katze ist es ganz egal (Orghandl/Strozyk, 2020), indem das Trans*sein und Outing der Protagonistin vom ersten Satz an problematisiert wird. Jägerfeld vermeidet damit so gut es geht Prozesse von Othering und stellt vielmehr die Freundschaft zu Mikkel in den Vordergrund. Ebenfalls wird, anders als im zuletzt genannten Roman, der sich an die gleiche Zielgruppe richtet, vermieden, homo- und transphobe Äußerungen als Reaktionen auf das Outing zu reproduzieren. Die vielschichtig ausdifferenzierten Charaktere sind auf ihre Art alle irgendwie speziell, was jedoch nicht kommentiert wird. So wird ein inklusives Setting gestaltet, das neutral bis positiv statt defizitär gelesen wird. In diesem Buch darf jede*r sein, wie er*sie ist.. Neben Nora, die alles immer viermal sagt, ist da der äußerst weinerliche Vater, der einer starken Frau (der Mutter) gegenübergestellt wird. Und auch Mikkel, Simpson, Nicki und Jasse sind starke Figuren, deren Eigenheiten zwar beschrieben, jedoch nicht negativ kommentiert werden. Vielfalt wird entsprechend als sehr normal anerkannt. Dazu ist der Schreibstil sehr erfrischend, das Buch liest sich ein wenig wie ein Tagebuch oder Ferienbericht, der mit sehr kurzen Neugierde-weckenden Kapitelüberschriften aufwartet und die Leser*innen direkt anspricht. Lediglich das am Vater demonstrierte Thema Umweltschutz wirkt ein wenig konstruiert. Zwar kann man auf die Klimaveränderungen und unsere Verantwortung nicht oft genug hinweisen, in diesem Roman wirkt es aber deplatziert.
Fazit
Mit Best Bro Ever! legt Jenny Jägerfeld ihren nächsten auszeichnungswürdigen Roman vor, der zu Recht für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2024 in der Sparte Kinderbuch nominiert wurde. Ein spannender und lesenswerter Kinderroman, der sich insbesondere als Sommerlektüre eignet. Er ist empfehlenswert für Kinder und Jugendliche ab 10 Jahren und ist wegen seiner direkten Leser*innenanrede und seiner zugänglichen Sprache einfach und aufgrund seiner Kürze schnell zu lesen – insbesondere für Jungen sehr zu empfehlen.
- Name: Jenny Lägerfeld
- Name: Susanne Dahmann