Zunächst einmal wünschen wir Ihnen alles Gute nachträglich. Mit 85 Jahren kennen Sie die Kinder- und Jugendbuchbranche sicherlich wie Ihre Westentasche. Wie hat sich die Branche in den letzten Jahrzehnten Ihrer Meinung nach entwickelt und wie ist diese Entwicklung zu bewerten?

Soweit ich den Überblick habe (und er reicht nicht sehr weit) sehe ich eine zunehmende Anzahl von Kinderbüchern, bei denen nicht eine spannende,humorvolle, fantastische Geschichte erzählt werden, sondern bestehende soziale und umweltbezogene Themen angesprochen werden.

Was sind Ihre literarischen Vorbilder, sofern Sie welche haben?

Das sind alles Autoren/innen, die für Erwachsene schreiben. Virginia Woolf, Katherine Mansfield, Arno Schmidt, Jorge Luis Borges und Georg Christoph Lichtenberg.

Was ist Ihr Lieblingsbuch aus ihrer Kindheit bzw. Jugend?

Da mein Vater nichts vom Lesen hielt und es eher als Zeitverschwendung angesehen hätte, besaß ich kein Kinderbuch. Dazu muss ich allerdings anfügen, dass es in meiner Kindheit außer Karl May und Johanna Spyri kaum Kinderbücher gab.

Wie sind Sie auf die Idee zur Sams-Reihe gekommen?

Die Hauptperson des ersten Sams-Bandes war nicht das Sams, sondern Herr Taschenbier. Ich hatte ein lebendes Vorbild für die Figur, und wollte ihm im Buch eine Gegenfigur zuordnen, die all das verkörperte, was er aus Schüchternheit nicht auslebte. Die Figur "Sams", die am Samstag kommt, hatte ich zuerst für das Theaterstück Der König in der Kiste erfunden. Danach verschwand sie erst mal drei Jahre in der Schublade, bis ich sie zu neuem Leben erweckte.

Wie haben Sie die Coronajahre erlebt und zu welchen Situationen hätte eine häusliche Quarantäne in der Familie Taschenbier geführt?

Ich persönlich habe die Coronajahre mit der häuslichen Quarantäne dazu genutzt, zwei neue Bücher zu schreiben. Das Sams hätte Corona ignoriert und wäre fröhlich durch die Stadt gehopst.

In Ihren (verfilmten) Werken Sams im Glück, Lippels Traum und Herr Bello und das blaue Wunder ist die Sehnsucht nach einer „heilen“ Familie bestehend aus Vater, Mutter und Kind subtil ein relativ zentrales Motiv. Wie wichtig sind Ihnen traditionelle Familienmodelle?

Ich hoffe, dass sie auch in Zunft noch bestehen und den Kindern Halt und Sicherheit geben.

Literaturverfilmungen werden häufig im Vergleich zu den literarischen Vorlagen (problematischerweise) als defizitär angesehen. Wie stehen Sie zu Literaturverfilmungen im Allgemeinen?

Ich finde, die beiden Künste stehen gleichberechtigt nebeneinander: Literatur und Filmkunst.

Wie gefallen Ihnen die Verfilmungen zu den o.g. Titeln (Sams im Glück, Lippels Traum und Herr Bello und das blaue Wunder)?

Da ich zu allen das Drehbuch schrieb, sind die Verfilmungen im Großen und Ganzen so geworden, wie ich sie mir vorgestellt hatte, Mein Favorit ist der erste Sams-Film.

Sie haben als Kinderbuchautor eigentlich schon alles erreicht. Gibt es trotzdem noch Ziele für Sie?

Nachdem ich jetzt zwei „Erwachsenenbücher“ für den S. Fischer-Verlag schrieb, habe ich große Lust, weiter und mehr für ein erwachsenes Lespublikum zu schreiben.

Wie gefallen Ihnen die neuen Illustrationen der Sams-Reihe von Nina Dulleck, gerade auch im Vergleich zu Ihren eigenen aus den Erstausgaben?

Nina bringt -wörtlich- eine neue Farbe in den Sams-Kosmos und trifft den Geschmack heutiger Kinder mehr als meine Bücher. Eine typische Situation: Nach einer Lesung strömen die Kinder zum Büchertisch und greifen nach den Dulleck-Büchern, aber die Mutter sagt: „Nein, wir kaufen das hier. Das habe ich als Kind schon geliebt“. Auf diese Weise finden auch meine Bücher noch Käuferinnen.

Gerade sind Adaptionen von Kinder- und Jugendbüchern als Serien sehr im Trend. Welche Ihrer Bücher würden Sie am liebsten als Fernseh- oder Streamingserie sehen? Gibt es vielleicht sogar konkrete Pläne?

Konkrete Pläne (und einen Vertrag) gibt es für eine Verfilmung von Wie alles kam. Für meine Kinderbücher gibt es keine Anfrage. Gut geeignet wären In einem tiefen dunklen Wald, Kartoffelkäferzeiten oder mein Theaterstück Klaras Engel.

Welche konkreten Projekte haben Sie für die nahe Zukunft, sofern Sie uns dies verraten wollen bzw. dürfen.

Gerade illustriert mein Enkel Hannes Maar ein Buch mit dem Arbeitstitel Die Tochter der Zauberin, das 2024 erscheinen wird, außerdem versuche ich mich an einem neuen Sams-Buch. Ich bin aktuell auf Seite 38 und überlege, wie ich die Geschichte weiterführen könnte, und warte auf eine zündende Idee. Früher rannte ich meinen Ideen hinterher, bevor sie durch neue überstülpt wurden, heute warte ich geduldig darauf, dass sich eine neue schneckengleich heranschleicht.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview und viele, viele weitere erfolgreiche Jahre wünschen wir Ihnen!

Infokasten
2023 feiert das Sams seinen 50. Geburtstag, denn 1973 erschien der erste Band von Paul Maars zum Klassiker avancierter Buchreihe. Unter dem Titel Fünfzig Jahre voller Samstage Paul Maars Sams-Romane wirft Andreas Wicke aus diesem Anlass auf KinderundJugendmedien.de Monat für Monat Schlaglichter auf eines der erfolgreichsten Projekte der deutschsprachigen Kinderliteratur, insgesamt zwölf Beiträge sind geplant. Hier geht es zum ersten Beitrag mitsamt Überblick über die Themen der Artikelreihe.

 

Interview Maar Paul 2018 3 Sonja Och RGBPaul Maar beim Entwerfen von Illustrationen. (c) Sonja Och