Inhalt

"Ich weiß, dass du es bist, Bob Andrews, unverkennbar", sagt die elektronisch verzerrte Stimme, die nachts anruft, um den Dritten Detektiv zu sprechen. Bei Loomy, so nennt sich der mysteriöse Anrufer, scheint es sich um eine literarische Figur aus dem neuesten Roman von Bobs Lieblingsautor Ben Hustler zu handeln. "Du hast etwas gesehen, was du besser nicht hättest sehen dürfen", sagt Loomy am Telefon. "Und du bist nicht nur Zeuge, sondern auch im Besitz von Beweisen" (I/01:43). Doch was hat Bob mit dem Fall zu tun? Die Verschränkungen zwischen Hustlers Roman und der fiktiven Wirklichkeit in Rocky Beach werden immer dichter, schließlich nehmen die drei Detektive Kontakt zum Autor von Höhenangst auf, der sie zum Gespräch auf eine Berghütte bestellt. Hinter seinem Roman stecke ein realer Fall und die Beteiligten finden im Hörspiel nach und nach zusammen. Zwar behauptet Hustler, er dürfe keine Informationen preisgeben, doch im Laufe der Zeit wird klar, dass er selbst in den Fall verwickelt ist…

Kritik

Die Cover-Illustration der Hörspiel-CD scheint das Phänomen des Cliffhangers abzubilden, die Figur kann sich mit einer Hand gerade noch an der Seilbahn festhalten, die über einem Abgrund schwebt. Doch sind es weniger die Cliffhanger und Suspense-Momente, die die Qualität dieser Folge ausmachen, vielmehr entsteht die Spannung durch die raffinierte Konstruktion der Handlung und die zum Teil gruselige Verzahnung zwischen Fiktion und Wirklichkeit – auch wenn die Aufklärung, die Justus Jonas am Schluss gibt, etwas langatmig gerät.

Dabei bietet Höhenangst Vertrautes und Neues. Der Stoff drängt die drei Detektive zunächst in ihre bekannten Rollen: Justus ist schlau, Peter ist sportlich, Bob liest gern. Bereits der Titel der Folge bzw. des fiktiven Romans von Ben Hustler gibt dem Ersten Detektiv Gelegenheit über Akrophobie zu fachsimpeln, Peter hingegen gelingt es, sich aus einer Seilbahngondel herabzulassen, und Bobs Lesewut setzt den Fall überhaupt erst in Gang. Doch auch Stimmen und Musik sorgen in jeder einzelnen Folge dafür, dass man schnell in der vertrauten Welt des fiktiven Rocky Beach ankommt. Natürlich muss hier noch das Krächzen von Papagei Blacky genannt werden, für das seit vierzig Jahren Regisseurin Heikedine Körting verantwortlich ist und das den Hörerinnenn und Hörern signalisiert, dass die drei Detektive in ihrer Zentrale sind.

Aber es gibt durchaus auch ungewöhnliche Aspekte in dieser Folge: Das Spiel mit Literatur und Fiktionalität steht in einer kommerziellen Jugendkrimiserie sicher nicht an oberster Stelle, dennoch gehören intertextuelle Anspielungen seit der ersten Hörspielfolge – Die drei ??? und der Super-Papagei (1979) – zum ästhetischen Programm. Sherlock Holmes taucht in Folge 1 ebenso als Bezugspunkt auf wie die Märchen der Brüder Grimm und John Silver aus Die Schatzinsel. Nur selten sind im Kosmos der Drei ??? literarische Verweise allerdings so dominant wie in Botschaft aus der Unterwelt (2012), einer Folge, die wie ein Puzzle aus Anspielungen auf Arthur Conan Doyles Geschichten um Sherlock Holmes zusammengesetzt ist. Erst kürzlich – in Folge 199 – hat ein Gedicht Edgar Allan Poes zur Lösung des Falles beigetragen, nun geht es in Folge 201 um das Buch im Buch bzw. im Hörspiel.

Der fiktive Autor Ben Hustler gilt als Meister des Realitythrillers, sein neuester Roman Höhenangst soll, wie alle seine Romane, auf einem wahren Fall beruhen. Und dieses Spiel zwischen Realität und Fiktion macht den Reiz der Folge aus – zumal der Dritte Detektiv Bob Andrews mittendrin ist. Oft weiß er nicht, ob er sich eher um die Ermittlungen kümmern oder zunächst im Roman weiterlesen soll. Zwischendurch könnte man vermuten, das Hörspiel werde die Grenze zwischen den diegetischen Ebenen gänzlich aufheben. Bob könnte dann, wie Bastian Balthasar Bux in Michael Endes Die unendliche Geschichte, die Grenzen der Buchdeckel überschreiten und in den Roman gezogen werden, den er gerade liest. Doch so weit gehen Die drei ??? nicht, ihre Welt ist – im fantastiktheoretischen Sinne Tzvetan Todorovs – das Unheimliche, nicht das Fantastische.

Ben Hustlers Roman Höhenangst wird im Hörspiel auf ganz vielfältige Weise vermittelt. Zunächst ist es der Erzähler, der berichtet, was Bob liest, während die Szene im Hintergrund lebendig wird und über Geräusche und Stimme als zweite Handlungsebene, als Hörspiel im Hörspiel, abläuft. Man hört also gleichzeitig Bobs Blättern im Buch, die Schilderungen des Erzählers und die entsprechende Entführungsszene aus Höhenangst. Auch wenn Bob seinen Detektivkollegen von Hustlers Roman berichtet und ihnen einen kurzen Abschnitt vorliest, geht das Lesen in die entsprechend dramatisierte Szene über. Als Justus und Peter schließlich die Lesung besuchen, liest der Autor selbst aus seinem Roman Höhenangst. Gesprochen wird der fiktive Autor Ben Hustler von Christian Brückner, dessen Stimme ideal ist, nicht nur weil man ihn als Synchronsprecher von Robert de Niro kennt, vor allem ist er durch Hörbücher bekannt, von Goethes Wahlverwandtschaften bis Kafkas Der Process. Und wenn er im Rahmen der Lesung auftritt, versetzt er das Publikum – sowohl der Veranstaltung in Rocky Beach als auch die Hörerinnen und Hörer des Hörspiels – sofort in die richtige Atmosphäre. Die Bandbreite zwischen der konzentrierten und zurückgenommenen Rezitationsstimme zu Beginn und den späteren Panikszenen in der Seilbahn machen aus Ben Hustler via Stimme eine vielschichtige und rätselhafte Figur.

Der Umgang mit Medien hingegen hat sich in der Serie nur allmählich gewandelt. Zwar werden Telefon-Lawinen mittlerweile – wie in Folge 200 – mit eMail-Lawinen kombiniert, auch sind Handy und Internet in Rocky Beach angekommen, aber an Justus' energischer Aufforderung, den Lautsprecher – respektive Verstärker – zu aktivieren, damit die anderen mithören können, hat sich nichts geändert. Das Drücken der Entertaste bei einer Internetrecherche wird in Höhenangst immer noch mit einem gesprochenen "Zack" akustisch pointiert.

Der obligatorische Schlusslacher steht diesmal ganz im Zeichen der Literarisierung, zwar ist der Fall gelöst, aber Bob hat den Roman Höhenangst noch nicht zu Ende gelesen: "Mir fehlen nämlich noch die letzten zwanzig Seiten. Ja, ich will doch endlich wissen, wie die Geschichte ausgeht". Darauf erwidert Justus: "Komm, Peter, wir gehen Kuchen essen" (IX/08:30). Somit ist in letzter Sekunde ein – neben dem Verlesen der Visitenkarte – obligatorisches Element aus der Welt der Drei ??? verarbeitet, streng genommen müsste natürlich erwähnt werden, dass es sich nicht um irgendeinen Kuchen handelt, sondern um Tante Mathildas legendären Kirschkuchen, für den in Fan-Foren unermüdlich Rezepte ausgetauscht werden.

Fazit

André Minninger ist seit 1995 für die Hörspielfassungen der Drei ??? verantwortlich, gehört aber auch zu jenem Autorinnen- und Autorenkollektiv, das die Romane verfasst. In Höhenangst verbindet er beide Rollen – und das ist für viele Fans der Kultserie ein gutes Zeichen. Bereits sein erster Roman Stimmen aus dem Nichts (1997) sowie die Hörspiel-Adaption dieses Bandes gehören für viele – auch für Jens Wawrczeck, den Sprecher Peter Shaws – zu den besten Episoden der Serie.

Zwar stehen Die drei ??? nicht für Experiment und Avantgarde im Hörspiel, das Vertraute und Solide jedoch immer wieder neu zu beleben, ist eine Herausforderung, der sich die Serie erfolgreich stellt. Und der Folge Höhenangst verleiht das komplexe Spiel mit Fiktionalität ihren besonderen Reiz. In diesem intertextuellen Kosmos bekommt sogar Alfred Hitchcock, der nur in den ersten Folgen der Serie aufgetreten ist und lediglich eine Art Schirmherr, nie – wie oft vermutet wurde – der Verfasser der Drei ??? war, einen Cameoauftritt. Über das Motiv der Höhenangst, das in seinem Film Vertigo ganz zentral ist, erweist man ihm zumindest Reverenz.

Dass die Sprecher der drei Detektive ihr Handwerk souverän beherrschen, verwundert nach vierzig Jahren nicht, die Stimme Christian Brückners sowie die elektronisch verzerrte Stimme von Loomy schaffen darüber hinaus vokale Abwechslung in Episode 201. Insgesamt eine wirklich gut gemachte Folge, die man – mit Blick auf die immer wieder kolportierte Rezeptionswirklichkeit – Kassettenkindern ab etwa 40 Jahren zum Einschlafen wärmstens empfehlen kann! "Auf Immerwiederhören!", titelte kürzlich Der Spiegel.

 

Titel: Die drei ??? Höhenangst
Regie:
  • Name: Heikedine Körting
Autor/Bearbeitung:
  • Name: André Minninger
Sprechende: Axel Milberg (Erzähler), Oliver Rohrbeck (Justus Jonas), Jens Wawrczeck (Peter Shaw), Andreas Fröhlich (Bob Andrews)
Produktion: EUROPA
Erscheinungsjahr: 2019
Dauer (Minuten): 79 Minuten
Preis: 8,99 €
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Die drei ??? – Höhenangst (Hörspielserie, Folge 201)