Inhalt und Kommentierung

Das einleitende Interview zwischen Natalie Beck, Sebastian Bernhardt und Frank Maria Reifenberg vermittelt nicht nur Einsichten in Reifenbergs poetologische Selbstreflexionen, sondern veranschaulicht auch sein Verständnis von Autorschaft in einer zunehmend digitalisierten Gegenwartskultur. Auf diese Weise nimmt der Schriftsteller eine Positionierung im Literaturbetrieb vor. Die anschließenden fünf Hauptsektionen entfalten die Bandbreite von Reifenbergs literarischem Schaffen in einer überwiegend literaturwissenschaftlich-didaktischen Doppelperspektive.

Der erste Teil (A. Literarische Sozialisation mit Frank Maria Reifenbergs Werken) setzt bei der Rezeption an und fragt nach der Bedeutung von Reifenbergs Texten für die literarische Sozialisation. So veranschaulicht beispielsweise der Beitrag von Christine Garbe, wie insbesondere leseferne Jungen durch die thematische wie auch formale Vielfalt der Romane zum Lesen motiviert werden können. Lea Grimm hingegen widmet sich den aus der Pandemiezeit resultierenden digitalen Autor:innenbegegnungen und gelangt zu der Erkenntnis, dass sich diese auch in postpandemischen Zeiten im Rahmen des Distance Learnings als überaus tragfähig erweisen (vgl. S. 62).

Die Beiträge der zweiten Sektion (B. Narratologische Besonderheiten – Erzählerische Verwirrspiele im didaktischen Blick) legen ihren Fokus auf die narratologischen Besonderheiten der Romane. In sorgfältigen Analysen wird die für Reifenberg mitunter charakteristische Unzuverlässigkeit der Erzählinstanzen in den Beiträgen von Natalie Beck/Sebastian Bernhardt u.a. unter dem Wahrheitsaspekt exemplarisch an den metafiktionalen Romanen des Autors aufgezeigt und ihr didaktisches Potenzial im Hinblick auf das literarische  Lernen in der Primarstufe herausgestellt. Ines Heiser widmet sich in ihrer Analyse dem unzuverlässigen Erzählen in Identity X – Wer ist Boston Coleman? (2022) und erläutert unter Hinzuziehung von Projekt Lazarus. In den Fängen der KI (2021) den Einfluss von „Erzählstrategien und Erzählinstanzen auf Sinnbildung und Leseerlebnis“ (S. 127). Auch die weiteren Beiträge von Janika Frei/Karla Solbach, Claudia Priebe sowie Henriette Hoppe demonstrieren in überzeugender Weise die didaktische Anschlussfähigkeit von Lenny unter den Geistern (2018), Stay Alive. Das ist kein Spiel (2022) und Projekt Lazarus. In den Fängen der KI (2021).

Der dritte Teil (C. Historisches Erzählen in Reifenbergs Jugendromanen) widmet sich dem historischen Erzählen in Reifenbergs an Jugendliche adressierte Texte und Medien. Kirsten Kumschlies, Lisa Ingermann und Shaimaa Ahmed Elsaghir Tawfik gelingt in ihren thematisch unterschiedlich gewichteten Beiträgen, die Gratwanderung zwischen Faktualität und Fiktionalität am Beispiel von Wo die Freiheit wächst. Briefroman zum Widerstand der Edelweißpiraten (2019) (Text und Hörspieladaption) darzustellen und daraus didaktische Implikationen für den Umgang mit historischen Stoffen im Literaturunterricht und auch für den universitären DaF-Literaturunterricht abzuleiten. Sebastian Bernhardt und Johanna Tönsing erweitern die historische Perspektive schließlich durch eine postkoloniale Lesart von An den Ufern des Orowango (2023), einem Roman, der sich der Ausstellung von Menschen in Zoos zu Beginn des 20. Jahrhunderts annimmt.

Im vierten Abschnitt (D. Diversität und Problemorientierung in Reifenbergs Werken) wird die gesellschaftliche Relevanz von Reifenbergs literarischem Schaffen sichtbar. So greifen seine Kinder- und Jugendromane aktuell in gesellschaftlichen Diskursen geführte Themen wie Geschlechteridentität, Inklusion und Diversität mit bemerkenswerter Sensibilität und zuweilen mit Hilfe von Verfremdungseffekten auf. Die Beiträge von Eva-Maria Dichtl, Larissa Carolin Jagdschian und Susanne Drogi demonstrieren, wie diese Themen mit Herr K macht Wiau! (2021), Landeplatz der Engel (2019) und Zimmer frei in der Knispelstraße 10 (2019) anschlusskommunikativ im Literaturunterricht der verschiedenen Jahrgänge vermittelt werden und mitunter auch einen Beitrag zur Wertevermittlung leisten können.

Den Abschluss (E. Serielle Strukturen in Reifenbergs Werken) bilden die dezidierten Analysen von Raphael Krause, Jana Mikota/Nadine J. Schmidt und Yvonne Hörmann zu serieller Literatur, hier am Beispiel von Reifenbergs Die Schattenbande (2014–2015) exemplarisch dargestellt. Serialität, Intertextualität und Metaserialität werden gleichermaßen beschrieben und für das literarische Lernen erschlossen. Die Beiträge verweisen nicht nur auf die intertextuellen Bezüge zu Klassikern wie Erich Kästners Emil und die Detektive (1929), sondern auch auf das didaktische Potenzial von Concept Maps als Instrumente literarischen Verstehens. Damit öffnet sich der Band auch methodisch für innovative Unterrichtsansätze.

Fazit

Die aufschlussreichen Beiträge des Bandes vermitteln ein facettenreiches Bild von Reifenbergs literarischem Schaffen. Insgesamt betrachtet überzeugt der Sammelband durch seine stringente Gliederung, die systematisch von rezeptionsästhetischen Fragestellungen über narratologische und historische Analysen bis hin zu gesellschaftlichen Themenfeldern und strukturellen Erzählweisen führt. Jede Sektion ist so angelegt, dass sie einerseits literaturwissenschaftliche Präzision gewährleistet und andererseits konkrete Perspektiven für die schulische Praxis eröffnet. Die Kohärenz dieser Struktur und die interdisziplinäre Ausrichtung machen den Band zu einem überaus wertvollen Beitrag innerhalb der Kinder- und Jugendbuchforschung, dessen Erkenntnisse für die schulische Praxis eine hohe Relevanz aufweisen, indem wichtige Impulse für den Literaturunterricht in Primar- und Sekundarstufe gegeben werden.

Titel: Frank Maria Reifenbergs Werke im literaturdidaktischen Fokus
Herausgeber:
  • Name: Sebastian Bernhardt
Erscheinungsort: Berlin
Erscheinungsjahr: 2023
Verlag: Frank & Timme
ISBN-13: 978-3-7329-0908-7
Seitenzahl: 380
Preis: 68,00€
Türkises Cover zu Sebastian Bernhardts Sammelband Frank Maria Reifenbergs Werke im literaturdidaktischen Fokus. Ein Bild zeigt das Profilfoto des Autors mit einer Reihe von schriftlichen Buchtiteln dieses