Inhalt

MÄDCHENSCHRIFT (ein Monolog) umfasst ausschließlich den Bewusstseinsstrom einer jungen Frau, die von ihrem Erwachsenwerden und den damit einhergehenden Veränderungen ihres Körpers erzählt und ihre Erlebnisse problematisiert. Der Monolog beginnt mit einer langen Beschreibung, dass es am eigenen Körper drücke, überall und so sehr, dass man letztlich zu einer kleinen Kiste zusammengedrückt sei. Darauf folgt die rhetorische Frage an das Publikum, ob es auch bei den Zuschauenden drücke, die Sprecherin glaube dies, könne es sehen. Mit der Frage ans Publikum "was für ein bild habt ihr vor euren augen wenn ihr mensch hört..." (Dündar o.J., S. 3) eröffnet die Figur eine Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Die junge Frau wünschte, ein Bild von sich selber, als das einer jungen Frau, sehen zu können, stattdessen aber "...stelle ich mir einen mann vor der weiß ist wenn ich mensch höre..." (Dündar o.J., S. 4) Dieser Bezug zur hegemonialen Männlichkeit wird einige Seiten später noch deutlicher. Die Autorin bietet nämlich an, dass das Stück von einer schwarzen Schauspielerin gespielt werden kann (vgl. Dündar o.J., S. 8). Auf solche Weise wird das Aufzeigen von Hegemonie und Marginalisierung noch deutlicher.

Im Folgenden wird verdeutlicht, warum sich die junge Frau so zusammengedrückt und klein fühlt, denn es werden Fragen zu Geschlechterrollen aufgeworfen und problematisiert. So beschreibt die Erzählerin, wie sie mit zwölf Jahren in die Pubertät kam, welche Schmerzen sie hatte, als ihr Körper sich veränderte und sie früh menstruierte. Damit sei vieles anders geworden: Zwar habe sie sich weiterhin als Kind gefühlt, sei aber nicht mehr als solches wahrgenommen worden.

und dann bin ich für menschen da draußen in der welt plötzlich eine erwachsene und muss erwachsenengespräche führen und alle sind mit mir etwas strenger als mit anderen kindern die in meinem alter sind und meine mama sagt mir dass ich stark sein muss und meine tante sagt mir dass ich erwachsen werden muss und meine oma sagt mir dass ich hart werden muss und alles abwehren und eine harte schale entwickeln und dass sie von ihrer mutter und von ihrer oma dieselben sätze gehört hat wie ich sie gerade höre und dass wir als schwarze frauen nicht schwach sein dürfen und ich frage mich welche sätze andere mädchen hören (Dündar o.J., S. 7f.)

Sie äußert den Wunsch, weiterhin als Kind angesehen und von ihrer Familie behütet und beschützt zu werden. Niemand solle eine bestimmte Eigenschaft haben müssen, nur weil er oder sie eine bestimmte Hautfarbe oder ein bestimmtes Geschlecht habe. Im Folgenden wird die schwierige Zeit zwischen dem Beginn der Pubertät und dem Erwachsensein beschrieben. Die Erzählerin ist zunehmend unangenehmen Blicken und Sprüchen ausgesetzt und wird belästigt. Die anfängliche Beschreibung des Zusammengedrücktwerdens wird erneut aufgegriffen: Solche Verhaltensweisen gegenüber Mädchen und jungen Frauen seien wie eine Last, die die Heranwachsenden klein werden lässt. Wie genau solche Belästigungen aussehen können, beschreibt sie anhand eigener Erlebnisse: Beispielsweise rief ihr ein älterer Mann am Strand unangemessene Kommentare hinterher, als sie erst 13 Jahre alt gewesen sei, und mit 14 Jahren sei ihr im Freibad an die Brust gefasst worden. Die Erzählerin fordert, dass Eltern ihren Kindern beibringen sollen, was sexuelle Belästigung ist. Einschränkend problematisiert sie, dass Eltern oft gar nicht verinnerlicht haben, worin das Problem der sexuellen Belästigung liegt. So ist der Monolog als "Anklageschrift" zu verstehen, wie es im Text wörtlich heißt, und zugleich als eine Aufforderung, die Welt im Sinne der Mädchen zu verbessern (vgl. Dündar o.J., S. 14).

ich will einfach ich sein können und mich nicht verstecken ich will sein können wer ich bin ohne angeglotzt zu werden ohne begrapscht zu werden ohne angst zu haben dass ich beglotzt und begrapscht werde und ich sage stopp zu allem was nicht in ordnung ist ich will dass die welt ein schöner ort ist wo ich ich sein kann wo ich laut sein kann und mich nicht verstecken und klein machen lassen muss wo ich mich nicht zusammengedrückt fühle (Dündar o.J., S. 13)

Dass Theaterstück endet mit der Aufforderung, die gesprochene Rede, "allen an den kopf zu knallen bis jedes wort in der anklageschrift in den köpfen angekommen ist und nicht mehr wegzudenken ist" (Dündar o.J., S. 14).

Kritik

Das Theaterstück lässt sich dem Erzähltheater zuordnen, zeigt dabei aber eine besondere Form. Denn das Jugenddrama besteht ausschließlich aus dem Bewusstseinsstrom einer jungen Frau, die ihre Sicht auf das Erwachsenwerden und den damit einhergehenden Belästigungen durch Jungen und Männer darstellt. Die Form des Monologs wird bereits in der Gestaltung deutlich: Das Monodrama enthält keine dramatis personae oder Regieanweisung, lediglich an zwei Stellen werden der Regie Hinweise mittels einer Fußnote gegeben. Auch sonst zeigt die Gestaltung eines Stücks als Monolog Besonderheiten: Der dramatische Text enthält weder Großschreibung noch Satzzeichen, die den Gedankenstrom unterbrechen. Das passt zu der Metapher des Zusammengedrücktwerdens, es unterstreicht die Enge, aus der ein Mädchen nicht entfliehen kann. Lediglich Absätze geben den Gedanken eine Struktur.

In dem Jugendstück beginnt der Monolog wie bereits dargestellt mit der Metapher des Drückens, die verdeutlicht, wie klein und unbedeutend sich das erzählende Ich fühlt. Die Passivform unterstützt das Bild, dass dieses Kleinmachen von außen, durch die Gesellschaft erfolgt. Die Ängste, die mit dem Zusammengedrückt- oder auch Kleingemachtwerdens einhergehen, wird auch in der Sorge, als winziger Partikel ins Meer gespült zu werden (vgl. Dündar o.J., S. 3), widergespiegelt. Dieses Bild wird aber erst im weiteren Verlauf des Monologes verständlich, denn es sind Erwartungen und sexuelle Belästigungen, die der Erzählerin das Gefühl geben, zusammengedrückt zu werden, und Ängste in ihr auslösen.

Duendar Maedchenschrift ComediaKoeln Foto Christopher HorneAbb 2.

Comedia Köln MÄDCHENSCHRIFT (ein Monolog) mit Eileen Umeh, Foto: Christopher Horne

Auch durch einen intertextuellen Bezug wird die Unterdrückung junger Frauen deutlich. Dass diese auch zu anderen Zeiten Belästigungen durch Männer ausgesetzt waren, zeigt die Autorin anhand von Goethes Faust. Der folgende Dramenauszug spielt auf Fausts Begegnung mit Gretchen an. (Vgl. "Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,/ Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen", Goethe 1984, V. 2605f.)

und ja mit dem fraulichen körper kamen auch die blicke auf den fraulichen körper auf meinem körper lagen plötzlich blicke sie legten sich auf mich […] und ich kann den [gemeint ist der Blick, A.C.] nicht mehr abstreifen der liegt noch da selbst wenn ich den menschen dem der blick gehört nicht mehr sehe ich kann ihn nicht abstreifen von mir werfen ihn abschütteln der klebt an mir und fühlt sich ekelhaft an und liegt dann auf mir und drückt mich und ist schwer und begleitet mich ungewollt noch lange nachdem ich mir das gesicht der person nicht mehr vorstellen kann lange nachdem ich mich nicht mal mehr an die situation erinnern kann in der ich diesen blick bekam als er sich ungefragt auf meinen körper legte und mich bedrängte mit seiner anwesenheit und mich nicht mehr losließ "du schönes mädchen na kannst du schon alleine nach hause laufen" so ein satz wird dem blick noch hergeworfen (Dündar o.J., S. 9)

Der Bezug auf die Gretchentragödie verweist auf die lange Tradition und Allgemeingültigkeit solcher Formen von Sexismus.

Auch der Titel des Dramas, MÄDCHENSCHRIFT (ein Monolog), verweist auf die Universalität des Dargestellten. Dass es auch anderen Mädchen und jungen Frauen wie ihr geht, glaubt auch die Erzählerin, die vorgibt, zu sehen, dass auch die Zuschauerinnen "gedrückt", also sexuell belästigt werden (vgl. Dündar o.J., S. 2).

Der Verweis am Ende des Dramas, dass es sich bei dem Gesprochenen um eine Anklageschrift handelt und dass die Sexualisierung und Belästigung junger Mädchen sofort aufhören muss, knüpft letztlich an die Tradition des emanzipatorischen Kinder- und Jugendtheaters an, das dazu aufruft, dass sich junge Menschen verbünden und für ihre Rechte eintreten. Und dazu zählt auch das Recht von Mädchen und jungen Frauen, Kind sein zu dürfen und unbeschwert und frei von sexueller Belästigung aufzuwachsen. Das eindringliche und vielfach wiederholte "stopp" (vgl. Dündar o.J., S. 13) unterstreicht, dass es diesbezüglich keine Grauzone und nichts zu verhandeln gibt: "ich sage stopp zu allem was nicht in ordnung ist" (Dündar o.J., S. 13).

Fazit

Das Bemerkenswerte an Özlem Özgül Dündars MÄDCHENSCHRIFT (ein Monolog) ist die kunstvolle Form, die an das Erzähltheater anknüpft und so eine Nähe zwischen der Schauspielerin und den Zuschauerinnen und Zuschauern erzeugt. Es ist einerseits eine Publikumsansprache mit eindringlichem Inhalt und der Aufforderung zu verstehen, wie sexuelle Belästigung ein Mädchen belastet. Andererseits wird auf die Allgemeingültigkeit des Dargestellten verwiesen, verbunden mit dem eindringlichen Appell, jegliche sexuelle Belästigung zu stoppen. Die Laudatio von Chiara Tissen sieht dabei uns alle in der Verantwortung:

"Wir hören im Stück also auch eine Perspektive, aus der wir die Welt nicht oft genug betrachten. Ich bin der Meinung, dass dieser Text ganz vielen jungen Frauen und Mädchen Mut machen wird, manche Sachen nicht als gegeben hinzunehmen und stopp sagen zu können. Hoffentlich wird der Text auch jungen Männern und Jungs Mut machen, mal darüber nach zu denken [sic!, A.C.], ob eine Frau ihr Körper ist, oder ob sie ihren Körper hat, und besser zu schaue [sic!, A.C.], wer dann wohl in diesem Körper steckt.

Gedankenexperiment: Das könnten wir alle übrigens mal versuchen." (Tissen 2023)

Literatur

Özlem Özgül Dündar: MÄDCHENSCHRIFT (ein Monolog). Rowohlt Theater Verlag Hamburg o.J..

Johann Wolfgang Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil. Hg. von Lothar J. Scheithauer. Stuttgart 1984.

Wolfgang Herrndorf: Bilder deiner großen Liebe. Reinbek 2015.

Chiara Tissen: Laudatio Mädchenschrift von Özlem Özgül Dündar (2023). Abruf unter https://www.kaasundkappes.de/maedchenschrift

​Abbildungen

Abb. 1 Özlem Özgül Dündar. Foto: von Kritzolina - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39149044

Abb. 2 Comedia Köln MÄDCHENSCHRIFT (ein Monolog). Foto: Christopher Horne

 

Titel: Mädchenschrift (ein Monolog)
Autor/-in:
  • Name: Dündar, Özlem Özgül
Uraufführung: 28. August 2022 am Schauspielhaus Bochum
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: o.J.
Verlag: Rowohlt Theaterverlag
Altersempfehlung Redaktion: 13 Jahre
Von Kritzolina - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39149044