Inhalt und Gameplay

Sometimes You Die ist in erster Linie ein sehr reduzierter Puzzle-Platformer. Die Spielenden steuern ein kleines Quadrat durch verschiedene Level mit genretypischen Hindernissen: rotierende Sägeblätter, bodenlose Abgründe, Stachelwände. Doch schnell wird deutlich, dass der Tod hier keine Strafe ist, sondern eine essenzielle Spielmechanik. Stirbt das Quadrat, bleibt es als lebloses Objekt im Level zurück und kann als Plattform genutzt werden, um scheinbar unüberwindbare Hindernisse zu überwinden. Dieser Mechanismus zwingt dazu, strategisch mit dem Tod der Spielfigur umzugehen. Im weiteren Spielverlauf werden zudem typische Handybedienelemente in den Spielfluss mit aufgenommen, sodass die Spielenden etwa das Gerät drehen müssen, um die Gravitation der Spielwelt zu verändern. Diese Einbindung gerätetypischer Mechaniken geht schließlich soweit, dass mit der Einblendung von Pop-Up-Fenstern die vierte Wand durchbrochen wird.

Ästhetisch zeichnet sich das Spiel aus durch seine sehr reduzierte Formensprache. Alle Elemente der Spielwelt sind einfache, schwarze, geometrische Figuren die vor einem einfarbigen Hintergrund platziert sind. Einen narrativen Rahmen gibt es nicht, stattdessen erscheinen im Hintergrund jedes Levelbildschirms Textfragmente, in denen über das Wesen des Spielens und die Rolle der Spielenden sinniert wird.

Sometimes you Die Abb 1Abb. 1: Das Quadrat betritt den Raum. Wie kann der Ausgang erreicht werden? (Sometimes You Die, 2014).

Kritik

Integraler Bestandteil der meisten Videospiele ist es, den Tod der Spielfigur zu vermeiden. Scheitern wird bestraft. Darüber hinaus stellt der Tod der Spielfigur zumeist eine narrative Herausforderung dar (Tocci 2008). Nur wenige Spiele schaffen es, den Tod der Spielfigur zum logischen Bestandteil der Spielhandlung werden zu lassen. Das Roguelike-Game Hades (2020) ist hier eine Ausnahme und ein Paradebeispiel für die gelungene Integration jener Problematik, indem der Tod und die Wiederauferstehung der Spielfigur bestimmendes Spielprinzip sind. Nun ist der Tod in Sometimes You Die zwar auch integraler Bestandteil der Spielmechanik, jedoch wird dieser nicht narrativ, sondern spielphilosophisch legitimiert. Es existiert keine Rahmenhandlung, in die das Spiel eingebettet ist, jedoch wird der Tod und dessen Funktion in fortlaufenden Textfragmenten thematisiert und reflektiert. Andreas Niegls (2024) Überlegungen zu Jacques Lacans Theorie über das Verhältnis von Begehren und Todestrieb im Kontext von Games erweist sich hier indes als spannende Parallele. Dass Games Fragen der Manipulation und Kontrolle der Spielenden thematisieren, ist zwar seit Dave Wredens The Stanley Parable (2011, Ultra Deluxe-Version 2022) und The Beginner´s Guide (2015) ein bekanntes Muster. Dass Sometimes You Die hier jedoch nicht nur ein sehr früher Vertreter derartiger Meta-Games ist, sondern dabei auch noch ein Mobil Game darstellt, ist eine große Besonderheit. 

Gleich zu Beginn konfrontiert Sometimes You Die die Spielenden mit einer Kernfrage des Spiels, auf die es zugleich auch einige Antworten bereithält: „Warum denkst du, das ist ein Spiel? […] Weil es Regeln folgt? Weil du von links nach rechts gehst? Was ist es, das du ‚Spiel‘ nennst?“ – Jedes Level beinhaltet kurze Textpassagen, die die Spielenden direkt adressieren. Hierin thematisiert sich das Spiel in medienreflexiver Manier nicht nur direkt selbst als Spiel, es problematisiert auch den Spielbegriff und die damit verbundenen Erwartungen der Spielenden. Auf die eingangs gestellte Frage nach dem Wesen des Spiels heißt es entsprechend wenig später: „Es ist eine Lüge. Seit der ersten Bewegung glaubst du, die Regel zu kennen. Von einer Welt, die nicht existiert.“ Um dem Ganzen mehr Nachdruck zu verleihen, werden die Regeln sogleich geändert. Spieltheorie und Spielpraxis gehen hier Hand in Hand.

Sometimes You Die nutzt die Erwartungshaltung der Spielenden, um mit den Genrekonventionen zu brechen. Nicht nur, dass es den Tod der Spielfigur als Ressource versteht und damit eine Grundregel des Videospiels auf den Kopf stellt. Es entsagt auch aktiv typischen Belohnungsmechanismen oder dem Grundprinzip, dass ein Spiel ein Ende besitzt. Denn das Spiel endet nicht, es loopt.

Neben der Verkehrung typischer Spielprinzipien durchbricht das Spiel wiederholt die vierte Wand. So heißt es etwa an späterer Stelle: „Du vertraust einem Versprechen. Dass ich die Regeln nicht ändere. Dass es eine Lösung gibt. Dass du die Lösung findest.“ Dieses Spielversprechen wird im Folgelevel sodann auf sehr kluge Weise direkt gebrochen. Dort heißt es: „Ich habe nichts versprochen. Ich könnte dich für jedes Level zahlen lassen.“ Anschließend präsentiert das Spiel den Spielenden eine App Store-Benachrichtigung, wie sie typisch ist für In-App-Käufe. Die Option „nicht kaufen“ existiert nicht. Das Level für eine horrende Summe freizuschalten, scheint die einzige Möglichkeit zu sein. Sometimes You Die parodiert hier jedoch nicht nur die Monetarisierungsstrategien von Mobile Games. Die Pop Up-Box ist auch ein architektonisches Element innerhalb der Spielwelt, das als Plattform genutzt werden muss, um weiterzukommen – eine ausgesprochen kluge Implementierung und Reflexion der Spieleplattform und ihrer Eigenheiten. 

Sometimes you Die Abb 2Abb. 2: Die vierte Wand bricht. (Sometimes You Die, 2014).

Ein klassisches Ende gibt es in Sometimes You Die nicht, stattdessen läuft das Spiel in einer Endlosschleife weiter, bei der neue, unlösbare Levelräume und ein finales Rätsel ergänzt werden. Zuletzt bricht die vierte Wand abermals: Eine SMS des Entwicklers. – Und dann endet das Spiel doch, irgendwie.

 Fazit

Sometimes You Die ist mehr als nur ein Spiel – es ist ein Kommentar zum Medium selbst und auch mehr als elf Jahre nach seiner Erscheinung noch eine Besonderheit auf dem Videospielmarkt. Es nutzt die Eigenheiten des Smartphones als Spieleplattform, um nicht nur spielmechanisch zu überzeugen, sondern auch eine tiefere Reflexion über das Wesen des Spielens anzuregen. Indem es den Tod als Spielfortschritt einsetzt und nicht nur Genrekonventionen, sondern auch die vierte Wand durchbricht, gelingt es dem Game, eine außergewöhnliche Spielerfahrung zu schaffen, die lange nachhallt. Wer bereit ist, sich auf ein Spiel einzulassen, das die eigenen Erwartungen ständig hinterfragt, wird mit einer der klügsten und provokantesten Spielerfahrungen im Mobile-Gaming-Bereich belohnt. Da sich das Spiel vor allem durch seine spielphilosophischen und medienreflexiven Momente auszeichnet, die ein gewisses Spiel- und Genrewissen voraussetzen, ist es erst ab einem Alter von zwölf Jahren zu empfehlen.

Literatur

Tocci, Jason: "You Are Dead. Continue?": Conflicts and Complements in Game Rules and Fiction. In: Eludamos. Journal for Computer Game Culture 2 (2008) 2. S. 187–201.

Niegl, Andreas: "The Wild and Awful Pursuit of an Indefinite Object". Desire, Randomness and the Death Drive in Roguelikes. In: New Skills Unlocked. Kulturwissenschaftliche Analysen und Theorien von Games. Hrsg. v. Tamara Bodden u. Rebecca Bachmann. Glückstadt: Werner Hülsbusch 2024. S. 51-68.

Titel: Sometimes You Die
Autor/-in:
  • Name: Philipp Stollenmayer
Plattformen: Mobile Game iOS, Mobile Game Android
USK: 6 Jahre
Entwicklungsstudio: Kamibox
Erscheinungsjahr: 2014
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
Kamibox: Sometimes You Die