Inhalt
Der performative Theatertext von Tina Müller & Theater Fallalpha kreist um die Ambivalenzen von Ordnung und Chaos und schlägt dafür einen Bogen vom unaufgeräumten Kinderzimmer bis in die Weiten des Weltalls. Einen dramatischen Spannungsbogen gibt es nicht, wohl aber einen roten Faden, der selbst Teil des Stücks ist und an dem sich Rezipientinnen und Rezipienten zumindest zeitweise festhalten können. Im Mittelpunkt steht ein Kind, das gerne spielt, aber nicht gerne aufräumt. Seine Eltern versuchen, es zum Aufräumen zu bewegen, was wiederum ihre unterschiedlichen Auffassungen von Ordnung und Unordnung zum Vorschein bringt.
Mutter (X) (zum Vater, freundlich) Du Schatz, vielleicht sollten wir Vorbilder sein und auch mal das Wohnzimmer ein bisschen öfter aufräumen (Wütend) DU LÄSST JA IMMER ALLES RUMLIEGEN UND DAS NERVT MICH LANGSAM EIN BISSCHEN SEHR
Vater (Z) (freundlich) Du sagst am Montag und am Mittwoch und am Freitag und am Sonntag, also vier Mal in der Woche, dass du es aufgeräumt haben möchtest. (Wütend) DAS IST EINFACH ZU VIEL, SAG MAL, HAST DU EIGENTLICH EINEN PUTZWAHN? (Müller 2024, S. 7)
Die Ausflüge des Kindes ins Weltall thematisieren Fragen nach Chaos und Ordnung im Dialog mit Sternen und Planeten. Auf dem Mond lebt ein kleiner Staubsauger namens Dusty, der ihn den lieben langen Tag absaugt. Die Sonne muss aufpassen, "dass [die Venus] nicht auf die schiefe Umlaufbahn gerät" (Müller 2024, S. 5), während die Meteoriten extrem schnelle E-Bikes fahren und den Sternschnuppen einfach "alles schnuppe ist" (ebd.). Wie gut, dass die Sonne verspricht, erst in circa fünf Milliarden Jahren zu explodieren. Gefahr aber lauert in einer Kaugummidose.
Y Da findet das Kind plötzlich einen riesigen Schatz.
X und Y schauen sich suchend um, können im Chaos aber nichts mehr finden. Schließlich findet Y eine kleine Kaugummidose.
Y Es findet das schwarze Loch, worin alles verschwindet.
Z Kommt, wir gehen rein!
Y Nein, nicht öffnen! Mit dem schwarzen Loch ist nicht zu spaßen. Das ist ein einziger riesiger Staubsauger. (Müller 2024, S. 5)
Als auch nach fast vier Szenen das Chaos auf der Bühne nicht beseitigt ist, greift die Technik ein: "Ich sag’s jetzt zum letzten Mal: Bringt endlich Ordnung in dieses Chaos! […] Aufräumen! Sonst ruf ich die Polizei!" (Müller 2024, S. 9). Hochmotiviert beginnen die Spielerinnen und Spieler Ordnung zu schaffen, doch der gemeinsame Versuch mündet in einen "Kreislauf der Unordnung" (ebd.). Nun wird das Aufräumen zur Chefsache erklärt. Eine Person macht alles und zwei schauen zu. "Sei schlauer, mach blauer," lautet das Motto dieser beiden (Müller 2024, S. 10). Doch die so gewonnene Ordnung ist nur von kurzer Dauer, das Einsortieren in Schubladen misslingt. Als Ordnungsprinzip eignen sie sich nicht. Gefühle werden aufgrund ihres chaotischen Charakters kurzerhand gestrichen. Schließlich treten die Ordnung und das Chaos selbst gegeneinander an, was in einer "riesigen Explosion" und "Millionen neuer Sterne" am Himmel (Müller 2024, S. 17) endet. Das Kind aber rannte
X so schnell es seine kleinen Füße tragen konnten, den roten Faden entlang über die Milchstraße zurück in sein Kinderzimmer.
Z Und sorgt seitdem dafür, dass weder das Chaos noch die Ordnung jemals die alleinige Herrschaft über sein Zimmer übernimmt.
Y Und die Eltern?
X Die sind froh, weil…
Mutter (X)/Vater (Y) Manchmal aufräumen ist besser als nie. (Müller 2024, S. 17)
Abb 2: Aufräumen, Theater Fallalpha Zürich mit Oriana Schrage, Romeo Meyer und Andi Peter (von links), Foto: Toni Suter.
Kritik
Aufräumen ist ein kluges, verspieltes Theaterstück für Kinder ab sechs Jahren – und eine Reflexion über Ordnung, die weit über das Kinderzimmer hinausreicht. Der Text besticht durch seine sprachliche Leichtigkeit und eine altersgerechte Verschränkung von kindlicher Alltagswelt und unbegreiflichem Kosmos. Dass Ordnung und Chaos nicht nur äußere Zustände, sondern auch metaphysische Fragen berühren, macht das Stück auf humorvolle wie tiefgründige Weise erfahrbar. Der nicht-lineare Aufbau führt vor Augen, was Struktur bzw. deren Fehlen für eine Geschichte bedeutet. Mehrfach unterbrechen Figuren die gemeinsame Erzählung und formulieren ihre Verwirrung. Auch das Publikum wird dann direkt angesprochen und etwa gefragt: "Gefallen euch solche Geschichten? Oder findet ihr Geschichten toller, in denen ihr was versteht?" (S. 6). Da jedoch Antworten aus dem Publikum im Stück nicht vorgesehen sind, erscheinen die Fragen gegenstandslos. Sie gehen ins Leere.
Die Struktur des Stücks ist komplex und doch greifen die verschiedenen Ebenen nach dem Prinzip des Spiels im Spiel so federnd ineinander, dass sich Kinder von den Vorgängen fesseln lassen. Gerade sie wissen doch sehr genau, wie aus dem Versuch des Aufräumens ein neues Spiel entstehen kann. Fraglich bleibt allerdings, ob die Metaebene des Theaters ("Wir spielen jetzt dieses Stück, egal, wie’s hier aussieht" (Müller 2024, S. 3), "Ihr müsst eure Geschichte etwas chronologischer erzählen. Sonst kann ich kein Licht machen" (Müller 2024, S. 6)) wirklich notwendig ist. Das Spiel zwischen Kinderzimmer und Weltall dürfte schon genug Anregungspotential für junges Publikum bereithalten.
Neben dem großen Themenkomplex von Chaos und Struktur werden in Szene 6 zudem Fragen nach Macht und Beteiligung berührt, wenn die Person, die allein aufräumt, zum Chef bzw. zur Chefin erklärt wird. Dies führt in Sachen Aufräumen zwar zu kurzfristigem Erfolg, sorgt aber für Spannungen zwischen den Figuren:
X Ich mach hier nicht mehr mit. Es ist jetzt zwar Ordnung, aber es ist für mich nicht in Ordnung.
Z Für mich auch nicht.
Y Aber ich bin der Chef.
Z Ein guter Chef fragt seine Mitarbeitenden, wie es ihnen geht.
Dass die Rolle des Chefs bzw. der Chefin daraufhin einfach weitergereicht wird und am Ende weder Ordnung noch Chaos siegt, ist wiederum ein starkes Plädoyer für Ambiguitätstoleranz. Ordnung und Chaos werden als gleichwertige Kräfte nebeneinandergestellt, die jeweils unterschiedliche, dabei gleichermaßen wichtige Funktionen erfüllen.
Fazit
Das für drei Darstellende und einen Techniker oder eine Technikerin konzipierte Stück von Tina Müller wurde im Januar 2024 unter dem Titel Ufrume am Theater Fallalpha in Zürich uraufgeführt. Regie führte Lukas Schmocker. An der Textentwicklung waren neben Letzterem auch Oriana Schrage, Romeo Meyer und Andreas Peter (Theater Fallalpha) beteiligt. Erschienen ist der Text im Rowohlt Theater Verlag.
Nicht zuletzt durch seine Nominierung für den Mülheimer KinderStückePreis 2025 hat Aufräumen bereits früh Aufmerksamkeit erhalten. Es ist nicht die erste Einladung nach Mülheim an der Ruhr für Tina Müller. Für Dickhäutererhielt sie 2017 den KinderStückePreis, 2020 war sie mit Schokolade nominiert. Die 1980 in Zürich geborene Autorin studierte Kulturwissenschaften an der Universität Hildesheim, im Anschluss Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Sie lebt in Berlin und kooperiert regelmäßig mit dem Züricher Theater Fallalpha – so auch im Fall der drei bislang nach Mülheim eingeladenen Stücke.
Mit Aufräumen hat Tina Müller ein ebenso verspieltes wie tiefgründiges Theaterstück für Kinder ab dem frühen Grundschulalter geschaffen. Es erkundet Ordnung und Chaos nicht als Gegensätze, sondern als ineinander verschränkte Prinzipien. Nicht in allen Punkten kann es der anvisierten Zielgruppe gerecht werden, doch insgesamt ist es ein bemerkenswerter Text, der Spaß macht und gleichzeitig herausfordert.
Literatur
Müller, Tina: Aufräumen. Hamburg: Rowohlt Theater Verlag, 2024.
https://www.rowohlt-theaterverlag.de/theaterstueck/aufraeumen-6644 (letzter Abruf: 19.06.25)
Abbildungen
Abb. 1 Tina Müller. Foto: Philipp Striegler
Abb. 2 Aufräumen, Theater Fallalpha, Zürich mit Oriana Schrage, Romeo Meyer und Andi Peter, Foto: Toni Suter. Das Bild wurde von Theatertage KinderStücke 2025, Mülheim zur Verfügung gestellt.
- Name: Müller, Tina & Theater Fallalpha
