Herr Strasser, Die Welle ist mittlerweile nicht nur ein moderner Klassiker, sondern auch (wieder) hochaktuell. Insbesondere durch das Aufstreben rechtsextemer politischer Parteien war rechtes Gedankengut nach dem 2. Weltkrieg nie greifbarer als heutzutage. Rechte Parteien verzeichnen Wahlerfolge, sitzen in Parlamenten und bringen demokratische Wertesysteme in Gefahr. Wie können Jugendliche Ihrer Meinung nach anhand Ihres Romans Die Welle oder auch generell zu einer kritischen Haltung gegenüber rechtem Populismus geführt werden?

Die wichtigste Lehre aus Die Welle ist für mich, dass wir Empathie zeigen für Menschen, die anders aussehen, denken, handeln oder fühlen als wir selbst. Ein Merkmal rechter Ideologie ist offenbar fehlende Empathie und sogar Intoleranz gegenüber fast allem, was anders ist. Ich würde mir wünschen, dass in jeder Diskussion über Die Welle auch über Empathie für alle diskutiert wird.

Auf den ersten Blick wirkt ihr aktueller Jugendroman The Good War wie eine Kombination aus Die Welle und Gaming [digital storytelling in Buchform / Digitalität]. Wieviel Die Welle steckt in The Good War?

The Good War habe ich als Ergänzung zu Die Welle geschrieben. The Good War ist gewissermaßen Die Welle für die Gamer-Generationen, die nach der ursprünglichen Die Welle-Generation aufgewachsen sind.

Die beiden erwähnten Jugendromane beinhalten brisante politische Themen rund um die Erstarkung von anti-demokratischen Mächten. Woher kommt diese Präferenz?

Ich war stets der Meinung, dass die Sehnsucht nach einer antidemokratischen Macht aus Angst geboren wird. Angst vor denen, die anders sind, und Angst vor dem Unbekannten. Solange es die Idee der persönlichen Freiheit gibt, wird diese Freiheit bedroht werden von Menschen, die Vorurteile haben und Angst.

Wie tief sind Sie im Rahmen der Recherchen in den E-Sports-Bereich vorgedrungen?

Ich habe viel recherchiert und unter anderem einige e-Sports-Turniere beobachtet.

Haben Sie selbst zu Recherchezwecken auch E-Games gespielt? Wenn ja welche?

Zu der Zeit, als ich für The Good War recherchierte, waren die unterschiedlichen Versionen von Call of Duty besonders beliebt. Also habe ich einige davon gespielt, allerdings nur auf einem sehr niedrigen Niveau.

Sind Sie im Privaten ein Gamer oder gehen Sie anderen Hobbys nach?

Ich war ein größerer Gamer, als mein Sohn klein war und wir zusammen Videospiele spielten. Jetzt beschränkt sich mein Online-Gaming meist auf Schach.

Wie Sie in Ihrem Roman auch schreiben, wissen Jugendliche tatsächlich immer weniger über Weltkriege, insbesondere über den Zweiten Weltkrieg. Wie könnte man dieser Entwicklung aus literarischer - wie Sie es ja auch anhand Ihres Romans aus unserer Sicht tun - und außerliterarischer Sicht entgegenwirken? Wen sollte man gegebenenfalls mehr zur Verantwortung heranziehen?

Kann man nicht beide Sichtweisen verbinden, so dass sie sich gegenseitig unterstützen und verstärken? Wenn ich die aktuellen Ereignisse beobachte, muss ich immer an das Zitat denken: "Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen."  Schätzungsweise starben im Zweiten Weltkrieg weltweit fast 60 Millionen Menschen aus militärischen und nicht-militärischen Bereichen. Es gibt viele eindrucksvolle Werke, Romane und Sachbücher, die jungen Menschen helfen können, die Schrecken des Krieges zu verstehen.

Wurden Sie wegen derartiger Themenfelder schon einmal angefeindet? Der bekannten Illustratorin Bianca Schaalburg wurde anhand ihres mehrfach prämierten Werks Der Duft der Kiefern beispielsweise nach einer Lesung einmal von einer Einzelperson vorgeworfen, Sie würde aus dem Holocaust und der Nazi-Vergangenheit ihrer Familie Kapital schlagen.

Glücklicherweise habe ich keine derartigen Erfahrungen gemacht.

KI-Tools können mittlerweile ganze Bücher oder Kapitel zu gewünschten, mit Prompts gefütterten Themenbereichen schreiben. Nutzen Sie KI in irgendeiner Weise im Rahmen Ihres Schreibprozesses?

KI verwende ich fast täglich für Recherchen, aber ich habe sie noch nie verwendet, damit sie mir beim eigentlichen Schreiben hilft. Ich finde KI sehr hilfreich, um während der Recherche gezielte Antworten zu bekommen, für die ich früher mehrere Webseiten durchlesen musste. Ich finde sie auch hilfreich, um passende Wörter oder Formulierungen für Beschreibungen zu finden. Aber ich war mein Leben lang Schriftsteller und genieße den Prozess des Schreibens. Ich sehe keinen Sinn darin, dass eine Maschine das Schreiben für mich übernimmt, genauso wenig wie ich einen Sinn darin sehen würde, dass eine Maschine für mich Tennis spielt oder eine gute Welle für mich erwischt.

[Anm. Angela Lück: Wellenreiten ist sein Hobby. Zusammen mit seiner Tochter Lia hat er den humorvollen Ratgeber The Lazy Person‘s Guide to Surfing geschrieben (independently published 24. Feb. 2022, 27 Seiten). Auch die Flusswelle im Münchener Eisbach hat er schon ausprobiert. Wir danken Angela Lück sehr herzlich, dass Sie die Interviewantworten von Todd Strasser für KinderundJugendmedie.de ins Deutsche übersetzt hat, da auf diese Weise der Ton und die Prosodie Strassers wiedergegeben wird].

Vielen Dank für dieses aufschlussreiche und offene Interview, Herr Strasser! Wir freuen uns schon sehr auf weitere, die harte Realität flankierende Romane aus Ihrer kreativen Feder.

 

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Porträtfoto ©Todd Strasser