Inhalt
Der Räuber Hotzenplotz treibt seit über 2 Jahren sein Unwesen und sogar Wachtmeister Dimpfelmoser hat Angst vor dem gewitzten Dieb. Doch als Hotzenplotz Kasperls Großmutter ihre Kaffeemühle stiehlt, hat er sich das falsche Opfer ausgesucht: Kasperl hat diese Kaffeemühle nämlich gemeinsam mit seinem Freund Seppel eigenhändig erbaut und erfunden, sodass sie nun beim Mahlen immer die Melodie von Alles neu macht der Mai spielt. Diesen Diebstahl kann Kasperl nicht auf sich sitzen lassen und da er dem Wachtmeister nicht zutraut, den Räuber dingfest zu machen, stellt er ihm gemeinsam mit Seppel eine Falle. Auch wenn der Plan nicht aufgeht, Hotzenplotz die beiden zunächst gefangen nimmt und an den bösen Zauberer Petrosilius Zwackelmann verkauft, schaffen sie es schließlich doch, sich aus den Fängen des Bösen zu befreien und die Kaffeemühle zur Großmutter zurückzubringen. Und das Beste: Die Mühle spielt die Melodie nun zweistimmig, ist also noch besser als zuvor.
Kritik
Die erste Version von 1963 beginnt gleich mit einem Hauch Anarchie: Wie es seinerzeit üblich war, meldet sich die Programmansagerin mit den Worten „Hier ist der Kinderfunk“, es erklingt orchestrale Musik, wobei sich nach und nach der Klang des Marimbaphons durchsetzt, bevor es ruhig wird und lediglich eine tiefe, gezupfte Kontrabassmelodie bleibt. In die langsam leiser werdende Musik mischt sich ein knarziges Lachen und eine raue Stimme (Kurt Haars) sagt: „Hier ist gar nicht der Kinderfunk, hier ist der Räuber Hotzenplotz, der gefürchtetste Räuber im ganzen Umkreis.“ Dieser bedrohlich wirkende Einstieg wird aber durch die fröhliche, geigendominierte Musik abgeschwächt, die direkt nach dem Ausspruch beginnt. Kasperl (Wolfgang Schwalm) betont auch gleich: „Keine Angst, keine Angst. Hier ist nämlich auch der Kasperl. Und wo der Kasperl ist, da kann nichts schiefgehen.“ Dieser Anfang, bei dem die Antagonisten sich auf beschwingte Art und Weise selbst vorstellen, stellt eine geschickte Möglichkeit dar, um weiteren Erklärungsbedarf in Bezug auf die Zuordnung der Stimmen zu umgehen. Nachdem sich auch der Seppel (Peter H. Schwerdt) vorgestellt hat, startet das Hörspiel mit der Erzählstimme (Fred C. Siebek), die wortgetreu die ersten Seiten des Buches wiedergibt. Die klangliche Ebene unterstützt während des gesamten Hörspiels die Vorstellungsbildung: Während der Erzähler beispielsweise über die Kaffeemühle der Großmutter (Rose-Renée Roth) berichtet, welche die Melodie von Alles neu macht der Mai spielt, erklingt im Hintergrund ganz dezent die bekannte Volksliedmelodie (vgl. Hotzenplotz 1963, I/01:16). Umgebungsgeräusche, Knarren oder simulierte Bewegungsklänge sind in dieser Version allerdings nicht vorhanden, lediglich Hintergrund- und syntaktische Musik, welche die Stimmung untermalt und Szenenwechsel moderiert.
Die Version von 2008 beginnt mit der kratzigen Lache, unverkennbar die Stimme der Tatort-Legende Dietmar Bär, und einer kurzen Bass-Melodie, bevor der Erzähler (Peter Striebeck) mit der wortgetreu wiedergegebenen Passage beginnt, in der der Räuber Hotzenplotz vorgestellt wird. Auch hier ist die Darstellung mit wenigen Ausnahmen sehr genau an der Buchvorlage orientiert, dafür sind die klangliche und die musikalische Ebene deutlich intensiver ausgestaltet als in der ersten Hörspieladaption. Es handelt sich um eine Reihe, bestehend aus sechs CDs, in denen alle drei Bände des Räuber Hotzenplotz behandelt werden. In der aktuell vertriebenen Hörspielbox ist es leider etwas unübersichtlich, dass darin sechs einzeln verpackte CDs enthalten sind, bei denen nicht gekennzeichnet ist, welche CDs zu welchem der Bände gehören. Wer den Inhalt der Bücher nicht kennt, wird auch durch die jeweils individuellen Klappentexte eher den Eindruck haben, es handele sich um sechs unterschiedliche Folgen, wenngleich tatsächlich jeweils zwei CDs eine Folge bilden.
Zur Wiedererkennung gibt es hier das Titellied des Räubers Hotzenplotz, das auf der ersten CD allerdings erst im Laufe der Handlung eingeführt und danach immer wieder eingespielt wird: Nachdem die Großmutter wieder zu sich gekommen ist und realisiert hat, ausgeraubt worden zu sein, erklingt Musik und es beginnt das Hotzenplotz-Lied, in der ersten Folge gesungen von Dietmar Bär:
Intro:Kommt alle her und habt mich lieb,denn in mir schlägt ein gutes Herz.Ich bin ja nur ein kleiner DiebUnd vieles ist doch nur ein kleiner Scherz.Chorus:Hier ist der große, große Hotzenplotz.Hier lacht der kluge, kluge Hotzenplotz.Hier klaut der schnelle, schnelle Hotzenplotz.Hier herrscht der starke, starke Hotzenplotz (Hotzenplotz 2008, II/00:00).
Der Räuber wird durch das Lied, dessen Melodie getragen ist von dunklen Blasinstrumenten und einem stark geschlagenen Klavier, nicht als durch und durch böse Figur konstruiert, sondern in seiner Ambivalenz erfahrbar gemacht. Das macht die Figur von vornherein greifbar und nimmt den beängstigenden Charakter des gefürchteten Diebes deutlich zurück. Überhaupt ist diese Version am musikalischsten und wird immer wieder durch längere Melodien und kurze gesungene Einlagen angereichert. In den weiteren Folgen wird der Song zum Titellied. Dabei kommt es zu textlichen Variationen und Dietmar Bär wird im Refrain unterstützt durch einen Chor.
Auch das neueste Hörspiel aus dem Jahre 2020 bleibt nah an der Textvorlage, wenngleich hier doch einige Veränderungen in der Reihenfolge der Schilderungen bestehen. Auffällig ist das schon gleich beim Einstieg in medias res. Ohne Intro, Anfangsmusik oder erzählerische Einführung erklingen Glockenschläge, das Klappern von sich auf unebenem Grund bewegenden Gespannen und direkt beginnt ein Dialog zwischen Seppel (gesprochen von Julian Greis) und Kasperl (Tim Kreuer):
Kasperl: Oh, ich freu mich auf den Pflaumenkuchen.Seppel: Ich auch, ich hab’ schon richtig Kohldampf.Kasperl: Pflaumen aus Großmutters Garten (Hotzenplotz 2020, I/00:03).
Das Hörspiel steigt also bereits ein mit Kapitel zwei des Kinderromans (Der Polizei kann geholfen werden) und zerdehnt die knappe, in der Buchvorlage durch Erzählrede dargestellte Tatsache, dass Seppel und Kasperl zum Bäcker gehen und Zucker kaufen sollten, durch eine Dialogsituation zwischen den beiden Charakteren. Die Erzählstimme (Felix von Manteuffel) tritt erst nach dieser Szene auf, wenn die beiden Figuren losrennen und im Hintergrund weiterhin deren Laufschritte und Geräusche von Rangeleien eingespielt werden.
Der Erzähltext nimmt bereits Bezug auf die Tatsache, dass der Stoff des Räuber Hotzenplotz weithin überliefert ist und auf eine große Rezeptionsgeschichte zurückblicken kann: „Sagt mal, kennt ihr eigentlich den Räuber Hotzenplotz?“ (Hotzenplotz 2020, I/00:29), woraufhin in diesem Falle der Erzähler den Räuber vorstellt und erläutert, dass bis auf Kasperl und Seppel sich alle vor dem bösen Räuber ängstigen. Erst nach dieser Einstiegsszene erklingt die von Dieter Faber komponierte Hörspielmusik mit einem Text von Frank Oberpichler. Es handelt sich um eine langsam gespielte Melodie, getragen von dumpfen Blasinstrumenten, gesungen durch einen Kinderchor. Im Text kommen zur Entstehungszeit passende Begriffe wie „Obacht, Achtung, Sapperlot“ vor und leiten damit hervorragend ein in die Welt des Kinderbuchklassikers, der bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt hat.
Auch in dieser Version bleibt es nicht nur bei der Melodie von Alles neu macht der Mai, sondern die Großmutter singt den Text wie schon in der Version von 2008 mit. Charly Hübner legt die Rolle des Räubers Hotzenplotz ähnlich wie Dietmar Bär weniger knurrig an als Kurt Haars und spricht grundsätzlich mit einem hörbaren Augenzwinkern. Dadurch verleiht er der Rolle eine Prise Selbstironie, die in die Inszenierung auch hervorragend hereinpasst. Nachdem die Großmutter (Hedi Kregeskotte) ihn (der Textvorlage folgend) fragt, warum sie langsam bis 999 zählen soll, und Hotzenplotz ihr (immer noch textgetreu) mit „darum“ antwortet, sagt die Großmutter (nicht mehr der Textvorlage folgend): „Achsoo!“ (Hotzenplotz 2020, II/02:29) Als die Großmutter berichtet, überfallen worden zu sein, wird diese Ironie durch eine Louis de Funès-Anspielung auf die Spitze getrieben:
Großmutter: Ich bin beraubt worden.Seppel: NEIN!Großmutter: Doch!Seppel: Oooh!Wachtmeister Dimpflmoser: Was Sie nicht sagen. Beraubt worden sind Sie. Ja, aber von wem denn bloß?Großmutter: Vom Räuber Hotzenplotz.Seppel, Kasperl: NEIN!Gromutter: Doch!Seppel, Kasperl und Wachter Dimpflmoser: Oooh! (Hotzenplotz 2020, IV/00:33)
Hörbeispiel:
Die Identifikation dieser Anspielung zeigt, dass dieses Hörspiel mehrfachadressiert ist und auch ältere Hörerinnen und Hörer zum Schmunzeln einlädt. Auch wenn jemand allerdings die Louis de Funès-Vorlage nicht kennt, wirkt diese Szene aufgrund der Überbetonung und der Wiederholung derselben Satzstruktur komisch. Aufgrund dieser augenzwinkernden Grundanlage, der entlastenden Komik und der weniger ruppigen Interpretation des Räubers eignen sich die neueren Hörspiele entsprechend schon ab fünf Jahren, während das Ursprungshörspiel lieber ab sechs Jahren empfohlen wird.
Fazit
Schon das erste, im SDR gesendete Hörspiel besticht durch sehr lebhafte Betonung ebenso wie durch die stimmungsvolle und durchweg passende musikalische Untermalung des Geschehens. Opulent erklingen die Musikinstrumente, wechseln von Vibraphon zu Kontrabass und Bläsern, wobei hier klanglich noch alles nach echter musikalischer Handarbeit klingt. Die Erzählstimme trägt durch den Originaltext und vermittelt damit die Stimmung eines gemütlichen Vorleseabends.
Auf den ersten Blick ließe sich sagen, dass die seitdem folgenden Versionen auch allesamt recht nah an der Textvorlage sind und daher in weiten Teilen doch alten Wein in neuen Schläuchen bieten. Wirklich radikale Veränderungen oder Aktualisierungen erfolgen nicht. Das ist aber auch gut so, denn dadurch bleibt der einmalige Charakter der Geschichten über den Räuber Hotzenplotz in wunderbarer Art und Weise erhalten. Kleine Anpassungen fallen dennoch auf, beispielsweise wird die Musikgestaltung elektronischer, die Schalleffekte werden dynamischer (z. B. ist seit 2008 nicht mehr eine komplette Ausblendung von Hintergrundgeräuschen gegeben, wenn die Erzählstimme spricht) und zudem sind die jeweiligen Sprecherinnen und Sprecher jeweils neue Identifikationsfiguren. Die Darstellenden der ersten Fassung sind heute nicht mehr bekannt und bieten damit weniger Kultpotenzial als beispielsweise Jens Wawrczeck (bekannt als Peter Shaw von den Drei ???) als Petrosilius Zwackelmann oder Dietmar Bär bzw. Charly Hübner als Räuber Hotzenplotz. Damit werden jeweils Ikonen ihrer Zeit eingesetzt, um auch erwachsene Mithörerinnen und -hörer anzusprechen. Zudem gilt auch bei Hörspielen, dass neue Versionen immer sinnvoll und wichtig sind, um damit den Stoff im kulturellen Bewusstsein zu erhalten und dessen Relevanz zu betonen. Insofern bleibt zu hoffen, dass es weiterhin neue Adaptionen zu Jubiläumsanlässen gibt, die die Erinnerung aufrechterhalten.
- Name: Harry Schweizer
- Name: Jürgen Nola
- Name: Frank Gustavus
- Name: Otfried Preußler