In dem humorvollen und in warmen Farben illustrierten Bilderbuch, das verlagsseitig ab 4 Jahren beworben wird, macht sich ein sehr ungleiches Paar auf den Weg durch den Wald, um dem Biber einen Besuch abzustatten, da dieser einen neuen Damm errichtet hat: Eine resolute kleine Maus, die auf alle Situationen im Leben bestens vorbereitet (oder vielleicht auch einfach etwas 'blauäugig') ist, und eine eher häusliche Ente, die sich angesichts der möglicherweise draußen lauernden Gefahren nur mit allergrößten Bauchschmerzen auf das Abenteuer 'Spaziergang' einlässt. Ihre Ängste flüstern ihr ein, dass sie auf dem Weg verhungern oder verdursten, gefressen werden oder sich selbst mit Beeren vergiften könnten – Entes Schreckensszenarien nehmen kein Ende. Maus bleibt vollkommen ruhig, nimmt Entes Furcht ernst, Ente selbst einfach so, wie sie ist, und dirigiert sie so sanft bis ans Ziel.

Dass Ente als "Pessimistin der besonderen Sorte" rezipierbar ist, liegt in ihrer Vielschichtigkeit begründet. Auf der einen Seite weiß sie textseitig um ihre mitunter irrationalen Ängste und ihre "Komfortzone" (Maurus 2022), überrascht aber zugleich mit ihrer Bereitschaft zum Abenteuer zwecks Konfrontation. Auf der anderen Seite wird diese Ambivalenz durch die Text-Bild-Relationen ausgestellt: "Während Ente jeden Moment damit rechnet, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hat, erzählen die Bilder mit umwerfender Leichtigkeit das genaue Gegenteil: Die Geschichte eines herrlichen Sommerausflugs. Manchmal ist alles eben nur eine Frage der Einstellung…" (Klappentext).

"Einstellung" lässt sich dabei ganz wörtlich im Sinne von 'Perspektive' werten, mit der Wird schon schiefgehen, Ente! immer wieder kunstvoll spielt. Während sich der Eindruck Entes, dass es bald regne, zwangsläufig auf Lesende übertragen muss, wenn man dieses (vermeintlich nullfokalisierten) Bildes ansichtig wird:

 

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, so wird diese Sorge nach dem Umblättern schnell entkräftet. Die Wolke, die zwar Schatten wirft, aber als einzige am Himmel eben nur sehr kurzfristig, stellt sich nachträglich als intern schwarzgemalte Perspektive von Ente heraus.

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Auch "Hunger und Durst muss niemand leiden, Maus hat schließlich Karotten und Tee dabei" (Maurus 2022), die scheinbar marode Brücke wird tragen, dafür gibt es untrügliche Indizien (auf Bildebene).

Dass alles eine Frage der Einstellung ist, erstreckt sich über den technischen Blickwinkel hinaus also auch auf die diskursive Textur: Maurus (2022) identifiziert als mehr oder minder subtile Kernaussagen: "Wir haben keinen Spaß, wenn wir immer nur das Schlimmste befürchten. Wir verpassen die schönen Dinge, wenn wir nur zu Hause bleiben, und erst recht, wenn wir uns nur mit uns selbst beschäftigen. […] Wir entscheiden selbst, wovor wir Angst haben."

Dem ist zwar 'verhaltenstherapeutisch' gedacht uneingeschränkt beizupflichten, sodass man auf dieser Interpretationskette weitere Befundsperlen aufziehen kann: Selbsterfüllende Prophezeiungen ("Wir werden uns fürchterlich verlaufen") führen zu selektiver Aufmerksamkeit und also Wahrnehmung, sodass Ente schließlich gar nicht mehr realisieren kann, dass die Landschaft um sie herum schon Ansatzpunkte für das Ende des Weges liefert, während sie darin irrt und sicher ist, sich nun endgültig verirrt zu haben: "Ich habe ja gesagt, dass wir uns verlaufen – und jetzt haben wir uns verlaufen". Tragisch ist daran das hohe Reflexionsniveau, mit dem Ente – ähnlich wie I-Aah aus dem Pooh-niversum – gestraft ist. Müsste Ente 'nur' ihr "Mindset" (Hildebrand 2022) ändern? Dass das in der Regel zu kurz greift, wissen wir bereits seit Kafkas Katze: "Du musst nur die Laufrichtung ändern", riet diese in der Fabel der Maus – und fraß sie.

Natürlich frisst schlimmsten- und andernfalls die Angst die Seele auf. Einfach optimistisch zu sein 'auf Rezept', ist indessen kein adäquater Ratschlag. Denn "'Mutmachbücher'", die "Mut […] als Lösung für das Problem der Angst dar[]stell[en]", "erfreuen sich [zwar] in der pädagogischen und didaktischen Praxis großer Beliebtheit. Der gut gemeinte Ansatz, den negativ dargestellten Ängsten positiv dargestellten Mut entgegenzusetzen, kann allerdings bei Rezipient:innen an die Grenzen stoßen, für die Angst keine zu überwindende Schwäche, sondern Teil ihrer Persönlichkeit ist." (Hollerweger 2023) Die gewachsenen Ängste sind in der Regel ja eine Konsequenz aus evolutiven Vorteilen, lebensweltlichen Erfahrungswerten etc.; auch dann, wenn sie dysfunktionale Blüten treiben. Auch diese Perspektive lässt sich aus dem Buch präparieren, was für die Vielschichtigkeit sprechen mag, die eben nicht nur die 'Häuslichkeit' der Ente aufs Korn nimmt, sondern im Umgang der Maus mit ihr die Hilfe zur Selbsthilfe über eine wie auch immer denkbare forcierte Heilung stellt. Obwohl (mutige) Kinder und die meisten Vorlesenden sicherlich Szenen wie diese, in der das "Oh" der Ente auf die Feststellung der Maus, dass sie bereits angekommen sind, ummünzen werden darauf, dass die Ente nur zu ihrem Glück gezwungen werden musste.

Ente ist aber, wenn sie erst beim Biber sitzt, ebenso wenig 'objektiv' wahrnehmend: Der im Hintergrund dräuende Staudamm stellt letztlich die größte Gefahr dar, wie Maurus (2022) schon bemerkt hat. Dass Ente diese reale Bedrohung für nicht gefährlich erachtet, lässt sich entweder als positiver Lerneffekt der erfolgreichen Reise werten (oder im Sinne von 'Vertrauen überwindet Angst'; vgl. Maurus 2022; oder als "besondere Komik", wie Hollerweger [2023] mit Verweis auf ein Interview mit dem Künstlerduo Fehr/Kolly ausführt). Oder, und dafür plädiere ich, als andere Seite der Medaille einer liebenswürdigen Antihelden-Figur, die emotional aus dem Tritt geraten und am Ende des Textes mitnichten geheilt ist – die Ängste vor der Rückreise nämlich zeichnen sich schließlich rekurrent ab.

Aber auch diese "[w]ird schon schiefgehen, Ente!"

 

Hinweis: Der vorliegende Kommentar von Nils Lehnert orientiert sich an und übernimmt Teile der Pressemeldung zur Preisverleihung, bevor er über die sowohl darin wie auch im Klappentext und der Rezension von Kim Maurus angelegte psychologische Lesart kritisch nachdenkt und dabei mit der Laudatio zum Bilderbuch von Elisabeth Hollerweger weitgehend übereinstimmt.