Inhalt

Als Konrads Eltern im Park von einem geheimnisvollen Mann, unter dem Vorwand an einem Kunstprojekt teilzunehmen, fotografiert werden, wird mit einem synthetischen Geräusch angedeutet, dass es sich dabei keineswegs um eine gewöhnliche Fotografie, sondern um einen magischen Vorgang handelt (09:10). Dessen Tragweite wird Konrad jedoch erst klar, als er sich am nächsten Morgen allein in der Wohnung wiederfindet. Sein Wunsch nach einem „elternfreien Tag“, den er zuvor im Gespräch mit dem fremden Mann auf dessen Suggestivfragen hin unbedacht geäußert hatte, ist offenbar in Erfüllung gegangen: Seine Eltern sind verschwunden. Konrad erwacht vom ungehörten Dauerklingeln ihrer Wecker (10:30), seine Stimme hallt in der leeren Wohnung wider, als er  vergeblich nach ihnen ruft. Nachdem sich Konrad vom ersten Schreck erholt hat, genießt er die unerwartete Freiheit: Er hört seine Lieblingsmusik und dreht dabei die Lautstärke voll auf (10:50), spielt im Schlafzimmer seiner Eltern mit sich selbst Pirat und isst zwei ganze Pizzen zum Mittagessen ­„mit den Fingern“ (12:19)! Außerdem schaut er die James-Bond-Filme seines Vaters – und zwar endlich, ohne dabei die gruseligen Stellen vorzuspulen.

Aber als die Eltern auch am nächsten Tag nicht zurück sind, macht sich Konrad auf die Suche nach ihnen und nach dem Fremden aus dem Park. Dabei wird er von drei anderen Kindern beobachtet, die, so stellt sich heraus, in der gleichen Lage sind wie er selbst: Paul, der Katzenman (gesprochen von Joshua Thiemann), Hannah, das Superhirn (gesprochen von Lili Zahavi) und Ferhad, Käptn Kraft (gesprochen von Kevin Arand). Auch ihre Eltern hat der Fremde verschwinden lassen, gemeinsam bilden sie deshalb jetzt die Liga der Elternlosen. Die Kinder haben sich Superhelden-Namen gegeben, weil sie „genau wie Batman oder Spiderman“ (20:43) Verbrecher jagen und nicht von der Polizei erwischt werden dürfen. Ermutigung und Anregungen für selbstbestimmtes Entwicklungspotential hält das Hörspiel auch bereit: „Jeder kann doch etwas, was die anderen nicht so gut können“, sagt das Superhirn (21:30), als es darum geht, für Konrad einen passenden Heldennamen zu finden. Weil Konrad keine Eigenschaft einfällt, die er besser kann als andere, antwortet Katzenman tröstend: „Du kannst dir ja zuerst einen Namen geben und dann so werden“ (21:35). So wird Konrad, der gut Geschichten erfinden kann und auf die verrücktesten Ideen kommt, zu Mister Blitz, der von jetzt ab für Geistesblitze zuständig ist. Damit hat Konrad seine Rolle in der Liga der Elternlosen erhalten – die gemeinsame Jagd auf den geheimnisvollen Fremden kann beginnen.

Kritik

Auf auditiver Ebene werden die Konflikte zwischen Konrad und seinen Eltern nicht nur durch die ausdrucksstarke Darstellung von Lukas Huthmann als Konrad, Stefan Gossler als Vater, Judith Engler als Mutter, Frank Arnold als der Fremde sowie Tonio Arango als Erzähler deutlich, sondern auch klanglich im Stereosound umgesetzt: Durch Panning, die räumlichen Aufteilung und Positionierung von Klangeindrücken im Stereopanorama, werden beispielsweise die Geräusche eines Actionvideospiels, um das der Streit zwischen Konrad und seinen Eltern unter anderem kreist, im rechten Stereofeld positioniert (01:42-02:22). Die wiederholten Ermahnungen und Gebote der Eltern sind dagegen so platziert, dass sie mal von links, mal von rechts und mal mittig zu hören sind. Ihre gebetsmühlenartige Wiederholung und stetige Allgegenwärtigkeit wird somit auch im Stereoklang abgebildet:

„Geh doch mal draußen spielen. Du benutzt nie die Inline-Skates, die du zu Ostern noch so unbedingt haben musstest“ (02:06). „In deinem Alter solltest du viel mehr mit anderen Kindern spielen und lesen und aktiv sein und nicht immer nur vor irgendwelchen Flimmerkisten sitzen“ (02:22). „Mach jetzt bitte das Videospiel aus und geh’ endlich ins Bett“ (45:04). Weitere Streitpunkte sind das pünktliche Zubettgehen und die gemeinsamen Mahlzeiten – alltägliche Konflikte also, die vielen Kindern und Eltern vertraut sein dürften.

Insgesamt wirken die Kommentare von Konrads Eltern dank der allzu klischeehaften Wortwahl und sprecherischen Darstellung überzogen und prototypisch. Dadurch entsteht, auch im Kontrast zu der an dieser Stelle ironisch-distanziert wirkenden Kommentierung des Geschehens durch den Erzähler, eine doppeladressierte Situationskomik, die nicht nur für Kinder im Grundschulalter, sondern auch für Erwachsene amüsant ist: „Du willst doch groß und stark werden“ (02:49). „Es gibt nichts Gesünderes als Tofu-Lasagne“ (02:51). „Ich hätte mich in deinem Alter über so ein Essen gefreut“ (02:54). Zum Teil wird auch mit der Erzählinstanz gespielt, indem erzähllogisch getrennte Ebenen überschritten werden und der extradiegetische Erzähler von den literarischen Figuren unterbrochen wird. Zum Beispiel, weil sie gerade streiten (03:04) oder damit er seine Wortwahl korrigiert und die Kinder korrekt, nämlich mit ihren selbstgewählten Superhelden-Namen, benennt (18:56). Die Metalepsen werden aber jeweils nur kurz angedeutet und sind vor allem auf Komik und einen Überraschungseffekt hin angelegt.

Auf musikalischer Ebene werden die Abwesenheit von Konrads Eltern und deren Folgen, die zwischen plötzlicher Autonomie und Freiheit, aber auch Einsamkeit und Angst changieren, mit einem einprägsamen Leitmotiv verknüpft. Es ist zum ersten Mal zu hören, als Konrads Entfremdung von seinen Eltern einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat (03:48). Er wird von ihnen zu einem Spaziergang im Park gezwungen, zu dem er überhaupt keine Lust hat; äußerst widerwillig geht er mit. Das Motiv ist von kleinen und großen Terzen, Quarten und Septimen sowie einem eingängigen Rhythmus geprägt und erzeugt eine unruhige, düstere Atmosphäre.

Die Instrumentierung mit Vibraphon passt gut dazu und gibt dem Motiv einen schwebenden, etwas verträumt wirkenden Charakter. Das kann als klangliche Anspielung auf das darauffolgende magische Geschehen gelesen werden, denn wenig später trifft Konrad zum ersten Mal den unheimlichen Fremden (05:10). Als dieser sich verabschiedet und Konrad danach ein „etwas mulmiges Gefühl“ (09:42) hat, erklingt erneut das Leitmotiv. Nachdem Konrads Eltern verschwunden sind, taucht es in leicht variierter Form als Bestandteil von Konrads Lieblingsmusik auf. Zunächst ist es in dem Popsong als Synthesizermotiv zu hören (11:45), dann als Klaviermotiv (12:15), damit endet auch Konrads „elternfreier Tag“ (12:45). Als ihm am nächsten Morgen klar wird, dass seine Eltern immer noch nicht zurück sind, wird das Motiv auf dem Vibraphon wiederholt (13:52), klanglich erinnert es nun wieder an die Situation im Park, mit der alles begonnen hat. Später, als Konrad ein Mitglied der Liga der Elternlosen wird, wird das Motiv von einer E-Gitarre gespielt (18:57). Ebenso, wenn er als Mister Blitz seinen Erfindungsgeist unter Beweis stellt (22:18), als er im Traum seine Eltern vergeblich sucht (24:41) und schließlich auch, als sich die Kinder unmittelbar auf der Spur der Eltern befinden (33:13). Das Leitmotiv wird somit, zum Teil etwas variiert, in seiner einprägsamen Charakteristik aber immer deutlich erkennbar, in allen Situationen wiederholt, die für das Verschwinden von Konrads Eltern und seine Suche nach ihnen wesentlich sind.

Wie in den meisten Kriminalromanen und Kriminalhörspielen für Kinder muss der Fall von der Kinderbande auf eigene Faust, ohne die Hilfe von Erwachsenen gelöst werden. Denn die wären keine Hilfe, sondern würden die Probleme nur verschärfen, indem sie die elternlosen Kinder in ein Heim, zu Pflegeeltern oder Verwandten bringen würden. So war es bei den Geschwistern Lena und Ben, alias die Klapperschlange und Professor Unglaublich (19:46), die ebenfalls zur Liga gehörten. Mit dem Konzept der Kinderbande, die einen gefährlichen Fall selbstständig lösen muss, knüpft das Hörspiel an die bewährte Tradition bekannter Banden- und Kriminaltexte für Kinder an wie beispielsweise Die drei ???, TKKG oder Emil und die Detektive.

Ein wesentlicher Unterschied zu den genannten Kriminaltexten ist allerdings, dass mit dem Fremden im Park, der die Eltern auf magische Weise verschwinden lässt, eine phantastische Sekundärwelt ins Spiel kommt, in die auch die Kinder gelangen müssen, um ihre Eltern retten zu können. Der Passbildautomat in der Zwischenstation der U-Bahn-Station entpuppt sich als Tor zwischen der primären, realen Welt der Kinder und der fantastischen, sekundären Welt des Fremden. Auf diese Weise kommen die Kinder in den stillgelegten U-Bahn-Tunnel, den Konrad als wiederkehrendes Element seiner (Alp-)Träume wiedererkennt (33:15). Er führt zur Welt des magischen Fotografen, in der die entführten Eltern aus Fotos rufen, die an der Wand aufgehängt sind (36:15). Auf audiophoner Ebene wird die fantastische Sekundärwelt mit einem tieftonigen, elektroakustischen Klang charakterisiert, der eine dröhnende, bedrohliche Soundkulisse darstellt. Nun kommt es zum Kampf der Kinder gegen den Fremden und zum finalen Showdown.

Das Hörspiel ist von den für Kriminaltexte charakteristischen Spannungsmustern Mystery und Suspense geprägt. Mystery beschreibt die Spannung, die aus einem Mangel an Informationen resultiert, während des gesamten Hörspiels andauert und erst mit der Lösung des Kriminalfalls am Schluss aufgelöst wird. In Konrad und die Liga der Elternlosen bezieht sich die Mystery-Spannung unter anderem auf die Hintergründe und Erklärungen für das geheimnisvolle Verschwinden der Eltern, auf die Rolle des Fremden im Park, das Verschwinden per Fotografie sowie auf die Frage, ob es der Kinderbande gelingen wird, ihre Eltern zu finden und zu befreien, ohne von der Polizei geschnappt zu werden. Suspense beschreibt dagegen punktuelle Spannungshöhepunkte, in denen die Protagonisten in gefährliche Situationen geraten und die Rezipientinnen und Rezipienten dementsprechend mitfiebern, ob sie diese unbeschadet überstehen. Davon gibt es mehrere im Hörspiel, zum Beispiel, wenn Konrad von der Liga der Elternlosen überfallen wird (16:35) oder die Verfolgungsjagd auf den unheimlichen Fremden (ab 25:40). Das entspricht einer klassischen Wellendramaturgie, die typisch für Kinderhörspiele ist, indem sich Phasen mit hoher und niedriger Spannungsintensität abwechseln. Gegen Ende des Hörspiels verdichtet sich die Suspense-Spannung, wenn die Kinder dem fremden Mann und seinem Geheimnis gefährlich nahekommen (39:08).

Fazit

Die Liga der Elternlosen ist ein spannendes, fantastisches und thematisch aktuelles Kriminalhörspiel, das eindrucksvoll, ohne dabei allzu belehrend zu werden, zeigt, dass es „Wünsche gibt, die man Kindern nicht erfüllen sollte“ (37:46). Auf amüsante, manchmal gezielt überzeichnete Weise werden alltägliche Konflikte hörbar gemacht, die Eltern und Kinder im Zusammenleben zu bewältigen haben. Das geschieht in Kombination mit einem Kriminalfall und einer Bandengeschichte ganz in der Tradition erfolgreicher Kinderkriminalgeschichten. Die ausdrucksstarke Darstellung der Sprecherinnen und Sprecher und deren alters- und rollenadäquate Besetzung sowie die facettenreiche, eingängige Komposition der Hörspielmusik von Michael Rodach machen das Hörspiel zu einer unbedingten Empfehlung. Es ist für Kinder ab 7 Jahren geeignet, aber auch für ältere Kinder im Grundschulalter bis etwa 9 Jahre. Leider ist es zurzeit nicht im Buchhandel oder einem Hörspielportal erhältlich. Es wird aber immer wieder im Deutschlandfunk gesendet und kann danach jeweils für eine gewisse Zeit in der ARD-Audiothek heruntergeladen werden.

Titel: Konrad und die Liga der Elternlosen
Regie:
  • Name: Klaus-Michael Klingsporn
Autor/Bearbeitung:
  • Name: Christian Ulmcke
Sprechende: Lukas Huthmann, Judith Engel, Stefan Gossler, Lili Zahavi, Kevin Arand, Joshua Thiemann, Frank Arnold, Tonio Arango
Produktion: Deutschlandradio
Erscheinungsjahr: 2006
Dauer (Minuten): 47
Altersempfehlung Redaktion: 7 Jahre
Ulmcke, Christian: Konrad und die Liga der Elternlosen (Hörspiel)