Das Kapitel über die deutschen Kinderstars in den Anfangsjahren des Films ist bis heute nicht geschrieben, denn für eine umfassende Darstellung fehlt das Material. So sind von vielen Filmen nur noch die Titel bekannt. Vor allem die frühen Filme wurden mehrfach umgeschnitten und umgetitelt, von einigen sind lediglich Fragmente erhalten. Und nur bei den Protagonisten, die auch als Jugendliche und später als Erwachsene vor der Kamera standen und deren Namen in die Filmgeschichte eingegangen sind – wie beispielsweise Curt Bois – gab es ein filmhistorisches Interesse an den Karriere-Starts.

Curt Bois (geb. am 5.4.1901 in Berlin) war der erste Kinderstar des deutschen Films. Als er sechs Jahre alt wurde, erhielt er zum Geburtstag ein kleines Theater aus Pappe mit Stoffpuppen:

Beim Aufstellen brach es zusammen. Ich habe Tage und Nächte geschuftet, dann war es so weit: Robinson Krause, ein Schiffbrüchiger aus Berlin, mein erstes Werk. Alle waren aufgefordert, der Premiere beizuwohnen. Eintritt fünf Pfennige, Kinder das Doppelte... Der Vorhang senkte sich nach zwei Stunden Spieldauer. Atemlose Stille. Aha, sie brauchen Zeit, um es zu verarbeiten. Vorsichtig lugte ich durch ein kleines Loch im Vorhang. Niemand da. Die ganze Familie spurlos verschwunden. (Bois 1982, S.10)

Doch der kleine Curt ließ sich nicht beirren. Er machte weiter:

Ich war Theaterdirektor, engagierte Schauspieler und Statisten, nahm Stücke an oder lehnte sie meistens ab, schrieb Steuer- und Freikarten aus, gab Pressekonferenzen. Das komplette Ensemble für Schauspiel, Oper, Operette und Ballett setzte ich aus mir selbst zusammen. Alles nahm ich auf mich, selbst das Bitterste: mein eigenes Publikum spielen zu müssen. (Bois 1982, S. 10)

Bretter, die die Welt bedeuten

Schon mit sieben Jahren spielte Curt Bois seine erste Bühnenrolle. Er begleitete seine ältere Schwester Ilse eher zufällig in das Theater des Westens, wo sie vorsprechen wollte. Doch anstelle seiner Schwester wurde der vorwitzige Curt als Heinerle in Leo Falls Der fidele Bauer engagiert. Die erfolgreiche Premiere fand am 23.10.1908 statt und das Heinerle-Duett mit der österreichischen Schauspielerin und Sängerin Grete Dierkes wurde als Schallplatte und Postkartenserie vermarktet. Das Lied kam auch als Tonbild der Operette durch die Deutsche Bioscop in die Kinos, weitere filmisch erfasste Szenen aus der Bühnenfassung mit dem "talentvollsten Kinderschauspieler Berlins" (Kino-Werbetext) folgten kurz danach. Curt Bois erinnert sich, wie er im Oktober 1909 sich erstmals an der Seite von Grete Dierkes auf der Kinoleinwand sah:

Wir hatten unser Heinerle-Duett verfilmt, stumm natürlich. Dazu spielte eine Grammophonplatte, die vorher aufgenommen wurde. Wenn die Platte mit unseren Mundbewegungen im Film übereinstimmte, war das der erste Tonfilm. (Bois 1982, S. 14)

Sein Auftritt als Heinerle machte Curt Bois über Nacht populär und es wundert nicht, dass er kurz darauf für den Film engagiert wurde. In einem Interview anlässlich einer Retrospektive seiner Filme bei den 33. Internationalen Filmfestspielen Berlin 1983 blickt Curt Bois auf seine Anfänge zurück:

Es gab ein Café in der Kochstraße. Da saßen alle, Erwachsene und Kinder, die engagiert werden sollten. Also eine Filmbörse. Dann kam ein Aufnahmeleiter und sagte, er brauche ein Kind, und sollte sich die Kinder aussuchen, die ihm zusagten. Da bin ich sofort aufgestanden und habe gesagt: 'Hier, ich bin's!' 'Gut, du bist engagiert.' (Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin 1983, S. 6)

Von der Bühne zum Film

Seine ersten Filmauftritte hatte Bois in Mutterliebe (1909) und Der kleine Detektiv (Heinrich Bolten-Baeckers, 1909). Er spielte Kinderrollen in verschiedenen Stummfilmen wie Sapalipopett, Bauernhaus und Grafenschloß und Stuart Webbs und wirkte in Des Pfarrers Töchterlein (Adolf Gärtner, 1912; mit Henny Porten), Streichhölzer, kauft Streichhölzer (Alwin Neuß, 1916) und Die Austernprinzessin (Ernst Lubitsch, 1919) mit. In einigen der frühen Filme ist seine Schwester Ilse seine Partnerin; etwa in einer Reihe von Max und Moritz-Filmen, frei nach Wilhelm Busch. 

Über diese ersten Filme von Curt Bois schreibt Thomas Brandlmeier in CineGraph:

Seine Auftritte […] sind zwar keine komischen Rollen, aber sie verraten bereits sein ganzes komisches Talent. Wie er mit der Kamera kokettiert, wie er immer etwas zuviel macht, zu schnell agiert, mit den Armen wie mit den Beinen voraus ist, das ist Groteske; ein Kinderstar und ein Korkenzieher.

Zu seinen ersten Filmen, in denen er eine Hauptrolle spielte, zählt Willys Streiche – Klebolin klebt alles (Heinrich Bolten-Baeckers, 1909). Willy ist ein gewitztes Kerlchen, der Anderen gerne Streiche spielt. Mit dem Klebstoff Klebolin beschmiert er nicht nur die Hosenböden seiner Spielkameraden, die anschließend an einem Bretterzaun festkleben, sondern auch eine Parkbank, auf der sich Erwachsene ausruhen möchten. Willy schreckt auch nicht vor dem Wachhäuschen eines Polizisten zurück, der seinen Posten verlässt, um mit seiner Geliebten zu flirten. Als sein Vorgesetzter auftaucht und der verliebte Polizist hektisch seinen Platz aufsucht, nimmt die Katastrophe ihren Lauf.

Seine ersten Filme sah sich Curt Bois schon als Kind gerne im Kino, im Olympia-Theater in der Kantstraße, an:

Ach, diese lehrreichen Kulturfilme im Vorprogramm! Bad Harzburg im Nebel – Die Berge rufen, der Mensch schweigt – Wetterleuchten auf der Jungfrau. Leider sind die Billetts nach einer halben Stunde abgelaufen. Der Abreißer ruft 'Die nächsten bitte!' Vorher spritzte er Fichtennadelduft, damit die nächsten nicht den Schweiß der vorigen riechen. (Bois 1982, S. 13)

Karriere, Exil und Rückkehr

Während der Zeit des Ersten Weltkrieges trat Bois als "Salonhumorist" in Kabaretts und Varietés auf; in den 20er Jahren war er als Kabarettist und Operettenkomiker ein Publikumsliebling; unter der Regie von Max Reinhardt und Erwin Piscator entwickelte er sich zum Charakterdarsteller. 1932 drehte er seine letzten Filme in Deutschland. Die Jahre des Exils führten ihn 1934 über Prag, Wien, London und Paris nach New York. Es gelang ihm, in Hollywood Arbeit zu finden. Er erhielt zwar keine Hauptrollen, doch in über vierzig Filmen spielte er in Nebenrollen mit, u.a. gab er den Taschendieb in Casablanca (Michael Curtiz, 1942).

Bis 1950 blieb Bois in den USA. Dann kehrte er nach Deutschland zurück, wo er in München und Berlin seine Bühnenkarriere fortsetzte und noch einige Filmrollen übernahm, u.a. 1955/60 den Puntila in der Brecht-Verfilmung von Alberto Cavalcanti – eine Rolle, die er bereits Anfang der 1950er Jahre beim Berliner Ensemble unter der Regie von Brecht gespielt hatte.

Bis gegen Ende der 1980er-Jahre spielte er in über 100 Filmen mit. Mit einer gut acht Jahrzehnte überspannenden Leinwandpräsenz blickt Bois neben Jack Totheroh, Johannes Heesters, Mickey Rooney und Milton Berle auf eine der längsten Filmkarrieren der Welt zurück. Curt Bois starb am 25.12.1991 in Berlin.

Literatur

  • Bois, Curt: Zu wahr, um schön zu sein. Berlin: Henschel, 2., veränderte Auflage, 1982.
  • Bois, C.: So schlecht war mir noch nie. Aus meinem Tagebuch. Königstein/Ts, 1984.

Abbildungsverzeichnis

Titelbild: Curt Bois (links) mit Fritz Kortner. Quelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-P047613 / CC-BY-SA

 

(Dieser Text ist ein Auszug aus dem Artikel von Horst Schäfer, (1) 1896-1918: Die Flegeljahre des Kinos und das Goldene Zeitalter der Kinematographie)