Inhalt
Die Menschheit hat endlich die Utopie einer perfekten Welt erreicht. Armut gibt es nicht mehr, Kriege sind nicht mehr notwendig und Regierungen wurden allesamt aufgelöst. Wissen, das einst unendlich schien, ist nun vollkommen errungen und wird in dem Thunderhead, einem bewussten Netzwerk, das alles verbindet und das Leben regelt, für jeden zugänglich gemacht.
Sogar der Tod wurde besiegt. Die Menschheit ist so nah an der Unsterblichkeit, wie noch nie. Um jedoch Überbevölkerung zu vermeiden, müssen die Menschen auch in dieser Welt sterben. Für diese Aufgabe wurde das Scythetum erschaffen. Die Scythe sind die Hüter des Todes, sie werden ausgebildet, um die Balance wiederherzustellen und nach einer bestimmten Quote zu töten,
aber offiziell nennen wir es nicht töten. Diese Bezeichnung ist gesellschaftlich und moralisch inkorrekt. Von Anfang an und bis heute heißt es nachlesen, nach der Art, wie die Armen in biblischen Zeiten den Wegen der Weinbauern gefolgt sind, um einzelne vergessene Reben aufzulesen. Es war die früheste Form der Wohlfahrt. Genauso ist die Arbeit eines Scythe. (9)
Die 16-jährigen Citra und Rowan werden aus ihrem Alltag gerissen, als Scythe Faraday sie als seine neuen Lehrlinge auserwählt. Widerwillig erlernen sie das Handwerk von ihm, wohl wissend, dass einer von ihnen zum Scythe ernannt werden wird. Unter Faradays Führung entwickeln die beiden nicht nur eine tiefe Verbindung zueinander, sondern auch ein Verständnis für die Aufgaben eines Scythe. Was sie jedoch noch nicht wissen, ist, dass nicht jeder Scythe so mitfühlend und traditionell wie Faraday ist.
Auf der anderen Seite stehen der blutrünstige Goddard und seine Gruppe von Junior-Scythe, bekannt durch ihre brutalen Massennachlesen und ihre exzessiven Partys. Bei der Frühlingskonklave, eine der jährlichen Treffen des Scythetums, schafft es Goddard, Citra und Rowan gegeneinander auszuspielen; Derjenige von ihnen, der zum Scythe ernannt wird, muss als ersten Auftrag den anderen nachlesen.
Kritik
"Bald stehen Citra und Rowan auf unterschiedlichen Seiten und kämpfen doch um das Gleiche: das perfekte Leben, das richtige Sterben, ihre Liebe." (Klappentext)
Ein Blick auf den Klappentext lässt Scythe – Die Hüter des Todes aussehen wie ein weiterer dystopischer (oder doch utopischer?) Roman mit einem tragischen Liebespaar im Mittelpunkt, das die Regierung stürzt, wie beispielsweise in bekannten Trilogien wie Die Tribute von Panem oder Die Bestimmung. Neal Shusterman gelingt es jedoch, aus dieser altbekannten Grundidee etwas Unerwartetes und Außergewöhnliches zu schaffen.
Scythe – Die Hüter des Todes ist in fünf Teile mit insgesamt 40 Kapiteln gegliedert. Diese werden abwechselnd aus Citras und Rowans personaler Erzählperspektive geschildert, wobei einzelne Kapitel aus der Perspektive außenstehender Nebenfiguren geschrieben sind. Auf jedes Kapitel folgt ein Eintrag aus dem Nachlesetagebuch eines der Scythe, die meisten stammen hierbei von Scythe Curie. Diese Tagebucheinträge veranschaulichen dem Leser nicht nur die Welt, in der der Roman spielt, sondern geben ihm auch Einsicht in die verschiedenen Gefühlswelten. Curie erklärt sowohl die Gesellschaft und den Status der Scythe in eben dieser, als auch die Regeln und Vorschriften, an die sie sich halten müssen, gleichzeitig sinniert sie darüber und bietet so Einblicke in ihre Gedankengänge.
Als ich noch viel naiver war, dachte ich, die Gebote der Scythe würden dank ihrer Einfachheit einer genauen Überprüfung standhalten. Egal aus welchem Blickwinkel man sie betrachtete, sie ließen keinen Spielraum für Interpretationen. Nach vielen Jahren als Scythe bin ich sowohl irritiert als auch entsetzt darüber, wie vieldeutig und elastisch sie sein können. Im Hinblick auf Dinge, die wir rechtfertigen und entschuldigen wollen. (86)
Dadurch, dass die Perspektive hauptsächlich zwischen Rowan und Citra hin und her wechselt, ist die große Entwicklung beider Figuren besonders deutlich. Die zwei Lehrlinge entwickeln sich in vollkommen entgegengesetzte Richtungen weiter und vor allem bei Rowan, der es etwas schwerer mit der Lehre hat, sind sein Leidensweg und dessen Bewältigung sehr gut zu sehen. Der recht sachliche Ton des Buches schafft eine gewisse Distanz zu dem Leser, die den nötigen Spielraum lässt, über das Geschehene und dessen Bedeutung nachzudenken. Besonders im Kontext von Rowans Entwicklungsphase trägt dieser Spielraum dazu bei, dass der Leser noch mehr mit ihm mitfühlen und mitfiebern kann.
Dieser sachliche Schreibstil passt zudem besonders gut zu der Thematik des Buches: Der Preis einer perfekten Welt. In dieser Welt, in der alles erreicht wurde, hat der Mensch nichts mehr, nach dem er streben kann. Niemand macht sich mehr die Mühe, sich etwas von dem errungenen Wissen anzueignen, schließlich kann nichts Neues mehr erreicht oder entdeckt werden. Interessant an diesem Setting ist außerdem, dass nicht der Thunderhead, die 'Maschine', die die vollkommene Kontrolle über die Menschheit hat, der Feind ist, wie es oft in futuristischen Büchern und Filmen der Fall ist, stattdessen sind es die Menschen selbst. Die Welt von Scythe – Die Hüter des Todes ist also keine schwarz-weiße Welt, sondern eine, die viele Grauzonen und Nuancen hat. Diese sind allein schon in dem Scythetum als isoliertem Umfeld ersichtlich, da die Scythe alle unterschiedliche Ansichten und Prinzipien bezüglich ihrer Tätigkeit haben, sie aber alle innerhalb ihrer Richtlinien bestehen, egal wie unmoralisch sie zu sein scheinen. Hierbei stellt sich natürlich die Frage, ob dieser Roman noch eine Utopie darstellt, oder ob es sich nicht doch schon um eine Dystopie handelt.
Shusterman ist die Einführung dieser doch recht komplexen Welt außergewöhnlich gut gelungen. Statt mithilfe eines Monologes einer Figur oder ewig langen, deskriptiven Passagen innerhalb der Erzählung, stellt er die notwendigen Informationen auf sehr verständliche Weise dar. Diese sind gut portioniert auf die Handlung und auf die Tagebucheinträge verteilt. Der Leser erfährt demnach mit der Zeit immer mehr über die Umstände und wird Stück für Stück in das Scythetum eingeführt, sodass stets genug Zeit ist, alles Erfahrene zu verarbeiten, bevor es mit der Handlung weiter geht. Dieser langsame Einstieg nimmt dem Roman jedoch in keinster Weise die Spannung, er ist durchgehend ereignisreich. Auf jede überraschende Wendung folgt schon die nächste, eine unerwarteter als die andere und jedes Mal lenken sie die Geschichte in eine neue, ungeahnte Richtung.
Fazit
Scythe – Die Hüter des Todes ist ein vielschichtiger und überaus gelungener Jugendroman, der mit seinem komplexen, teilweise verstörenden Weltentwurf und dem dargestellten Leben in dieser Welt zum Nachdenken anregt. Interessante Themen, eine spannende Handlung und gut ausgearbeitete Figuren erwarten Leserinnen und Leser ab 14 Jahren. Besonders Fans bekannter Dystopien werden diesen Band verschlingen und dem zweiten Teil, Scythe – Der Zorn der Gerechten, entgegenfiebern, welcher Mitte März 2018 in Deutschland erscheinen wird.
- Name: Shusterman, Neal
- Name: Pauline Kurbasik
- Name: Kristian Lutze