Inhalt

Der Eisbär Benny flüchtet vor dem schmelzenden Eis des Nordens und schippert auf einem Floß in die weite Welt hinaus. Er kommt in Pollinesien an und begegnet dort dem Huhn Polly, das Benny bei sich aufnimmt. Denn der Eisbär ist ungemein hungrig und Polly die beste Köchin von Schneckenchili, die man sich vorstellen kann. Schnell wird klar: Benny braucht eine Gefährtin, um seine Art vor dem Aussterben zu bewahren. Die Gefühle, die Benny aber anfänglich für Polly hegt, kann diese nicht erwidern: "Du und ich  ̶  … Äh, nein… das geht nicht". (Loher 2019, S. 9) Deshalb geben die beiden kurzerhand eine Kontaktanzeige für Benny auf, doch die ersten beiden interessierten Damen scheinen nicht recht zu Benny zu passen. Die erste Begegnung ist mit der Giraffe Anni, die ebenfalls allein ist, weil die Artgenossen gestorben oder in den Süden gezogen sind. Allein wegen des Größenunterschieds erweist sich eine Partnerschaft zwischen ihr und Benny als schwierig. "Eisbär und Giraffe, das ist ein bisschen kompliziert", (Loher 2019, S. 14) findet auch Polly.

Loher Bär Abb.2.pngAbb. 2: Staatstheater Kassel: Aljoscha Langel, Amelie Kriss-Heinrich. Foto: Nils Klinger

Doch auch das Treffen mit dem zweiten Tier, einer Waldame namens Ute, die wie Benny das Meer liebt, führt nicht zu einer Freundschaft. Erschöpft kommt Benny nach dem Treffen mit Ute an Land, spuckt Wasser und ist körperlich erschöpft. Das viele Tauchen und Wasserschlucken hat dem Eisbären zugesetzt, er merkt, dass auch eine Walfrau keine geeignete Partnerin ist. Und außerdem schlägt sein Herz ja für Polly, die auch Angst hat auszusterben. Schließlich trudelt ein dritter Brief ein, der voller Dreck ist und kein Foto des Tieres zeigt, so dass es Benny nicht eilig hat mit einem Treffen. Doch dann wird alles anders: Eines Tages steht die Braunbärin Isabella vor der Tür. Sie kommt aus Budapest und schnell steht fest: Sie und Benny gehören zusammen.

Kritik

"Lohers Dramen behandeln ernste Themen, während komödiantische Passagen eher selten zu finden sind", fasst Simon Hansen das dramatische Werk Lohers zusammen (vgl. Hansen 2021, S. 247). Dies gilt allerdings nicht für das Kinderstück Bär im Universum. Die Freundschaftsgeschichte zwischen dem Bären Benny und dem Huhn Polly ist durchzogen von unterschiedlichen Formen des Komischen, die dem Stück eine Leichtigkeit verleihen, die für das Gesamtwerk der Autorin ungewöhnlich ist. Eine Form des Komischen resultiert aus einer Hierarchie des Wissens: Nicht nur Huhn Polly, auch die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer verstehen mehr als der sehr naive und nur die Arktis kennende Eisbär, dessen Unwissenheit immer wieder zum Schmunzeln einlädt, beispielsweise wenn er die Federn des Huhns als "Pelz" bezeichnet (vgl. Loher 2019, S. 6) oder sprachliche Formulierungen falsch deutet. Das zeigt der folgende Dialog, in dem Polly die Kontaktanzeige des Wals Ute vorliest:

POLLY …. ich heiße Ute, übrigens
BENNY Ute Übrigens, wie ich gesagt hab. Sie ist noch übrig. Die einzige. Außer mir.
POLLY ... ich heiße Ute, Komma, übrigens. Ich glaube nicht, dass übrigens ihr Nachname ist.
BENNY Ach so.  ̶  Egal. (Loher 2019, S. 19)

Auch sonst durchziehen Sprachspiele das Stück, die immer wieder die Unerfahrenheit des Eisbären herausstellen. Als Polly ihn beispielsweise wenig schmeichelhaft als "nicht der hellste Bär im Universum" (Loher 2019, S. 10) bezeichnet, antwortet Benny begeistert: "Ich weiß nicht, was ein Universum ist, aber ich bin hell!" (Ebd.) Überhaupt laden die allzu menschlich auftretenden Tiere zum Schmunzeln ein, z. B. wenn eine Kontaktanzeige aufgegeben wird, das Huhn nur mit einem aufblasbarem Krokodil ins Wasser geht oder über das Heiraten nachgedacht wird. Wortneuschöpfungen, wie das im Verlaufe der Handlung immer wieder aufgegriffene Schimpfwort "verrückt wie Rabenkacke“ (Loher 2019, S. 9), das je nach Tierart in "Rübenkacke" (Loher 2019, S. 33) und schlussendlich "Hühnerkacke" (Loher 2019, S. 38) umgewandelt wird, entspricht der freien Komik, die junge Zuschauerinnen und Zuschauer zum Lachen reizt.

Bei all dem Humor und der Leichtigkeit der Dialoge zeigen sich auch ernste Töne. Denn alle auftretenden Tiere, der Rabe ausgenommen, haben Angst, dass ihre Art ausstirbt. Die Tierarten flüchten aus ihren ursprünglichen Lebensräumen. Dem Eisbären Benny schmelzen die Eisschollen weg (vgl. Loher 2019, S. 6), Wald- und Buschbrände lassen die Tiere flüchten (vgl. Loher 2019, S. 13, 29) und die Meeresbewohner finden im vermüllten Meer immer weniger Nahrung (vgl. Loher 2019, S. 19, 22). So haben das Leid der Tiere und ihre Schwierigkeiten, einen passenden Partner zu finden, eine menschengemachte Ursache.

In der Theaterpraxis ermöglicht die Ästhetik des Stückes der Regie viel Gestaltungsspielraum. Die Tiere, die auf die Kontaktanzeige Bennys reagieren, stellen "durch [ihre] Augen/Kamera gesehen" ihre Lebenswelt vor (vgl. Loher 2019, S. 13, 22, 36). Wie dies in einer Aufführung umgesetzt wird, darüber geben die Regieanweisungen keine Auskunft. Auch wie die Tierfotos, im Dramentext Zeichnungen von der Autorin, auf der Bühne präsentiert werden, bleibt den Theaterschaffenden überlassen. Das Stück bietet Regie und Ensemble viele Spielangebote.

Loher Bär Abb.3.pngAbb.3: Staatstheater Kassel: Aljoscha Langel, Amelie Kriss-Heinrich, Lua Barros Heckmann. Foto: Nils Klinger

Ob am Ende auch das Huhn Polly in dem Raben Rübe einen Partner fürs Leben findet, bleibt zwar offen. Aber das Schlusslied verweist erneut auf die Leichtigkeit und den Spaß am gemeinsamen Miteinander und an dem Spiel mit der Sprache:

Tok Tok Tok
Wer da? Wer da?
Benny mit weichem BPolly mit doppel L
Die Iii, eine Brr aus Buu
Die wie?
Isabella, Braunbärin aus Budapest
Wer noch?
Der Rabe, der Rübe heißt
Und der Rübenrabenkacke scheißt! (Loher 2019, S. 41)

Fazit

Dea Loher ist ein Stück gelungen, das an viele Traditionen des Kindertheaters anknüpft. Sie präsentiert eine Freundschaftsgeschichte mit Tieren als Hauptfiguren, die allzu menschlich erscheinen. Trotz der Komik und der Leichtigkeit, die die Dialoge durchziehen, ist die Kritik an der Zerstörung unserer Lebenswelt unübersehbar. Hier verweist ihr Stück auf andere Dramen der jungen Bühnen, die ebenfalls tierische Figuren nutzen, um auf die Erderwärmung und Umweltzerstörung hinzuweisen, wie beispielsweise Der Traum vom Wald von Christoph Busche und Astrid Großgasteiger oder Planet der Hasen von Tina Müller. Auch wenn die Autorin mit dem positiven Grundton sich von ihren Theaterstücken, die sich an Erwachsene richten, abgrenzt, so knüpft sie doch mit dem gesellschaftskritischen Unterton an andere Dramen aus ihrem Gesamtwerk an. Die Uraufführung fand am 19. 3. 2020 am Staatstheater Kassel (Regie: Martina Van Boxen) statt. Seitdem wurde das Stück mehrfach nachinszeniert, u.a. in Frankfurt/M., Erlangen oder Gelsenkirchen.

Literatur

Simon Hansen: Nach der Postdramatik. Narrativierendes Text-Theater bei Wolfram Lotz und Roland Schimmelpfennig. Bielefeld: transkript 2021.

Dea Loher: Bär im Universum. Stück für Kinder ab 5. Frankfurt a.M.: Verlag der Autoren 2019.

Dea Loher: Bär im Universum. Frankfurt a.M.: Fischer 2022.

Abbildungen

Abb. 1 Dea Loher. Foto: Cordula Treml

Abb. 2 Staatstheater Kassel: Aljoscha Langel, Amelie Kriss-Heinrich. Foto: Nils Klinger

Abb. 3 Staatstheater Kassel: Aljoscha Langel, Amelie Kriss-Heinrich, Lua Barros Heckmann. Foto: Nils Klinger

Titel: Bär im Universum
Autor/-in:
  • Name: Loher, Dea
Uraufführung: 13.09.2020, Staatstheater Kassel
Erscheinungsort: Frankfurt a.M.
Erscheinungsjahr: 2019
Verlag: Verlag der Autoren
Altersempfehlung Redaktion: 5 Jahre
Loher, Dea: Bär im Universum