Thomas Brussig wurde am 19.12.1964 (nach manchen Quellen 1965) im Ostteil Berlins als Sohn eines Bauingenieurs und einer Sonderschullehrerin geboren und wuchs im Stadtteil Prenzlauer Berg auf. Nach seiner Schulzeit von 1971 bis 1981 absolvierte er eine vierjährige Berufsausbildung zum Baufacharbeiter und machte Abitur. Es folgte der Grundwehrdienst in der Nationalen Volksarmee (Bereitschaftspolizei). In den Jahren bis 1990 ging er wechselnden Tätigkeiten als Museumspförtner, Reiseleiter, Fremdenführer und Hotelportier nach.

Aufgewachsen und sozialisiert in der ehemaligen DDR, bezeichnet Brussig die deutsche Wiedervereinigung als prägenden "Bruch" in seinem Leben, der auch seine schriftstellerische Karriere beeinflusste (vgl. Kasaty 2007, S. 28). Nach dem Ende der DDR begann er zunächst ein Soziologie-Studium an der Freien Universität Berlin, das er jedoch 1993 zugunsten eines Studiums der Film- und Fernsehdramaturgie an der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg abbrach. 2000 schloss er sein Studium mit Diplom ab.

Seit Erscheinen seines zweiten Romans Helden wie wir (1995) ist Brussig freiberuflicher Schriftsteller und Drehbuchautor. Der sportbegeisterte Autor lebt in Berlin und Mecklenburg. 

Da sich Brussigs Romane wiederholt intensiv mit dem Leben in der DDR, der deutschen Wiedervereinigung und den Nachwendejahren beschäftigen, wird der Autor häufig als Vertreter der so genannten "Wende-Literatur" bezeichnet. Dabei zeigt sich die Bandbreite des Autors in der Vielfalt seiner Erzählstile und wechselnder Perspektiven. Durch die Orientierung an gesprochener Sprache und einer bewusst einfachen Ausdrucksweise verleiht Brussig seinen Werken einen ganz eigenen Klang.

Sein Debütroman Wasserfarben (1991) wurde zunächst unter dem Pseudonym Cordt Berneburger veröffentlicht und kann als autobiographischer Adoleszenzroman gelesen werden. Anton Glienicke, der Ich-Erzähler, schildert episodenhaft seine Zeit als Schüler einer Ostberliner Oberschule und die Suche nach einer Lebensperspektive nach dem Abitur, wodurch die letzten Jahre der DDR aus Sicht der Jugend nachgezeichnet werden. Sorgen und Ängste eines jungen Mannes werden mit systemimmanenten Problemen eines totalitären Staates verknüpft, weswegen die Geschichte des Heranwachsens auch Züge der littérature engagée trägt. Nach Brussigs eigener Aussage wurde das Romanmanuskript ausgerechnet am 09.November 1989 beim Berliner Aufbau-Verlag eingereicht (vgl.: Kasaty 2007, S.19) – wegen der politischen Wirren der Zeit erschien es aber erst mit Verzögerung. Aufmerksamkeit von Kritik und Lesepublikum wurde dem Roman aber erst nach Erscheinen der Erfolgsbücher Helden wie wir und Am kürzeren Ende der Sonnenallee entgegengebracht.

Eine ganz andere Version einer DDR-Jugend findet sich in Helden wie wir (1995). Der Roman wurde von den Feuilletons als der lang ersehnte "Wenderoman" gefeiert und verhalf Brussig zum Durchbruch in der Literaturszene. Im Roman lässt der Ich-Erzähler mit dem unaussprechlichen Namen Klaus Uhltzscht einen amerikanischen Journalisten – und mit diesem den Leser – an seiner (fiktiven) Autobiographie teilhaben und erzählt Anekdoten über seine Geburt am 20. August 1968 (dem Tag der blutigen Beendigung des "Prager Frühlings") bis zum Ende der DDR 1989. Klaus, Sohn einer Hygieneinspektorin und eines Stasi-Mitarbeiters, berichtet in Umgangssprache von seinem Leben als "Sachenverlierer", "Flachschwimmer" und "Toilettenverstopfer". Der tumbe, exhibitionistisch veranlagte Protagonist wird schließlich Mitarbeiter der Stasi, womit Brussig gleich zwei Tabuthemen im Roman verbindet: eine perverse Sexualität und den Staatssicherheitsdienst. Beides wird durch die satirische Erzählweise mehrfach ins Lächerliche gezogen und grotesk überhöht. So sind Klaus' Stasi-Kollegen als "ignorant[e], spießig[e] und stumpfsinnig[e]" (Emmerich 1996, S. 501) Figuren gezeichnet, die Salzstangen knabbernd nicht einmal das eigene Vokabular beherrschen ("'…OV heißt Optimaler Vorwand.' 'Oppositioneller Vorfall', verbesserte Grabs. 'Operativer Vorgang', sagte Wunderlich." Helden wie wir).

Doch auch die kriminellen Machenschaffen der Stasi werden ungeschönt berichtet: Observation, Wohnungseinbrüche und Kindesentführung. 1989 rettet Klaus dem Generalsekretär Erich Honecker durch eine Blutspende das Leben und bringt kurz danach ungewollt die Berliner Mauer zu Fall: Nicht das Volk und die Friedliche Revolution werfen die Mauer um, sondern die Grenzsoldaten weichen vor Klaus´ überdimensioniertem, entblößtem Penis zurück und öffnen die Grenzen. Raffiniert stattet Brussig seinen Roman mit DDR-Vorurteilen, authentisch-historischen Ereignissen und Figuren sowie einem Antihelden aus, der in der literarischen Tradition des Pikaro steht.

Helden wie wir wurde mehrfach aufgelegt und in diverse Sprachen übersetzt. Dem Bestseller folgten eine Bühnenfassung (UA Berlin 1998) und eine Verfilmung (Sebastian Peterson, Deutschland 1999).

Vom satirischen Erzählton aus Helden wie wir ist im Roman Am kürzeren Ende der Sonnenallee (1999) nichts mehr geblieben. Vor Erscheinen des Romans verfasste Brussig gemeinsam mit dem Regisseur Leander Haußmann das Drehbuch zum Film Sonnenallee (1999) – Film und Roman gehen auf die gleiche Ursprungsidee Brussigs zurück und stellen das gleiche Figurenpersonal in den Vordergrund, unterscheiden sich ansonsten aber in ihren inhaltlichen Schwerpunkten und der Erzählweise.

Im retrospektiven Episodenroman geht es um den Alltag einer Jugendclique in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren in Ostberlin. Protagonist Micha Kuppisch und seine Freunde interessieren sich für Musik, Mädchen und Autos und erleben ihre Adoleszenz ganz selbstverständlich in direkter Nähe zur Berliner Mauer. Die von einem Er-Erzähler geschilderten Ereignisse scheinen auf den ersten Blick in ihrer Trivialität unpolitisch und fast nostalgisch, doch thematisiert der Roman sowohl physische wie psychische Schädigungen der Menschen durch den autoritären SED-Staat und wirft am Ende die Frage nach Möglichkeiten der DDR-Erinnerung auf.

Wie es leuchtet (2004) ist Brussigs bislang komplexester Roman über die deutsche Wiedervereinigung und führt diverse Perspektiven auf die Geschehnisse 1989/90 vor. Parallel werden auf über 600 Seiten Erlebnisse von 20 Figuren verschiedener sozialer Schichtung und Herkunft erzählt und geschildert, wie es ihnen in dieser prägenden Zeit ergeht. Erstmals wählt Brussig auch einen westdeutschen Blick auf das Ende der DDR. Der Roman lässt sich auch als Schlüsselroman lesen. Es lassen sich beispielsweise Parallelen zwischen der Biographie der Figur Gisela Blank und des realen Gregor Gysi erkennen, womit narrativ codiert Anspielungen auf die außerliterarische Welt vorgenommen werden. Das Echo der Literaturkritik auf den Roman fiel kontrovers aus. Während einige Rezensenten in ihm den großen Wenderoman sahen, warfen andere dem Autor vor, seiner eigenen, unverwechselbaren ironischen Erzählweise verlustig zu gehen und durch die Menge der Figuren an inhaltlicher Tiefe verloren zu haben.

Die Vielseitigkeit des Schriftstellers Brussig zeigt ebenso sich in seiner Beteiligung an Drehbüchern: Helden wie wir (Sebastian Peterson, Deutschland 1999), Sonnenallee (Leander Haußmann, Deutschland 1999), Heimat 3 – Chronik einer Zeitenwende (als Koautor; Edgar Reitz, Deutschland 2004), NVA (2005 Regie: Leander Haußmann).

Für das Udo-Lindenberg-Musical Hinterm Horizont schrieb Brussig die Buchvorlage (UA Potsdam 2011). Darüber hinaus verfasste er zahlreiche Theaterstücke. Im Melodrama Heimsuchung. Schauspiel für fünf Personen (UA Mainz 2000) rechnet eine ehemalige DDR-Punkband nach der Wiedervereinigung blutig mit einem Stasi-Denunzianten ab. Eine thematische Verbindung von Fußball und DDR-Vergangenheit wird in Monolog eines Fußballtrainers (UA Hannover 2000) bzw. in der längeren Bühnenfassung  Leben bis Männer (UA Berlin 2001) geknüpft. Ein alternder DDR-Fußballtrainer beschwert sich über die Siegermentalität des Westens. Ähnlich gestaltet ist der Monolog Schiedsrichter fertig (UA Nürnberg 2008), wobei hier ein Fußball-Schiedsrichter über seine Vergangenheit schimpft. Einige dieser Texte erschienen auch in Buchform, wobei Brussigs Fußballtexte sehr gemischte Reaktionen in der Fachwelt hervorriefen. Im Auftrag der Berliner Boulevard Zeitung B.Z. schrieb Brussig den Reportage-Roman Berliner Orgie (2007) über Prostitution und Bordelle.

Populärrezeption

Mit seinen zeithistorischen Romanen hat Thomas Brussig offensichtlich den Nerv der Zeit getroffen und sich als einer der erfolgreichsten deutschen Gegenwartsautoren etabliert. Seine Werke erzielen hohe Auflagen und sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. 1996 kürte ihn die Zeitschrift Theater heute zum Nachwuchsautor des Jahres. 1998 erhielt er gemeinsam mit Leander Haußmann den Drehbuchpreis der deutschen Bundesregierung für die Vorlage zum Film Sonnenallee. Als weitere Preise erhielt er den Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster (1999) und die Carl-Zuckmann-Medaille (2005). 

Wissenschaftliche Rezeption

Brussigs Werke sind zunächst wegen ihrer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit von Interesse für die deutsche Literaturwissenschaft und werden der so genannten "Wende-Literatur" zugerechnet. Da sich der Autor bereits Mitte der 1990er Jahre an Tabuthemen (z.B.: Stasi) heranwagte, gilt er als Wegbereiter einer literarischen Vergangenheitsbewältigung. Des Weiteren wird der satirisch-komische Erzählton Brussigs in zahlreichen Studien herausgearbeitet und als bahnbrechend bezeichnet (vgl. Kormann 2000, Widmann 2009). 

Sein Debütroman Wasserfarben wird oft mit Jerome D. Salingers Catcher in the rye (1951) und Ulrich Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. (1973) verglichen, was Brussig in die Tradition großer Erzähler stellt. 

Die meisten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen finden sich zu Helden wie wir. Mehrfach wurde der Roman in die Tradition des Schelmenromans eingeordnet (vgl.: Gebauer 2006) und dem grotesken Realismus zugerechnet. Die intertextuellen Referenzen im Roman sind zahlreich. Besonders verwiesen sei auf die Auseinandersetzung mit Christa Wolf als DDR-Schriftstellerin. Brussigs Ich-Erzähler dekonstruiert Wolf als moralische Leitfigur der Friedlichen Revolution und spottet über ihre Werke (Wolfs Romantitel Der geteilte Himmel (1963) wird zur Kapitelüberschrift Der geheiligte Pimmel veralbert), besonders über die Erzählung Was bleibt (1990). 

Obwohl Brussig, meist wegen Am kürzeren Ende der Sonnenallee, mehrfach als (n)ostalgisch kritisiert wurde, muss festgehalten werden, dass sich seine Texte immer wieder selbstreferenziell mit narrativer Gestaltung von Erinnerung und Gedächtnis auseinandersetzen.

Literatur

  • Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München: Beck, 2002.
  • Brüns, Elke: Generation DDR? Kindheit und Jugend bei Thomas Brussig, Jakob Hein und Jana Hensel.  In: Konkurrenzen, Konflikte, Kontinuitäten. Generationenfragen in der Literatur seit 1990. Hrsg. von Andrea Geier und Jan Süselbeck. Göttingen: Wallstein, 2009. S. 83-101.
  • Deiters, Franz-Josef: Brussig, Thomas. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Band 2. 2., vollst. überarb. Aufl. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann. Berlin u.a.: De Gruyter, 2008. S. 240-242.
  • Dieckmann, Christoph: Klaus und wie er die Welt sah. Der junge Ostberliner Autor Thomas Brussig hat den heißersehnten Wenderoman geschrieben. In: Die Zeit (08.09.1995). Emmerich, Wolfgang: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweit. Neuausgabe. Leipzig: Kiepenheuer, 1996.
  • Gebauer, Mirjam: "Blinde werden sehend". Mythos Mauerfall und Thomas Brussigs Roman Wie es leuchtet. In: Mythisierungen, Entmythisierungen, Remythisierungen. Zur Darstellung der Zeitgeschichte in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur. Hrsg. von Edgar Platen und Martin Todtenhaupt. München: Iudicium, 2007. S. 25-38.
  • Dies.: Wendekrisen. Der Pikaro im deutschen Roman der 1990er Jahre. Trier: Wissenschaftlicher Verlag, 2006.
  • Geier, Andrea: Brussig, Thomas. In: Metzler-Lexikon DDR-Literatur. Autoren - Institutionen – Debatten. Hrsg. von Michael Opitz. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2009. S. 58-60.
  • Glawion, Sven: Heterogenesis. Männlichkeit in deutschen Erzähltexten 1968 - 2000. Darmstadt: Büchner, 2012.
  • Hollmer, Heide: Brussig, Thomas. In: KLG. Dies.: Brussig, Thomas. In: Metzler Lexikon Autoren. 4., aktual. und erweit. Aufl. Hrsg. von Bernd Lutz und Benedikt Jeßing. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2010. S. 102-103.
  • Kasaty, Olga Olivia: Ein Gespräch mit Thomas Brussig. In: Entgrenzungen. Vierzehn Autorengespräche über Liebe, Leben und Literatur. Hrsg. von Olga Olivia Kasaty. München: text+kritik, 2007. S.15-40.
  • Kormann, Julia: Satire und Ironie in der Literatur nach 1989: Texte nach der Wende von Thomas Brussig, Thomas Rosenlocher und Jens Sparschuh. In: Mentalitätswandel in der deutschen Literatur zur Einheit (1990-2000). Hrsg. von Volker Wehdeking. Berlin: Erich Schmidt, 2000. S. 165-176.
  • Kraft, Thomas: Brussig, Thomas. In: LGL. Magenau, Jörg: Kindheitsmuster. Thomas Brussig oder Die ewige Jugend der DDR. In: aufgerissen. Zur Literatur der 90er Jahre der DDR. Hrsg. von Thomas Kraft. München/Zürich: Piper, 2000. S. 39-51.
  • Reimann, Kerstin E. : Schreiben nach der Wende – Wende im Schreiben? Literarische Reflexionen nach 1989/90. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2008.
  • Widmann, Andreas Martin: Kontrafaktische Geschichtsdarstellung. Untersuchungen an Romanen von Günter Grass, Thomas Pynchon, Thomas Brussig, Michael Kleeberg, Philip Roth und Christoph Ransmayr. Heidelberg: Winter, 2009.