Anna Zamolska: Liebe Frau Lademann, Sie sind die Tochter der Übersetzerin Lena Lademann-Wildhagen (1904-1975), die in den 50er Jahren die Chroniken von Narnia für den Herder-Verlag übersetzt hat. Erinnern Sie sich an diese Zeit? Hat Sie die Übersetzungsarbeit Ihrer Mutter in Ihrer Kindheit begleitet? Hat sie Sie als kindliche Leserin für ihre Texte konsultiert?

Dr. Gabriele Lademann-Priemer: Nein, sie hat mich als Kind nicht konsultiert, das wäre ihr kaum in den Sinn gekommen; ich war damals etwa 12-14 Jahre alt, als die deutschen Ausgaben erschienen, aber natürlich haben wir darüber gesprochen. Ich habe ihr jedoch die Schreibmaschinenseiten beinahe aus der Maschine gerissen, um weiterzulesen, habe sogar später versucht, das eine oder andere Englisch zu lesen. Meine kindliche Phantasie haben die Geschichten sehr angeregt. Es war schließlich die Zeit, in der von der Grundschule an bis in die Oberschule hinein die Märchen der Brüder Grimm vorgelesen wurden; Hauffs Kunstmärchen, Griechische Sagen in der Ausgabe von Gustav Schwab waren Allgemeingut, Legenden, Volkslieder ebenfalls.

Wie ist es dazu gekommen, dass Ihre Mutter die Bücher von C. S. Lewis übersetzt hat?

Die Antwort ist ziemlich einfach. Herder suchte offenkundig für die Narniabücher einen Übersetzer, und meine Mutter wurde von Jacob Hegner in Köln empfohlen, der gerade die Romane von Bruce Marshall übersetzte. Hegner hat außerdem die Trilogie von Lewis „Out of the Silent Planet“, „Perelandra“ und „That Hideous Strength“ übersetzt, letzteres unter dem deutschen Titel „Die Böse Macht – Nicht gegen Fleisch und Blut allein“.  Damals sollten übrigens bei Herder alle, die mitarbeiteten, Kirchenmitglieder und möglichst katholisch sein, meine Mutter gehörte nie zur Kirche, aber das blieb Herder verborgen. Ich hatte später den Auftrag von Herder für ein Büchlein über den westafrikanischen Voodoo, der Lektor und ich haben gemeinsam sehr über die alten Zeiten gelacht.

Hat sie alle sieben Chroniken von Narnia für den Herder Verlag übersetzt?

Nein, sie hat The Magician’s Nephew unter dem Titel Die Geheimnisvolle Tür (1957) übersetzt; der 2. Band The Lion, the Witch, and the Wardrobe, deutsch: Die Abenteuer im Wandschrank wurde von der bekannten Lisa Tetzner 1957 übersetzt. Meine Mutter hat außerdem die beiden Bände The Horse and his Boy / Der Ritt nach Narnia (1958) sowie Prince Caspian / Die unverhoffte Wiederkehr (1959) herausgebracht. Ich kann mich vage erinnern, dass meine Mutter wohl auch noch an einer Übersetzung von Last Battle gearbeitet haben könnte, weiß es aber nicht mehr genau. Sie ist 1974 unter dem Namen Hans Eich bei Aschendorff erschienen als Die Tür auf der Wiese. Die beiden übrigen Narniabücher The Voyage of the Dawn Treader und The Silver Chair wurden erst auf Deutsch bekannt, als die Chroniken von Narnia in einer Gesamtausgabe erschienen sind. Nach dem Narniabänden hat meine Mutter für den Herder Verlag noch einige weitere Kinder- und Jugendbücher übersetzt, so unter anderem Lösegeld für einen Ritter, ein Mittelalterroman mit historischem Hintergrund, sowie Die Schmuggler vom krähenden Hahn, eine Geschichte aus der Londoner Unterwelt zur Zeit des ersten Buchdrucks.

Hatte Lena Lademann direkten Kontakt zu C. S. Lewis, um ihm Fragen zu stellen?

Nein. Sie hat ihm Ende der fünfziger Jahre einmal einen Brief geschrieben und sich sozusagen ihm vorgestellt, er hat höflich geantwortet. Vermutlich liegen Brief und Antwort in dem Lewis-Archiv in England.

 

Abb. 1: Gabriele Lademann-Priemer (Foto: privat)

Hat Lena Lademann über die Texte von C. S. Lewis gesprochen oder aus der Perspektive der Übersetzerin mit seiner Schreibweise gehadert oder sich mit ihr wohlgefühlt?

Sie hat wohl die einfache Erzählweise bewundert und den kindgerechten Stil, der nicht ohne Tiefsinn war. Lewis war ein Meister der Sprache. Schwierigkeiten bereitete die Übersetzung der Namen. Wie nennt man ein Eichhörnchen, das in wörtlicher Übersetzung Klapperzweig heißen würde, was im Deutschen holperig klingt. Also wurde Flitzeflink daraus. Heute werden Namen teilweise gar nicht mehr übersetzt, aber für Lewis hatten Namen eine Bedeutung, wie man an den „Märchen für Erwachsene“ sehen kann, der Trilogie um die Reise zum Mars und zur Venus, Malacandra und Perelandra. Man müsste diese Romane wohl eher der Science-Fiction- als der Märchenliteratur zuordnen.

Gelegentlich gab es mit dem Verlag Reibereien um die Übersetzung von Namen, z.B. fand meine Mutter, dass ein geflügeltes Pferd eben Pegasus heißt, damals ein gängiger Begriff aus der griechischen Mythologie. Herder machte aber Flügeling (in: Die Geheimnisvolle Tür) daraus, was m.E. nicht sehr originell ist und schwerfällig klingt. Im Original heißt das geflügelte Pferd Fledge, ein Wort aus der Mitte des 16. Jahrhunderts mit der ungefähren Bedeutung „ready to fly“. (Man hätte es so etwa „Flieg-auf“ nennen können).  Warum das Mädchen Susan auf Deutsch Suse heißen musste statt Susanne, war auch nicht einleuchtend. Ebenso hat es Diskussionen um die Titel gegeben. Herder wollte, dass das Buch wie im Englischen „Der Junge und sein Pferd“ heißen sollte, meine Mutter fand es platt und nichtssagend. So wurde Der Ritt nach Narnia daraus, und Herders Wunsch rückte in den Untertitel. Das letzte Wort haben jedoch immer Lektorat und Verlag.

In der Verlagsgeschichte erkennt man sehr schnell ein Loch in der Publikationsgeschichte der Narnia-Bücher. Sie sind in Deutschland erst in den 80 Jahren wieder neu aufgelegt und in den 90er Jahren neu übersetzt worden. Waren sie anfangs nicht erfolgreich?

Narnia war ein Fehlschlag. Es stieß einfach nicht auf Interesse. Die Gründe sind sicherlich vielfältig, hängen vielleicht auch mit der Art englischen Humors zusammen. Herder hat dann die bereits erschienen Ausgaben noch einmal als Taschenbuchreihe veröffentlicht, wann weiß ich nicht mehr. Aber auch das rettete die Bücher nicht. Wahrscheinlich bekamen die Chroniken von Narnia Auftrieb im Zuge der Rezeption und Verbreitung von Tolkiens Werken um Mittelerde. Beide, Lewis und Tolkien, waren Freunde und haben sich regelmäßig ausgetauscht.

Die Geschichten um Narnia wurden vielfach neu illustriert. Haben Sie eine Vorliebe für einen der Künstler? Wissen Sie etwas über den ursprünglichen Illustrator der deutschen Narnia-Bücher, Richard Seewald? Oder warum Herder die Originalillustrationen von Pauline Baynes nicht übernommen hat?

Ich habe die Illustrationen nicht weiterverfolgt. Warum die Illustrationen der englischen Ausgabe nicht übernommen wurden, weiß ich nicht. Eventuell hing es mit urheberrechtlichen Fragen zusammen. Richard Seewald ist mir sonst nie wieder begegnet, ist damals aber offenbar berühmt gewesen. Soeben (Juni 2024) habe ich einen Artikel zu seinen Ehren aus der WELT vom Mai 1973 gefunden (nicht näher datiert). Seewald lebte demnach vielfach in Italien und Griechenland, hatte Architektur studiert und eine Professur in Köln inne und war u.a. bekannt als Kirchenmaler. Ferner hat er Ausgaben von Vergil, Defoe und Kästner illustriert. 

Abb. 2: Lena Lademann (Foto: privat, 1975)

Haben die Bücher von C. S. Lewis Sie auch später im Leben begleitet?

Also später haben wir alle, ich meine in den Oberklassen, die Dienstanweisungen an einen Unterteufel gelesen, zudem habe ich Malacandra und Perelandra gelesen, konnte damit aber damals mit den letzteren wenig anfangen, wohingegen wir die Screwtape Letters amüsant fanden. Der Tiefsinn entging uns jedoch. 

Damit endete meine Geschichte mit Lewis vorerst etwa Mitte der sechziger Jahre. Erst jetzt im Zuge der Beschäftigung mit dem Thema des Trans- und Posthumanismus stieß ich in einer amerikanischen Publikation auf den Hinweis auf Lewis’ The Abolition of Man (1944) und in dem Zusammenhang auf That Hideous Strength (1945), beides habe ich dann sofort gelesen und über That Hideous Strength einen Aufsatz geschrieben, der im Sommer 2024 veröffentlicht wird. Beide Publikationen sind während des 2. Weltkrieges entstanden und haben die Diktaturen des Nationalsozialismus und des Kommunismus im Blick, zugleich setzen sie sich jedoch mit dem frühen Transhumanismus eines Julian Huxley und anderer Naturwissenschaftler sowie der British Eugenics Society auseinander.  Es geht also um die immer noch und immer wieder aktuelle Frage des Szientismus, einer Naturwissenschaft, die sich einbildet oder der zugeschrieben wird, letztgültige Antworten zu geben, dabei aber geflissentlich übersieht, dass auch in der Naturwissenschaft die Ausgangsfrage jeweils über das Ergebnis entscheidet. Damals wie heute kann das politisch benutzt werden. Die seriöse Naturwissenschaft hingegen weiß, dass Wissenschaft nur im Diskurs entsteht und nicht in Festsetzungen besteht.

Im Grunde geht es in That Hideous Strength, 1943 geschrieben und 1945 veröffentlicht, um die Warnung vor einer Diktatur, die weniger einem Diktator zugeschrieben werden kann als technokratischen Strukturen, die das Leben zerstören. Dass die Konditionierung von Menschen bei dem Missbrauch und der Verdrehung von Sprache und Wortgebrauch beginnt, hat Lewis in The Abolition of Man deutlich gemacht anhand eines Greenbook genannten Schulbuchs der fiktiven Lehrer Titius und Gaius.

Wenn ich heute Zeit hätte, würde ich versuchen, eine neue Übersetzung von That Hideous Strength zu machen, obwohl ich weiß, wie vielschichtig Lewis’ Begrifflichkeit ist.

Inzwischen habe ich auch Malacandra (Out of the Silent Planet) und Perelandra wieder gelesen und kann sehr viel mehr damit anfangen als zu Beginn der sechziger Jahre.

Stets geht es Lewis um einen Kampf von Licht und Finsternis, beide werden von jenseitigen Mächten angeführt, die Rettung wird ebenfalls von außerhalb unterstützt, das wird jeweils märchenhaft geschildert. In den Narniabüchern sind es die Kinder, die für die Bewohner aus einer anderen Welt kommen und sie bei ihrem Kampf unterstützen, in Malacandra und Perelandra wird der Kampf mit Hilfe des Erdenbewohners Dr. Ransom geführt, der wiederum in That Hideous Strength von Merlin und der Venus seine Befehle und seine Hilfe bekommt. Immer aber müssen sich die jeweiligen Bewohner bewähren und sich an die Ordnung halten, die in ihr Innerstes gelegt ist. Um den Begriff der (kosmischen) Ordnung dreht sich Lewis’ Denken und sein Christsein. Diese Ordnung, die in jedem Menschen verankert ist, darf nicht übertreten werden, anderenfalls werden Chaos und Finsternis ausbrechen.

Liebe Frau Lademann-Priemer, herzlichen Dank für dieses spannende Interview und die interessanten Einblicke in die Hintergründe der deutschen Publikationsgeschichte von Narnia. Für Ihre weitere Arbeit, die anscheinend auch viel mit C. S. Lewis gemein hat und sich mit seinem Gedankengut beschäftigt, wünscht unsere Redaktion alles Gute. Wir sind gespannt auf Ihren Artikel zu That Hideous Strength!