Inhalt

In der Erzählung Böse Jungs von Aaron Blabey wird die Geschichte einer Gruppe von Tieren mit schlechtem Ruf erzählt, die von Mr. Wolf angeführt wird und beschließt, gute Taten zu vollbringen. Mr. Wolf überzeugt seine Freunde – eine Schlange, einen Hai und einen Piranha – eine Bande zu gründen, deren Ziel es sein soll, durch positive Aktionen ihren Ruf zu verbessern. Zuerst retten sie eine Katze vom Baum, was leider nicht entsprechend gewürdigt wird. Ihr zweites Projekt besteht in der Befreiung von 200 Hunden aus einem Tierheim, kann allerdings zu keinem erfolgreichen Ende geführt werden. Die Erzählung demonstriert damit auf humorvolle Weise, dass die Bewältigung der Herausforderungen, die mit dem Heldentum einhergehen, anspruchsvoller ist, als es den Anschein hat.

Kritik

Der Comic wird durch Bilder und Figurenrede erzählt. Gleich auf der ersten Seite wird die Leser*innenschaft direkt angesprochen, indem Mr. Wolf sich und seine Freunde vorstellt mit: "Pssst! Hey, du! Ja, genau du. Komm mal rüber. Ich habe gesagt, dass du rüberkommen sollst." (Blabey, 2016, S. 1–3). Hier wird durch den gezielten Einsatz der Metalepsis die Grenze der Erzählwelt durchbrochen. Dies führt zu einer bewussten Einbeziehung der Leser*innen, wodurch sie sich als Teil der Handlung fühlen. An dieser und ähnlichen Stellen werden sie aufgefordert, sich Szenen vorzustellen oder Fragen zu beantworten, was die Interaktivität erhöht. Diese Erzähltechnik verstärkt das Leseerlebnis und trägt dazu bei, dass die Spannung aufrechterhalten wird, sodass man das Bedürfnis hat, die Geschichte weiter zu verfolgen.

Die immersive Leser*innenansprache wird durch weitere narrative Techniken ergänzt, die ebenfalls die Beziehung der Leser*innen zur Handlung vertiefen. So wird im Comic auch mit intertextuellen Elementen gearbeitet, etwa durch die Vorstellung der ‚Vorstrafenregister‘ der Figuren. Diese Register spielen nicht nur humorvoll mit dem Konzept des Antihelden, sondern greifen bewusst Motive aus bekannten Märchen und Geschichten auf, wie etwa die Szene, in der Mr. Wolf sich als Rotkäppchens Großmutter verkleiden will, um sie zu fressen. Ein weiteres humorvolles Detail ist der im Vorstrafenregister festgehaltene Stichpunkt, dass Mr. Wolf zahlreiche Nachthemden und Pantoffeln gestohlen habe (vgl. Abb. 1). Hier werden die bekannten Prätexte nicht einfach nacherzählt, sondern auf kreative Weise verzerrt und übertrieben dargestellt und aus der Perspektive des Antihelden neu interpretiert. Diese spielerische Umdeutung verleiht dem Comic eine originelle und eigenständige Note. Die Register tragen außerdem nicht nur zur Charakterisierung der Tiere bei, sondern hinterfragen auf subtile Weise die Konventionen von klassischen Helden- und Schurkenrollen. Die metaleptische Ansprache und die intertextuellen Bezüge sorgen dafür, dass die Geschichte unterhaltsam und vielschichtig bleibt. Die Tiere im Comic sind durch Anthropomorphismen gekennzeichnet, ihnen werden also menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen zugewiesen. So können sie beispielsweise auf zwei Beinen gehen, wie Mr. Wolf, sie tragen Kleidung und kommunizieren auf eine Weise, die stark an menschliche Dialoge erinnert. Der Einsatz dieses Stilmittels bewirkt eine erhöhte Identifikation und Zugänglichkeit für die Leser*innenschaft, da die Tiere mit ihren menschlichen Attributen ein leichteres Nachvollziehen ermöglichen. Die Vermenschlichung der Figuren fördert zudem die emotionale Nähe zu ihnen und macht die Handlung auch für ein jüngeres Publikum besonders ansprechend.

 

blabey bösejungs abbAbb. 1: Aaron Blabey: Böse Jungs. Band 1. Köln: Baumhaus Verlag, 2016. S. 9-10.

Die Illustration ist überwiegend in Schwarz-Weiß gehalten und die Figurenrede trägt wesentlich zum Humor und zur Charakterbildung der Geschichte bei. Im Comic ist die Tragikomik ein zentrales Element. In der Literatur können tragische Ereignisse und menschliches Versagen auf humorvolle Weise dargestellt werden oder umgekehrt, humorvolle Situationen werden in eine tragische Geschichte eingebunden (vgl. Kindt, 2011, S.146). Diese Dynamik spiegelt sich u.a. in der Szene wider, in der die Jungs beschließen, 200 Hunde aus einem Tierheim zu befreien, um eine heldenhafte Tat zu vollbringen. Was zunächst wie ein erfolgreicher Plan aussieht, entwickelt sich schnell in eine unerwartet chaotische Situation, die die Figuren sowohl in ihrem Versagen als auch in ihrer (tierischen) Menschlichkeit zeigt. Diese Balance zwischen Humor und Tragik verleiht der Geschichte Tiefe und sorgt gleichzeitig für Unterhaltung. Die Hunde im Tierheim haben große Angst vor ihnen, was der "Gute Jungs"-Club jedoch nicht erkennt. Stattdessen sehen sie ihre Aktion als heldenhafte Tat an. Diese Szene ist nicht nur komisch, sondern auch tief tragisch. Während Mr. Wolf glaubt, den Hunden im Heim wirklich geholfen zu haben, empfinden die anderen Mitglieder des Clubs das Ganze eher als Misserfolg, da die Dankbarkeit der Hunde ausbleibt. Trotz dieser Enttäuschung wird die Szene durch die witzige Interaktion zwischen Mr. Hai, Mr. Piranha und Mr. Snake aufgelockert. Besonders bemerkenswert ist Mr. Piranhas Vorwurf, dass er fälschlicherweise als Mexikaner bezeichnet werde, obwohl er eigentlich Bolivianer sei (vgl. Abb. 2). Dieser Moment geht über den simplen Humor hinaus und hinterfragt selbstreflexiv die Stereotypisierung der Figuren, die auf tierischen und kulturellen Klischees basiert. Der Comic spielt bewusst mit den verschiedenen Eigenschaften und Erwartungen, die den Tieren als Charaktere zugeschrieben werden, und entlarvt sie auf subtile Weise. Diese Meta-Ebene verleiht der Geschichte zusätzliche Tiefe und bietet den Leser*innen die Möglichkeit, über stereotype Darstellungen und deren Auswirkungen nachzudenken. 

blabey bösejungs abb2Abb. 2: Aaron Blabey: Böse Jungs. Band 1. Köln: Baumhaus Verlag, 2016. S. 130-131.

Die verschiedenen Charaktere und ihre individuellen Ansichten prallen immer wieder aufeinander. Die Dialoge zeichnen sich dabei durch eine bemerkenswerte Lebendigkeit aus, die sowohl durch ihren Inhalt als auch durch die Art und Weise ihrer visuellen Darstellung geprägt ist. Ein Beispiel hierfür ist die Wechselwirkung zwischen dem optimistisch-engagierten Enthusiasmus von Mr. Wolf und der nüchternen Realität, wie sie von den anderen Tieren wahrgenommen wird. Mr. Wolf versucht den Jungs zu vermitteln, dass ihre Handlungen nicht auf Dankbarkeit, sondern auf dem positiven Gefühl basieren, das sie selbst dabei empfinden. Sein idealistischer Blick auf die Welt steht im Gegensatz zu den skeptischen und oft zynischen Reaktionen der anderen. Diese Dynamik unterstreicht nicht nur die Tragikomik der Situation, sondern hinterfragt auch traditionelle Heldenbilder. Mr. Wolf vertritt die Vorstellung eines Helden, dessen Wert nicht von äußerer Anerkennung abhängt, sondern von der inneren Überzeugung, das Richtige zu tun. Im Gegensatz dazu zweifeln die anderen, ob ihre Aktionen ohne sichtbare Belohnung wirklich "heldenhaft" sind. Der Comic verhandelt damit ein modernes Verständnis von Heldentum, das weniger auf Ruhm und Anerkennung, sondern auf intrinsischer Motivation basiert – ein positiveres, aber auch anspruchsvolleres Bild eines Helden, das die traditionellen Erwartungen an Heldentum herausfordert.

Die Leser*innen werden dazu angeregt, ihre eigenen Vorurteile zu hinterfragen und darüber nachzudenken, wie diese ihr Verhalten gegenüber anderen beeinflussen könnten. Zudem wird gezeigt, dass der Wunsch allein sich ändern zu wollen, nicht einfach umzusetzen ist und dass bereits Bemühungen "in die richtige Richtung" Anerkennung finden sollten.

Die Gestaltung des Comics zeichnet sich durch eine Kombination aus kräftigen, klaren Linien und einer Schwarz-Weiß-Palette aus, die die Energie und Dynamik der Erzählung einfängt. Jede Seite ist individuell komponiert. Die Nahaufnahmen, die den Fokus auf die Mimik der Charaktere legen, ermöglichen den Leser*innen eine unmittelbare Erfahrung der Emotionen, während die weitläufigeren Einstellungen die Umgebung und die Dynamik der Szenen betonen. Wenn Mr. Wolf der Truppe zeigen möchte, dass es sich gut anfühlt, ein Held zu sein, verdeutlicht die Anordnung der Panels sowohl die Entschlossenheit und den Enthusiasmus der Charaktere als auch deren unterschwellige Unsicherheit. Die Darstellung des Gesichts von Mr. Wolf, das nahezu die gesamte Panelgröße einnimmt und dabei ein breites Grinsen zeigt, fängt den Moment der übersteigerten Begeisterung perfekt ein und zieht die Leser*innen dadurch in ihren Bann (vgl. Abb. 3). Die beständige Veränderung der Perspektive und der Einstellungsgröße erzeugt eine cineastische Atmosphäre, die die Leser*innenschaft unmittelbar in die Handlung hineinzieht und zu einer tragikomischen Wirkung beiträgt. Die filmische Erzählweise erzeugt eine lebendige und fesselnde Leseerfahrung und entwickelt die Handlung in Echtzeit, sodass sie sich vor dem inneren Auge der Leser*innen abspielt. 

blabey bösejungs abb3Abb. 3: Aaron Blabey: Böse Jungs. Band 1. Köln: Baumhaus Verlag, 2016. S. 132-133.

Mit Blick auf die Eignung des Comics für eine jüngere Leser*innenschaft, die noch mitten im Schriftspracherwerb steckt, lässt sich allerdings kritisch anmerken, dass die Schrift nicht konsistent ist und häufig schräg, kursiv oder in wechselnder Groß- und Kleinschreibung dargestellt wird. Die genannten gestalterischen Elemente, die eigentlich zur Dynamik des Comics beitragen, könnten eine Herausforderung darstellen und den Lesefluss stören.

Fazit

Aaron Blabeys Böse Jungs besticht durch seine dynamische visuelle Gestaltung und eine tiefgründige Tragikomik, die Vorurteile aufgreift und hinterfragt. Besonders in Szenen wie der missglückten Rettungsaktion im Tierheim wird die Verbindung von Humor und Tragik deutlich. Die Charaktere, die auf tierischen und kulturellen Stereotypen basieren, sind nicht nur witzig und humorvoll gestaltet, sondern regen durch selbstreflexive Momente auch zum Nachdenken an. Allein die Gestaltung der Schrift kann für jüngere Leser*innen eine Herausforderung darstellen.

Aufgrund seines Humors, der Illustration und der Erzählweise eignet sich Böse Jungs für Kinder ab 8 Jahren. Allerdings können die tragikomischen Helden auch ältere Kinder und Jugendliche ansprechen.

Literaturverzeichnis

Kindt, T. (2011): Literatur und Komik: Zur Theorie literarischer Komik und zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert. Deutsche Literatur, Studien und Quellen. Band 1, Akademie Verlag GmbH, Berlin, S. 146ff.

 

Eine alternative Perspektive auf den Comic Böse Jungs hat Philipp Schmerheim in seiner Rezension

 

 

Titel: Böse Jungs. Band 1
Autor/-in:
  • Name: Aaron Blabey
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: The Bad Guys - Episode 1
Übersetzung:
  • Name: Lisa Engels
Illustrator/-in:
  • Name: Aaron Blabey
Erscheinungsort: Köln
Erscheinungsjahr: 2016
Verlag: Baumhaus
ISBN-13: 978-3-83390423-3
Seitenzahl: 139
Preis: 12,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 8 Jahre
Blabey, Aaron: Böse Jungs. Band 1