Inhalt
Aber der Reihe nach: Der in dem Computerspiel Free City agierende NPC Guy (Ryan Reynolds) ist mit seinem bisherigen Leben eigentlich zufrieden. Er wohnt zusammen mit seinem Goldfisch in einer in hellen Farbtönen stylisch, aber ansonsten steril eingerichteten Wohnung und arbeitet mit seinem besten Freund und Sicherheitsmann Buddy (Lil Rel Howery) als Bankangestellter am Schalter. Dort zeichnet er sich durch seine besondere Zugewandtheit gegenüber den Kunden aus, indem er ihnen stets mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen nicht einen guten, sondern einen tollen Tag wünscht. Hierbei sind die Anspielungen auf The Truman Show und The LEGO Movie unverkennbar. Doch ganz so harmonisch verläuft Guys ritualisierter Tagesablauf, zu dem auch die immer gleiche Kleidung sowie der allmorgendliche Medium-Kaffee dazugehört, nun doch nicht. Überschattet wird dieses harmonisch wirkende, aber vollkommen eintönig verlaufende Leben nämlich durch kontinuierlich sattfindende Banküberfälle. Auch in den Straßen von Free City herrscht eine brutale Gewalttätigkeit vor, da alle NPCs beständig von Sonnenbrillen tragenden und schwer bewaffneten Personen angegriffen, zusammengeschlagen, ausgeraubt und teilweise auch getötet werden. Diese externen Figuren beherrschen die Stadt und die darin lebenden NPCs. Guy hat dieses immergleiche Spiel so langsam satt und vertraut sich seinem besten Buddy Buddy (sprechende Namen!) an.
Als er dann in den Straßen von Free City auf seine Traumfrau, Molotov Girl (Jodie Comer), trifft, ist für ihn die Zeit zum Handeln gekommen: Er versucht zunächst durch kleine Modifizierungen in seinem Verhalten, Veränderungen in seinem Alltag zu erreichen. Er stößt damit jedoch bei den anderen NPCs auf Irritation und Unverständnis. Wenig später unternimmt Guy in der Bank einen erneuten Versuch, den eintönigen Tagesablauf zu durchbrechen. Todesmutig entwendet er einem Bankräuber die Waffe sowie dessen Sonnenbrille. Im Kampfgeschehen erschießt Guy diesen versehentlich. Als er mit dessen Sonnenbrille schockiert aus der Bank flieht und diese aufsetzt, erschließt sich ihm eine völlig neue Welt. Er kann nun Dinge in der Metropole wahrnehmen, die ihm bisher verborgen geblieben sind (vgl. Abb. 1 und 2).
Neugierig versucht er sich darin zurechtzufinden. Dabei hilft ihm Molotov Girl, die er sich mit erstarktem Selbstvertrauen nun endlich anzusprechen getraut.
Diese setzt ihn darüber in Kenntnis, dass er nur eine mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Nebenfigur in einem Computerspiel sei, das sie im realen Leben als Millie Rusk zusammen mit ihrem Kollegen Keys (Joey Kerry) unter dem Namen Life Itself programmiert habe (vgl. Abb. 3).
Dieses wurde jedoch von dem profitgierigen Antwan (Taika Waititi), der CEO der Firma Soonami, unter dem neuen Namen Free City veröffentlicht, welches rasch zu einem Verkaufsschlager und Publikumsliebling avancierte. Das von Millie gesteuerte Molotov Girl ist in dem Spiel auf der Suche nach einem Beweis, dass Free City auf dem von ihr und Keys geschriebenen Code basiert. Doch Antwan möchte dieses um jeden Preis verhindern und beschließt, das Open-World-Computerspiel endgültig vom Netz zu nehmen. Guy levelt sich mit guten Taten in Free City rasend schnell hoch, wird demzufolge von den Zuschauer*innen auch als Good Guy bezeichnet, und versucht auf diese Weise, seiner Traumfrau zu helfen und noch nebenbei seine Welt und die darin lebenden NPCs zu retten.
Kritik
Wer sich in der Gaminglandschaft auskennt, dem bleibt nicht verborgen, dass Free City mit zahlreichen Videogamereferenzen (z.B. Grand Theft Auto, Fortnite, SimCity) aufwartet. Des Weiteren finden sich filmische Anleihen, etwa aus Pleasantville (1998), The Truman Show (1998), Matrix (1999, was für den ebenfalls sonnenbebrillten Neo die rote Pille der Wahrheit ist, stellt für Guy die Sonnenbrille der Erkenntnis dar), Ready Player One (2018), The LEGO Movie (2018), Star Wars (1977) und aufgrund der rasanten Autoverfolgungsjagden auch The Fast and The Furious (2001). Ebenso wird mit dem Superhelden-Genre gespielt. So finden sich Verweise u.a. auf Hulk (2003) und Captain America (2011). Free Guy nimmt aber auch Komponenten aus Zeitschleifenfilm-Klassikern wie Täglich grüßt das Murmeltier (1993) mit auf. Die Versatzstücke werden nicht bloß rezeptartig miteinander vermischt, sondern durch die klug vorgenommene Kombination in Ergänzung von frischen Ideen in einen neuen Kontext gestellt.
Der Film punktet zunächst einmal mit dem sehr passend ausgewählten Cast. Ryan Reynolds, Jodie Comer, Joey Kerry, Lil Rel Howery, Taika Waititi sowie Utkarsh Ambudkar verstehen es, den von ihnen verkörperten Figuren Tiefe und mit den pointiert eingesetzten Gags Humor zu verleihen. Jodie Comer glänzt in ihrer Doppelrolle als nette und freundliche Spieleentwicklerin Millie Rusk und toughes Molotov Girl. Eine Rolle, die sie in ähnlicher Form bereits als Profikillerin in der Serie Killing Eve (2018-2022) überaus glaubhaft gespielt hat. In dieser Version ist Molotov Girl jedoch an die weiblichen Superhelden-Figuren angelehnt. Aufgrund der aktuell geführten Gender-Diskurse sollte ihr Aussehen jedoch androgyn wirken, was man optisch durch einen Mix aus Superheldin und einem normalen Mädchen erreichen wollte. Auf diese Weise fällt der lange Zeit übliche male gaze weg (vgl. Interview mit der Kostümbildnerin zur „Erschaffung von Molotovgirl“, Bonusmaterial zu Free Guy auf Disney+). Filmfans werden in Molotov Girl aber vielleicht auch eine gelungene Kombination aus den Figuren Trinity (The Matrix) und Moto Kusanagi (Ghost in the Shell) sehen.
Molotov Girl bewegt sich wie eine moderne Kampfamazone durch Free City und wirbelt Guys (Ryan Reynold) Algorithmus gehörig durcheinander, der sich − wie es sich für eine Künstliche Intelligenz gehört − im Verlauf der Handlung weiterentwickelt. Dabei wählt er die gute Seite und avanciert schnell zum Publikumsliebling auf der ganzen Welt. Dieser daraus entstehende Hype wird mit Hilfe des genauso wie Guy gekleideten Jungen in einer Fernsehreportage sowie der weltweiten Fangemeinde, die gebannt Guys heldenhafte Aktionen über Großleinwände mitverfolgt, widergespiegelt (vgl. Abb. 5 und 6):
Apropos Doppelrolle: Auch Ryan Reynolds glänzt in seiner zweiten Rolle Dude, dem muskelbepackten, noch nicht fertig programmierten infantilen Alter Ego Guys, der von Antwan als Endgegner ins Spiel gebracht wird. Verkörpert wird Dude, der durch Platzhalterformulierungen bzw. catchphrases (vgl. Abb. 7) seinen Status als unfertigen Avatar unterstreicht, von dem amerikanischen Bodybuilder Aaron Reed, auf dessen gestählten Körper mit einer bestimmten Filmtechnik (Motion Capture Technology) Reynolds Gesicht projiziert wurde.
Auch die übertrieben angelegten, einer Parodie auf sich selbst gleichenden Figuren von Chanum Tatum, Taika Waititi sowie Chris Evans bereichern diesen Film ungemein und sorgen für eine weitere humorige und metareflexive Komponente.
Noch mehr Authentizität und eine zusätzliche Reichweite bei einer jugendlichen Zielgruppe bekommt der Film aber durch die Auftritte von zahlreichen berühmten real existierenden Twitchern und YouTubern wie beispielsweise Tyler Blevins alias Ninja und Imane Anys alias Pokimane, die „live“ die Spielszenen in Free Guy kommentieren.
Überhaupt kann festgestellt werden, dass das Changieren zwischen der Computerspielwelt und der fiktionalen Realität unglaublich gut funktioniert. Free Guy setzt sich auch deswegen von anderen Filmen ab, die Computerspielwelten aufgreifen, da nicht nur einfach die sonst üblichen Scores (Punktestand, Ladebalken, Lebensbalken, Level etc.) eingeblendet werden. Vielmehr kommt hierbei mit Hilfe der zeitweilig verwendeten Pixel-Optik und den implementierten Versatzstücken, die inhaltlich (Floss-Dance (Fortnite Battle Royal), Portal Gun (portal)) und/oder ästhetisch auf andere Spiele verweisen, eine filmisch gelungen in Szene gesetzte Computerspiel-Ästhetik zum Ausdruck. Dabei wird ebenfalls die Gamer-Fraktion gehörig aufs Korn genommen. Zwischenzeitlich werden immer mal wieder Passagen von Free City spielenden Jugendlichen eingeblendet, die entweder dem Klischee des immer noch zu Hause bei Muttern lebenden Nerds entsprechen. Oder es handelt sich dabei um Kinder, die dieses Spiel eigentlich noch nicht spielen dürften, sich aber äußerst brutal durch das Spiel zocken. Dass dabei in diesem anonymen Raum die Gewalttätigkeit, die in der Realität wohl nicht in dieser Form ausgeübt werden würde, auf spielerischer Ebene ausgelebt wird und dabei eine Bagatellisierung erfolgt, geben diese Szenen und die darin erfolgenden Dialogen wie: „Der ist nur ein blöder NPC, baller‘ den blöden Wi…!“ (TC 0:11:31-0:11:33) eindrucksvoll wieder (vgl. Abb. 9).
Fazit
Wer jetzt den Eindruck erliegt, dass mit Free Guy und seinen zahlreichen pop- und gamingkulturellen Referenzen ausschließlich Videospiel begeisterte Personen auf ihre Kosten kommen, der täuscht sich gewaltig. Der Film bietet weitaus mehr, als nur die profitorientierte Spieleweltszene zu parodieren. Free Guy ist ein Film für die ganze Familie, da er aufzeigt, dass man sein Leben auch ändern kann, wenn man damit nicht mehr zufrieden ist. Raus aus der eigenen Komfortzone, könnte die versteckte Botschaft lauten. Es ist zudem eine Hommage an die Freundschaft, Liebe und Menschlichkeit, alles vor einer neonfarbenen blinkenden, mit Medi-Packs angereicherten und im Kontrast dazu überaus gewalttätigen Computerspielwelt dargestellt. Die Schauspielerinnen und Schauspieler brillieren allesamt in ihren Rollen. Der sich leitmotivisch durch den Film ziehende Song Fantasy von Maria Carey, der in einer Schlüsselszene von Jodie Comer in einer melancholischen und emotional packenden Art neu interpretiert wird, und die temporeichen Songs 100 Miles and Running (Logic) und Legendz (AG) sowie die pointiert eingesetzten Gags tragen zu diesem Gute-Laune-Feeling bei. Insgesamt betrachtet also ein gelungener, rasanter und kurzweiliger Film mit Wohlfühlcharakter, der im Rahmen der hier humorvoll verhandelten aktuellen Themen noch so ganz nebenbei zu moralischen Werturteilen und Reflexionen anzuregen vermag.
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