Inhalt
Die fünf kindlichen Protagonist*innen Coco, Chuck, Amy, Mohit und Paul werden nach Whisperworld, dem Land der Tierflüsterer, gerufen. Whisperworld ist ein Zufluchtsort für vom Aussterben bedrohte Tierarten und seltene Fabelwesen und hier soll die Ausbildung der Kinder zu Tierflüster*innen – also den tierischen Beschützer*innen – beginnen. Die Gruppe setzt sich aus sehr unterschiedlichen Figuren zusammen: Einigen ist das Thema Natur- und Tierschutz noch recht fremd, während sich andere bereits ausgiebig auf ihre zukünftige Rolle vorbereitet haben. Im Dschungel angekommen, treffen sie auf Doktorin Noa, die ihnen erklärt:
„Whisperworld ist ein magischer Ort. Mensch und Tier oder Tierwesen leben hier in friedlicher Gemeinschaft. In Whisperworld werdet ihr uralte Geheimnisse erfahren, unglaubliche Abenteuer erleben und Freunde fürs Leben finden. Und zur richtigen Zeit werdet ihr das Flüstern hören. Dann wurdet ihr von einer Tierart auserwählt. Ab diesem Zeitpunkt seid ihr Tierflüsterer.“ (S. 44)
Bis dahin müssen die neuen Schüler*innen noch einiges lernen und verschiedene Prüfungen bestehen. Die Kinder schlagen sich mehrfach allein durch den gefährlichen Dschungel, schlafen in riesigen Baumhäusern und lernen täglich mehr über die Natur und die Tiere, die sie umgeben. Noch in der ersten Nacht wird Coco von der Luchsin Enja gerufen, die ihre Hilfe bei der Verteidigung ihres Jungen vor einem Dieb braucht und wird somit später in der Erzählung zur ersten Tierflüsterin der Gruppe. Nachdem das Junge der Luchsin gerettet werden kann, endet die Erzählung mit einem Cliffhanger: Die Karte von Whisperworld wurde geklaut und das geheime Land ist in Gefahr!
Kritik
Die Geschichte weist wechselnde Erzählperspektiven (aus Sicht der fünf Protagonist*innen) mit jeweils individueller Erzählweise auf. In Aufbruch ins Land der Tierflüsterer liegt der Fokus auf Cocos Perspektive, die im Rahmen ihrer Ausbildung zur Tierflüsterin aus ihrer Rolle des schüchternen, unauffälligen und daher unterschätzten Individuums herauswachsen möchte, was ihr letztendlich auch gelingt. Durch die verschiedenen Erzählperspektiven erhalten die Leser*innen Einblicke in die Gedankenwelt der heterogenen Gruppe und treffen ebenso auf naturverbundene wie auch auf anthropozentrische Denkweisen. Diese Vielfalt verdeutlicht die möglichen Positionierungen gegenüber umweltschützendem Denken und Handeln.
Die Wissensvermittlung zum Thema Tierschutz geht von den Lehrer*innen in Whisperworld genauso wie den dort lebenden Tieren aus, mit denen sich die Protagonist*innen unterhalten können. Dementsprechend spielen auch fantastische Elemente eine große Rolle, die zum Teil die ökologische Textfunktion untergraben könnten. Wenn beispielsweise vom Aussterben bedrohte Tierarten mit Fabelwesen auf eine Stufe gesetzt werden, kann das die akute Handlungsnotwendigkeit in der Realität herabsetzen – denn Fabelwesen kann man schließlich nicht schützen, da sie in der Realität der Leser*innen nicht existieren. Da in der Lektüre zwischen den beiden Gruppen keine Unterscheidung gemacht wird, kann es sein, dass diese Eigenschaft von Fabelwesen auf bedrohte Tierarten im Generellen übertragen wird.
Grundsätzlich wird jedoch eine wichtige Botschaft im Sinne der Tierethik vermittelt: „Wir Menschen sind nicht die einzigen fühlenden und denkenden Lebewesen auf der Welt. Aber erst wenn ihr begreift, dass Tiere und Tierwesen auch denken und fühlen, werdet ihr ihnen mit dem nötigen Respekt begegnen.“ (S. 126) Respekt und eine persönliche Verbindung werden als wichtige Parameter für eine tierschützende Einstellung hervorgehoben. Die Gefahr, die von einigen Tierarten ausgeht, wird zwar deutlich betont und spielt für die Handlung immer wieder eine zentrale Rolle. Zugleich wird aber auch die Gefahr, die Menschen für Tiere darstellen, verdeutlicht:
„Wir erleben seit Jahrzehnten, wie die Natur ausgebeutet wird. Rohstoffe werden abgebaut, wir roden, betonieren und vernichten Tierarten durch die Zerstörung ihres Lebensraums. Von der maschinellen Produktion unserer Lebensmittel ganz abgesehen. Da fragt man sich, wer ist Mensch und wer ist Tier? Wir fühlen uns als die überlegenen Herren der Welt, doch auch wir sind nur ein winziger Teil von ihr.“ (S. 182f.)
Neben möglichen Gründen für das Aussterben von Tierarten wird beispielsweise auch das Prinzip ökologischer Nischen und die Bedeutung unterschiedlicher Klimazonen indirekt durch Veranschaulichung erklärt. Aus diesen wissensvermittelnden Passagen wird dann die Funktion der Tierschützer*innen herausgearbeitet: „Es ist die Aufgabe eines Tierflüsterers oder einer Tierflüsterin, sich überall auf der Welt für seine Tierart einzusetzen. Sie treten dafür ein, dass ihre Lebensräume geachtet und nicht zerstört werden.“ (S. 234) Hieran zeigt sich ein weiteres Problem der ökologischen Lektüre: Jeder Tierflüsterer ist lediglich für eine Tierart und ihren Schutz zuständig. Jedoch sind die realen Zustände zu komplex, als dass es möglich wäre, sich dezidiert nur für eine Tierart einzusetzen, da für einen tatsächlichen Wandel global gedacht und agiert werden muss. Diese kindgerechte Vereinfachung von Tierschutz kann zu Problemen führen – vor allem, wenn zusätzlich durch die Erzählung so getan wird, als könne man nur als ausgebildete Tierflüster*in etwas zum Tierschutz beitragen. Tierschutz wird in diesem Kinderroman immer nur in Verknüpfung mit Whisperworld und den Tierflüster*innen thematisiert, die als eine Art „Geheimbund“ (S. 132) auf der ganzen Welt wichtige Positionen bekleiden und so Einfluss nehmen. Wenn die Kinder die Aufnahmeprüfungen in Whisperworld nicht schaffen, müssen sie in ihr altes Leben zurückkehren, was in der Lektüre so dargestellt wird, als sei so ihre Chance vertan, sich für den Tierschutz einzusetzen. So wird den Rezipient*innen unterbewusst vermittelt, dass sie und auch Erwachsene keine Chance haben, sich in ihrer lebensweltlichen Realität für den Tierschutz einzusetzen, wenn sie nicht zu Tierschützer*innen ausgebildet wurden, obwohl es dafür zahlreiche Möglichkeiten gibt. Ungünstig ist zudem, dass hervorgehoben wird: „Spinnen, Maden, Ratten und Insekten sind so nützliche Tiere. Aber beim Artenschutz fallen sie kaum ins Gewicht, genau wie Reptilien“ (S. 70) und es dann auch in dieser Geschichte zunächst um die Verbindung zu einem Säugetier bzw. den im Fokus stehenden Luchs geht. Vermutlich dient dies dazu, die Leser*innen im ersten Band zunächst für die Buchreihe im Generellen zu begeistern, was einfacher mit einem mehr oder weniger vertrauten Säugetier umzusetzen ist als mit einem Tier, das von den Leser*innen vielleicht zunächst mit Ekel oder Angst assoziiert wird.
Fazit
Whisperworld. Aufbruch ins Land der Tierflüsterer stellt den Tierschutz als ein anstrebenswertes Ziel dar. Dabei geht es weniger um explizite Wissensvermittlung, wie z. B. Möglichkeiten zum Tierschutz oder alltägliche Implikationen, sondern stärker um Umweltzerstörungen und ihre Auswirkungen auf die Tierwelt im Allgemeinen. Viel stärker – und das scheint für einen Kinderroman nachvollziehbar – geht es um den Aufbau von Freundschaften unter den Protagonist*innen, sodass gleichermaßen auch klassische Kinderbuchthemen aufgegriffen werden.
Die genutzte Sprache ist mitunter anspruchsvoll: Bei der wörtlichen Rede kommen vor allem bei den Tieren onomatopoetische Einsprengsel vor, aber auch Anglizismen und unvollständige Wörter, die sich an der konzeptionell mündlichen Kommunikation orientieren (z. B. „is“ statt „ist“), machen die Sprache teilweise komplex.
Der Altersempfehlung von 9 Jahren des Carlsen-Verlags kann als Grenze zugestimmt werden, auch wenn ältere Leser*innen vermutlich noch mehr von der Lektüre profitieren können.