Inhalt

Im Hörspiel wird eindrucksvoll dargestellt, dass insbesondere Kinder durch den Wert der Freundschaft gemeinsam Berge versetzen können. Zusammen sind wir stark, diese Botschaft vermittelt Verschwörung im Dschungel. Wofür es sich zu kämpfen lohnt, wird im Hörspiel unaufdringlich klar: der Schutz der Natur, das Ende von Umweltverbrechen und der Erhalt von Lebensräumen.

Zwei Kinder, der alleinlebende Straßenjunge Pablo sowie die schlaue Ximena, begeben sich in der Begleitung eines Hundes mit dem symbolträchtigen Namen Hund auf die Suche nach ihrem verschwundenen Freund Miguel. Die Suche führt in die Tiefen des brasilianischen Regenwaldes im Amazonas. Die drei stoßen auf ungeahnte Herausforderungen, finden jedoch auf ihrem Weg immer wieder Verbündete. Besonders wichtig ist dabei das Auftreten von Davi, dem Kind eines indigenen Volkes, dessen leidenschaftlicher Kampf für Natur und Mensch die gesamte Gruppe beflügelt und letztlich dazu führt, dass die kapitalistischen Umweltverbrecher im allerletzten Moment gestoppt werden.

[Das Hörspiel kann zurzeit in der ARD Audiothek nachgehört werden.]

Kritik

Die Hörspieladaption unter Regie von Robert Schoen orientiert sich an der Buchvorlage, nimmt aber Veränderungen vor, um die Erzählung zu einem Klangereignis werden zu lassen. Neue Handlungselemente wie Pablos Träume bieten die Möglichkeit, veränderte Perspektiven auf das Geschehen einzunehmen. Die von Kirsten Kumschlies monierten redaktionellen Nachlässigkeiten der Buchvorlage (2021), beispielsweise die fehlerhafte Benennung Pablos als Pedro, werden im Kinderhörspiel augenzwinkernd geglättet und modifiziert, indem im Traum auf den Herrscher "Don Pedro" (00:37) verwiesen und damit eine Erklärung für die Namensverwechslung angeboten wird.

Zu Beginn des Hörspiels erklingt langsame Musik mit sanften Klavier- und Harfentönen, die direkt in eine Art Traumsituation einleiten. Der Einstieg erfolgt in medias res in Form von Pablos erstem Traum, der von ihm als Abenteurer und Retter in der Not handelt. Durch Schalleffekte, Stimmgewirr und die Musik wird sonosphärisch der Unterschied zur Handlung des sonstigen Hörspiels deutlich und so das Abtauchen ins Reich der Träume inszeniert.

Die zu Beginn entspannend wirkende Musik steigert sich im weiteren Verlauf zu einer opulenten Klangkulisse, welche intermediale Bezüge zu dem Lied What shall we do with a drunken sailor ausgestaltet. Die kunstvolle auditive Konstruktion der Szenen und Schauplätze ist charakteristisch für die gesamte Hörspieladaption. Die angenehme Sprechstimme des Erzählers (Patrick Güldenberg) und die treffend besetzten Sprechstimmen der Figuren laden im Zusammenspiel mit den auf extra- und intradiegetischer Ebene miteinander verschwimmenden Geräuschen, der Musik und Schall-/Toneffekten zum Miterleben der Reise ein. Lediglich teilweise erinnert Pablos Artikulation ebenso wie die überzogene Akzentuierung des bösen Amerikaners ein wenig an stereotypes Racevoicing älterer Hörspiele.

Ein thematisches Gegensatzpaar bilden die im Zentrum der Narration stehenden Figuren Pablo und Ximena. Die beiden veranschaulichen die gravierende Ungleichheit zwischen arm und reich in Manaus. So lebt Pablo allein auf den Straßen der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas, während Ximena als Enkelin eines Millionärs (dem Silberbaron) in einer prächtigen Villa wohnt. Diese Ungleichheit zieht sich leitmotivisch durch die Geschichte. Beispielsweise schildert ein sehr begabter Geigenspieler, dass er im städtischen Orchester ausgetauscht worden sei durch "eine hübsche junge Frau, zufällig aus der Familie des reichsten Unternehmers von Manaus" (07:07). Die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber den Reichen und Mächtigen werden eindrucksvoll offenbar, indem die Kinder auf ihrer weiteren Suche nach Miguel mit bedenklichen Aussagen konfrontiert werden wie dem "ungeschriebene[n] Gesetz" (09:55) und der Drohung "Wer Fragen stellt, lebt kürzer" (10:00).

Erst durch das Auftreten Davis wird das Umweltproblem unaufdringlich und fast nebenbei eingeführt: Westliche Kapitalisten wollen einen Staudamm bauen, der lediglich kurzfristigen Profit verspricht, für die regionale Wasser- und Energieversorgung eigentlich nutzlos ist, dafür aber den Lebensraum am Amazonas weiträumig zerstören wird. Davi, der dem Volk der "Unkontaktierten" zugeordnet wird, zeichnet sich im Gegensatz zu Pablo und Ximena durch eine tiefe Verbundenheit mit der Natur aus, deren Schönheit er immer wieder leidenschaftlich hervorhebt.

Daraus folgt, dass der Gegensatz zwischen Pablo und Ximena in diesem Hörspiel nicht zu einer Stereotypenbildung führt: Sowohl die reiche Ximena als auch der Straßenjunge Pablo sind von der Natur entfremdet, wodurch erfreulicherweise nicht das Bild von Pablo als dem Stellvertreter des Primitiven und Ximena als Stellvertreterin des Kultivierten konstruiert und kolonialstrukturelle Kulturbilder befördert, sondern geradezu dekonstruiert werden. Auch die Figur Davi bestätigt derartige Kulturbilder nur auf den ersten Blick und wird keinesfalls als vorkulturell stigmatisiert: Zwar ist Davi naturverbunden, aber spricht dennoch akzentfrei mit den anderen Kindern und ist durch das Internet bestens mit dem Rest der Welt verbunden.

Das wird diegetisch als Irritationsmoment aufgegriffen: Pablo fragt nämlich, weshalb Davi ihre Sprache spricht, wenn er zu "denen", sprich "den Unkontaktierten" gehöre (vgl. 22:03). Dabei betont er das Wort "denen" auffallend stark und markiert damit sein Erstaunen und seine Vorbehalte. Davi lacht und antwortet völlig selbstverständlich mit dem Wort: "Internet" (22:05), woraufhin Pablo verwundert "Häh? " (22:15) ausruft und Davi nur noch "Onlinekurs" (22:17) ergänzt. Er erklärt, dass sein Volk zwei Menschen geholfen habe, die ihnen Infrastruktur fürs Internet überlassen haben, und hebt die Relevanz der Informationssuche hervor, um sich selbst zu schützen. Auch Zerstreuung durch das Internet kommt nicht zu kurz: Sogar der Dorfälteste klettere manchmal zwölf Meter hoch auf einen Baum, um ein Spiel zu spielen (vgl. 22:37).

Die von Kumschlies herausgearbeitete Komik der Situation des Dorfältesten, der Subwaysurfer auf einem Baum spielt, wird im Hörspiel dadurch etwas entschärft, dass die Szene direkt auf Verwunderung bei den handelnden Figuren stößt: Pablos Vorannahme, es handele sich um ein reines Naturvolk, wird ironisiert und Pablo wirkt geradezu beschämt. Das stellt ein diegetisches Störmoment dar, das innerhalb der Handlung Stereotype aufbaut, um sie zu dekonstruieren und damit auf Seiten der Rezipientinnen und Rezipienten zum Verlernen kolonialer Vorurteile beitragen kann (vgl. Bernhardt i.V.).

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der Hörspieladaption klassistische Gegensätze, wie arm vs. reich, Natur vs. Kultur erzeugt werden, ohne dass dabei Vorurteile perpetuiert würden. Parallel dazu wird die Umweltthematik mit großer emotionaler Nähe ohne Zeigefingerattitüde eingebettet. Hochgradig gesellschaftsrelevante Themen werden aufgearbeitet und dabei erfreulicherweise keine Genderstereotype aufgebaut, sondern eher durchbrochen.

Das Hörspiel lädt in vielerlei Hinsicht zum Nachvollzug sowie zur emotionalen Verstrickung ein und bietet dadurch Reflexionsanlässe, ohne eine direkte moralische Handlungsanweisung vorzugeben. Die Aufarbeitung komplexer Zusammenhänge sowie die Erzeugung von Kontrasten erfolgen durchweg verständlich. Neben dem Umweltschutz sind kulturelle und genderbezogene Stereotypenbildungen und Dekonstruktionen leitend im gesamten Werk. Auch aufgrund seiner sprachlichen Gestaltung ist das Hörspiel bereits für Kinder ab 8 Jahren geeignet. Dabei ist die Hörspieladaption mehrfachadressiert: Gesellschaftlich relevante und nicht zuletzt hochaktuelle Themen werden ins Sichtfeld gerückt, stilistisch hervorragend erzählt und in Kombination mit dem ästhetisch-kunstvoll ausgestalteten Zusammenspiel der auditiven Ebenen erschaffen. Ein wahrer Hörgenuss für Kinder wie für Erwachsene, außerdem ein spannendes, aufstörendes Hörspiel, das auf vielen Ebenen zum Nachdenken anregt.

Literatur

  • Bernhardt, Sebastian: Auditive Serialität als Möglichkeit zur Dekonstruktion machtaffirmierender Strukturen im Literaturunterricht ab Klasse 4? – Überlegungen auf Basis mediensemiotischer Ansätze. In: Einfach Aussortieren? Machtaffirmierende Erzählwelten zwischen Zumutbarkeit und Verletzung in der literaturdidaktischen Diskussion. Hg. v. Magdalena Kißling und Johanna Tönsing. [In Vorbereitung]
Titel: Die Amazonas Detektive – Verschwörung im Dschungel
Regie:
  • Name: Robert Schoen
Autor/Bearbeitung:
  • Name: Robert Schoen
Sprechende: Patrick Güldenberg (Erzähler), Emanuel Konietzny (Pablo), Franziska Hofele (Ximena), Jannik Wölfer (Davi) sowie Christoph Pütthoff, Walter Renneisen, Bernd Moss, Werner Wölbern, Heinrich Giskes, Tom Zahner, Christian Klischat, Cornelia Niemann, Jochen Nix, Moritz Pliquet, Isaak Dentler, John Armin Sander, Peter Schröder, Nora Solcher, Ulrich Höhmann, Fenna Benetz
Produktion: hr/WDR
Erscheinungsjahr: 2022
Dauer (Minuten): 53
Altersempfehlung Redaktion: 8 Jahre
Michaelis, Antonia: Die Amazonas Detektive – Verschwörung im Dschungel (Hörspiel)