Inhalt

Dass die Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart in ihren Erscheinungsformen weder vom Phänomen der Medienverbünde noch jenem der Serialität zu lösen ist, ist fast schon ein kinderliteraturwissenschaftlicher und didaktischer Allgemeinplatz. Blickt man auf aktuelle Neuerscheinungen, springt einem dieser Befund sofort ins Auge: Populäre Kinder- und Jugendliteratur bindet sich an die Vermarktung im Medienverbund und das Erscheinen in Serie (man denke nur an Harry Potter, Conni, Hanni und Nanni, Die Fünf Freunde, Die Drei ???, TKKG – die Beispielreihe ließe sich bis ins Unendliche fortsetzen). Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich auch die kinderliteraturwissenschaftliche -und didaktische Forschung  dem Phänomen der Serialität in zunehmendem Maße annimmt. Auf die Pionierarbeiten von Petra Anders und Michael Staiger (Serialität in Literatur und Medien) sowie Ute Dettmar folgt nun der von Ina Brendel-Perpina und Anna Kretzschmar herausgegebene Band, dessen Beiträge aus der Tagung Von Samsen, Detektiven und Banden in Folge. Kinder- und jugendliterarische (Buch-)Serien im Deutschunterricht hervorgegangen sind, die im Wintersemester 2019/2020 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt stattgefunden hat. In der Terminologie auf seinen Gegenstand bezogen unterteilt sich der Band in drei sog. Staffeln: Im ersten Teil finden sich Grundlagenbeiträge, die sich dem Phänomen des Seriellen aus unterschiedlichen Perspektiven widmen. Hier gelangen Zugriffe der empirischen Fachdidaktik (Andrea Bertschi-Kaufmann/Steffen Siebenhüner), der Digitalität (Petra Anders) und der konkreten Unterrichtsplanung (Karina Becker) in den Fokus, gefolgt von zwei weiteren Blöcken, die sich einerseits dem Bilder- und Kinderbuch in Serie zuwenden, andererseits der Serialität und ihrem Potenzial für die Sekundarstufe.

Kritik

Wegen der Vielfalt der Gegenstände bringt die Lektüre der einzelnen Beiträge fast eine gewisse Leichtigkeit mit sich, die sich nicht etwa aus mangelnder Wissenschaftlichkeit speist, sondern aus der den Serien eingeschriebenen populärkulturellen Verortung und deren teilweise leichtere Lesbarkeit. Gerade deshalb handelt es sich aus literaturdidaktischer Perspektive um wichtige Inhalte, sind es doch gerade solche populären Serien, mit  denen Kinder lesen lernen, an die sich Begeisterung, Lesemotivation und Lesefreude binden. Aus diesem Grund darf sich ein moderner Literaturunterricht, der sich zum Ziel setzt, die Schülerinnen und Schüler zum Lesen zu bringen, der seriellen Kinder- und Jugendliteratur nicht verschließen – und ebenso wenig darf dies eine Literaturdidaktik, die Leseinteressen der Schülerinnen und Schüler ernstnimmt. So ist zunächst die Auswahl der Gegenstände, die in diesem Band verhandelt werden, lobend hervorzuheben, insofern als hier Texte ins Blickfeld gelangen, die viele Kinder gerne lesen und die von Literaturdidaktik- und kritik meist mit einem gewissen Argwohn betrachtet werden – Beispiele hierfür sind die Beiträge über Die Schule der magischen Tiere (Laura Mogl) oder über Die Knickerbocker-Bande (Georg Huemer).

Zunächst führt die Herausgeberin Ina Brendel-Perpina in das Themenfeld der Serialität ein, indem sie diese als zentrales Merkmal der Populärkultur akzentuiert. Nachfolgend kommt mit Frank Maria Reifenberg eine Autorenperspektive ins Spiel, der (obgleich er selbst keine serielle KJL verfasst, und wenn dann nur im Team, wie etwa bei der Schattenbande mit Gina Mayer) in einem kurzen essayistisch angelegten Beitrag eine Lanze für die kindlichen Rezeptionsmodi bricht, indem er einige "Gedanken dazu, warum wir Kindern (auch)mit schlichten Lesestoffen einen Gefallen tun" (so der Titel) notiert. Damit ist der Auftakt gelegt – der serielle, bunte Reigen kann beginnen, der Lesende wird in die Welt der (populären) Serien entführt.

Dass der empirisch fundierte Forschungsbericht von Bertschi-Kaufmann und Siebenhüner aus dem TAMoLI-Projekt die Grundlagen einleitet, ist von der Anlage her überzeugend, zeigt er doch auf, dass "fast 52% der von den Schüler/innen als Lektürewunsch angegebenen Buchtitel" (S. 30) serielle Texte betreffen, sodass die eingangs betonte Relevanz des Themas einmal mehr betont ist. Petra Anders schlägt sodann eine "Brücke zwischen der Serialitäts- und Digitalitätsforschung" (S. 35) und argumentiert überzeugend dafür, "dass das Prinzip des Seriellen grundlegend in der Digitalität verankert ist und weitreichende lese- und literaturdidaktische Konsequenzen nach sich zieht". (S. 34).

Während die hier entwickelten Thesen Grundlagenarbeit leisten und zeigen, "dass nicht nur Serialität ein Teil der der Digitalität ist, sondern dass vielmehr die Kultur der Digitalität serielle Produktion, Distribution und Rezeption verlangt" (S. 45), wirft der Beitrag von Karina Becker Fragen auf. Sie fasst die Serialität als Unterrichtsprinzip auf und plädiert auf Basis einer motivationspsychologischen Argumentation für eine serielle Unterrichtsplanung, die den Deutschunterricht strukturell wie eine Serie inszeniert und terminologisch von Staffeln spricht statt von Unterrichtseinheiten. Aus unterrichtspraktischer Perspektive erschließt sich der Mehrwert eines solchen Zugriffs nicht unmittelbar, denn die hier implizite Integration von Sprach- und Literaturunterricht ist nicht angewiesen auf eine künstliche hergestellte Serien-Terminologie (wie es auch Bredel und Pieper in ihrer Integrativen Deutschdidaktik schon 2015 gezeigt haben, die ganz ohne solche Kunstgriffe auskommt).

Die oben betonte Leichtigkeit der Lektüre beginnt spätestens mit der Versammlung der vielseitigen unterrichtspraktischen Beiträge, die allesamt sehr lesenswerte Analysen enthalten: Marlene Zöhrer blickt auf das serielle Erzählen in den Bilderbüchern Dreieck, Quadrat und Kreis von Marc Barnett und Jon Klasen, Ines Heiser widmet sich den seriellen Medienverbünden von Petterson und Findus. Sandra Siewert zeigt nachdrücklich, "dass das vielfach kritisierte Medium Erstlesebuch vom seriellen Erzählen profitieren kann" (S. 103). Lea Grimm stellt in Anlehnung an Hartmut Rosas Resonanzpädagogik den Wert der realen Begegnung in der Autorenlesung heraus, was sich in Lockdown- und Corona-Zeiten besonders brisant liest. Unter diesen unterrichtspraktischen Beiträgen mit konkretem Text- bzw. Serienbezug mutet der grundlegende Beitrag von Ina Henke, die ein Modell zum literarischen Lernen an Serien vorlegt, wie ein Fremdkörper an. Henke stellt "eine Beschäftigung mit der Logik des Seriellen in vier Schritten" (S. 143) vor, die sie an Lemoney Snickets Eine Reihe betrüblicher Ereignisse exemplifiziert – auch bei diesem Beispiel erscheint es wenigstens diskussionsbedürftig, ob es in der "Staffel" mit Fokus auf die Primarstufe gut aufgehoben ist und sich nicht eher für die frühe Sekundarstufe eignet. Der angemessene Platz für Henkes Grundlagen-Artikel wäre in der ersten "Staffel" gewesen.

Die dritte und letzte "Staffel" widmet sich der Serialität und ihrem Potenzial für die Sekundarstufe und versammelt heterogene Einzelaufsätze, die sehr unterschiedliche Zugriffe auf das Phänomen der Serialität wählen. Nils Lehnert liefert eine sehr feinsinnige narratologisch fundierte Analyse von Finn-Ole Heinrichs viel beachteter Maulina Schmitt-Trilogie.

Gleich zwei Beiträge (Jana Mikota, Andy Sudermann) wenden sich der Intertextualität in Kirsten Boies Thabo-Serie zu, und breiten Raum nehmen die populären Hörspielserien Die drei ??? und TKKG ein (Thorsten Pohl, Raphael Krause, Sebastian Bernhardt, Dominik Achtermeier), wobei hier der sprachdidaktisch motivierte Ansatz von Pohl heraussticht, der die Hörspielserien im Hinblick auf die Epistemisierung des Unterrichtsdiskurses (verstanden als Entwicklungsbewegung, bei der erkanntes Wissen in der Schulzeit zunehmend zu abstrahiertem, systematisierten und intersubjektiv ausgehandelten Wissens wird) hin untersucht und fragt, "ob es denkbar ist, dass Schüler/innen durch Detektivgeschichten (der KJL) etwas für den Sprachgebrauch in der Schule lernen". (S. 205) Im Ergebnis arbeitet Pohl eine Überlegenheit der Drei ??? gegenüber TKKG heraus, denn die vom Verfasser sog. Watson-Figuren "Peter und Bob vermitteln nicht nur, was Justus denkt, sondern auch, wie er spricht". (S. 214) Sebastian Bernhardt nimmt auf diesen Befund in seinem nachfolgenden Beitrag zur Detektion und moralischen Wertung in TKKG und Die drei ??? unmittelbar Bezug, sodass hier eine literatur- und sprachdidaktische Vernetzung entsteht, die bei vielen anderen Artikeln des Sammelbands leider ausbleibt. So sucht man in den von Aufsätzen von Mikota und Sudermann, die beide die Intertextualität in Kirsten Boies Thabo-Serie in den Blick nehmen, vergeblich nach Querverweisen. Zudem finden sich zahlreiche Redundanzen, da fast alle Texte einleitend definitorische Grundlagen zur Serie liefern und diese von der Reihe abgrenzen und dabei leider nicht auf die basalen Definitionen verweisen, die die Beiträge aus der Grundlagen-"Staffel" umfassend liefern. Das ist schade, schmälert aber nicht den Gesamtwert des Sammelbandes, der es schafft, die Erscheinungsformen der Serialität in der KJL stärker zu konturieren und in ihrer Wertigkeit und Vielfalt zu unterstreichen, als dies bisher geschehen ist.

Die eingangs betonte Nähe zur Populärkultur, die für einen modernen Literaturunterricht von hoher Relevanz ist, erreicht in den letzten den Band beschließenden Beiträgen einen Höhepunkt: Hier geraten Derek Landys Serien Skulduggerry Pleasant und Demon Road (Michael Stierstorfer), Alex Wheatles Crongton-Reihe (Marlene Antonia Illies) und die audiovisuelle Serie Pretty little liars (Inger Lison) in den Blick.

Fazit

Die Lektüre des Bandes ist allein wegen der Vielfalt der Beiträge lohnenswert. Wenngleich einige Redundanzen zu verzeichnen sind und die Artikel untereinander stärker hätten vernetzt werden können, ist der Band im Hinblick auf weiterführende Forschung zum seriellen Erzählen höchst ergiebig, allein deshalb, weil die Auswahl der Gegenstände nah an den empirischen Leserinnen und Lesern bleibt und sich auch vermeintlich trivialen und literarästhetisch wenig komplexen Texten nicht verschließt. Vor diesem Hintergrund liefert der Band auch zahlreiche Anregungen für einen modernen Literaturunterricht, der die Schülerinnen und Schüler in ihren Interessen ernstnimmt.

Titel: Serialität in der Kinder- und Jugendliteratur. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven
Herausgeber:
  • Name: Brendel-Perpina, Ina
  • Name: Kretzschmar, Anna
Erscheinungsort: Baltmannsweiler
Erscheinungsjahr: 2021
Verlag: Schneider
ISBN-13: 978-3-8340-2118-2
Seitenzahl: 280
Preis: 24,00 €
Brendel-Perpina, Ina/Kretzschmar, Anna (Hrsg.): Serialität in der Kinder- und Jugendliteratur. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven