Inhalt

Der kleine Wassermann, der erst vor kurzer Zeit das Licht der Welt erblickte, lebt mit seinen Eltern in einem Haus auf dem Grund des Mühlenweihers. Nach einiger Zeit darf er das erste Mal das Zuhause der Familie verlassen. Gemeinsam mit seinem Vater erkundet er die Umgebung auf dem Grund des Teichs. Schon bald ist er alt genug, um allein loszuziehen. Er weitet seine Erkundungstouren sogar bis zum Ufer aus, dabei entdeckt er allerlei und findet Freunde unter Wasser und an Land. 

Kritik

Der erste Teil des Hörspiels beginnt mit einer kurzen, schnellen und fröhlichen Melodie, bestehend aus Flöte, Keyboard-Tönen und einer Harfe, die von einem Glöckchen untermalt wird. In dieses musikalische Intro hinein spricht die Ansagerstimme: „Teil eins. Donnerwetter, ist das ein Junge!“ (Teil 1: 00:09) Schon aus dieser einleitenden Bemerkung lässt sich schließen, dass dem Geschlecht innerhalb des Hörspiels eine große Relevanz zukommt. Vorab ist außerdem zu erwähnen, dass diese Ansagerstimme mit einer tiefen, sonoren und damit männlich zu lesenden Stimme besetzt ist. Diese Stimme tritt allerdings nur zweimal auf, wenn sie den Titel der beiden Teile vorliest und hat damit eine rein syntaktische Funktion.

Die Fokussierung auf die Kategorie Gender zeigt sich auch im Rahmen der ersten Handlungssequenz – einem Dialog zwischen der Mutter und dem Vater des kleinen Wassermanns. Hierbei verkündet die Mutter (Sona MacDonald) flüsternd, dass die beiden einen kleinen Jungen bekommen haben (Teil 1: 00:50). Sie setzt das Geschlecht des Kindes zentral und übermittelt es als erste Information an den Vater (Heinrich Schafmeister) des Kindes. Dieser entgegnet  überschwänglich: „Einen richtigen kleinen Jungen?“ (Teil 1: 01:00) Das impliziert, dass auch ihm das Geschlecht des Kindes wichtig ist. Dabei wird deutlich, dass (der Textvorlage des Originals folgend) eine starke Orientierung an einer Norm vorliegt. Schade ist, dass die wiederholte Aussage, der Junge sei ein ‚richtiger‘ Wassermann, artikulatorisch nicht ironisiert wird. So erfolgt keine Überbetonung, es ist kein augenzwinkernder Unterton zu bemerken, sondern durchgehend ein freudig-ausrufender Tonfall.

Auch die anderen Figuren setzen in der Folge das Geschlecht des kleinen Wassermanns zentral. So kommentieren diese beim ersten Kennenlernen des Kindes freudig, es sei „ein Junge“ (Teil 1: 08:09) und „ein Prachtbursche“ (Teil 1: 08:10). Es fällt auf, dass die Stimmen nicht den einzelnen Figuren zugeordnet werden können, sondern dass durcheinandergeredet wird. Die Aussagen werden also nicht als Ansichten Einzelner dargestellt, sondern als gesellschaftliche Allgemeinplätze gesetzt. Die Szenerie wird durch die immer wiederkehrende Flötenmusik im Hintergrund begleitet. Durch die Reaktionen der Handelnden wird der Blick noch verstärkt, dass einem Lebewesen grundsätzlich ein Geschlecht zugeordnet wird.

Lediglich eine Ausnahme gibt es und diese wird innerhalb des Hörspiels besonders hervorgehoben. Das zeigt sich schon durch die Ankündigung der Erzählinstanz und die darauffolgende Figurenrede: So wünscht der Moormann dem kleinen Wassermann: „Ein fröhliches Herz sollst du haben“ (Teil 1: 08:45). Während dieser Aussage erklingt fröhliche Flötenmusik (diesmal im Vordergrund), womit sie auch fokussiert wird. Innere Werte scheinen demnach zumindest für den Moormann eine Rolle zu spielen.

Allerdings bleibt diese individuelle Betrachtung eine Ausnahme, während sonst eine starke Fokussierung auf das – insbesondere männliche – Geschlecht vorliegt, die sich schon im Figureninventar widerspiegelt. Bei den vorhandenen Figurengruppen innerhalb der erzählten Welt fallen zwei Dinge auf:

  1. Alle Figuren, die nicht zur Gruppe der Wassermänner zählen, wie beispielsweise die Fische (aber auch die Menschen an Land) sind lediglich durch männliche Hauptfiguren vertreten. So gibt es in dieser Welt keine Fischfrauen (und kaum weibliche Menschen). Damit existieren innerhalb der erzählten Welt kaum weibliche Identifikationsfiguren.
  2. Bei der Gattung der Wassermänner sind zwar einige Figuren weiblich, allerdings werden diese als „Wassermann-Frau“ (Teil 1: 03:52) betitelt. Es gibt zwar einige Ausnahmen, in denen die weiblichen Figuren „Wasserfrau“ (Teil 1: 04:26) genannt werden, doch stellt das offenbar nur eine Kurzform der sonst dominanten Bezeichnung „Wassermann-Frau“ dar.

Die Konstruktion „Wassermann-Frau“ lässt die weiblichen Vertreterinnen schon rein sprachlich als Anhängsel ihrer Männer erscheinen. Diese dem Originaltext zu entnehmende Weltordnung rekonstruiert das Hörspiel detailgetreu. Das ist einerseits zu begrüßen, weil dadurch der Originaltext gewürdigt wird, andererseits wäre in der heutigen Zeit doch etwas mehr klangliche Ironisierung oder Hinterfragung wünschenswert gewesen.

So wird in Preußlers Text wie im Hörspiel die Wertung entworfen, dass weibliche Figuren nicht vollständig dazugehören. Insbesondere die anfangs dargestellte Wertung, nur ein Junge sei ein richtiger Wassermann, impliziert, dass Mädchen und Frauen in der Logik der Wassermänner nicht als ‚richtig‘ anzusehen sind. Ein Mädchen würde nämlich in der Logik nicht zu einer richtigen Wasserfrau, sondern zu einer Wassermannfrau, was bereits in der Namensgebung wie ein Appendix wirkt.

Auch in Bezug auf das Familienbild liegen binäre Rollenbilder vor: So geht beispielsweise der Vater mit dem kleinen Wassermann auf dessen erste Erkundungstour (Teil 1: 14:22) und die Mutter bleibt über die gesamte Handlung im gemeinsamen Haus. Außerdem übernimmt sie typische Care-Aufgaben. Die Dominanz des Mannes wird auch auf klanglicher Ebene ausgestaltet: Zum einen hat der Vater gegenüber der Mutter einen deutlich höheren Sprechanteil und zum anderen ist die Intonation des Vaters bestimmend und dominant, während die Mutter mit einer ruhigen oder besorgten Stimme spricht.

  1. Obwohl er von vornherein zum „echten Wassermann“ erzogen wird, schafft es der kleine Wassermann nach und nach, sich gegen die Elterngeneration und die damit verbundenen Verhaltenserwartungen aufzulehnen und diese zu durchbrechen. So fällt auf: Der kleine Wassermann wird mit Voranschreiten der Handlung (und somit auch seines Alters) immer autonomer. Dieser Vorgang der zunehmenden Selbstständigkeit wird durch wiederkehrende Musikelemente begleitet, die die Stimmung des Originaltextes sehr gut einfangen und unterstützen. Beim Erwachsenwerden erlebt der kleine Wassermann einige Abenteuer: So muss der Vater ihn aus den Fängen von Schlingpflanzen retten, er schafft es, durch das Mühlrad hindurchzutauchen, und ist dadurch von Abenteuer zu Abenteuer selbstbewusster und weniger von seinem Vater abhängig.
  2. Während der erste Teil insbesondere die Perspektive der Erwachsenengeneration und der Eltern ausgestaltet, wird die Sicht des kleinen Wassermanns mit dem Fortschreiten der Handlung immer zentraler. Dies zeigt sich im Hörspiel dadurch, dass die musikalische Untermalung sich wandelt und häufiger die fröhlichen Streichinstrumente erklingen, die das Auftreten des kleinen Wassermanns begleiten.
  3. Der Wassermann-Vater erscheint nun auch nicht mehr festgelegt auf die Rolle als Wassermann. Stattdessen wird er durch die Erzählinstanz mit einem neuen Attribut markiert: als Vater. Insofern steht nicht mehr der Wert des „Wassermann-Seins“ im Vordergrund, sondern vor allem die erzieherische und sozialisatorische Funktion, wenngleich die Orientierung an binären Geschlechterrollen aufrecht erhalten bleibt.

Fazit

Die Hörspieladaption orientiert sich stark am Originaltext und würdigt Preußlers Kinderbuchklassiker. Die Klangkulisse ist lebhaft und erzeugt eine beschwingte Atmosphäre, die einen gemütlichen Hörabend garantiert. Bei allem Lob für die klangliche Ausgestaltung und die stimmige musikalische Untermalung wäre es aber doch wünschenswert gewesen, etwas mutiger die im Originaltext vorliegenden Konservativismen zu brechen und dadurch einen höheren Aktualitätsbezug herbeizuführen. 

 

Dieser Beitrag erscheint im Rahmen des Hörspielschwerpunkts zum 100. Geburtstag Otfried Preußlers.

 

Titel: Der kleine Wassermann
Regie:
  • Name: Annette Kurth
Autor/Bearbeitung:
  • Name: Otfried Preußler
Sprechende: Johanna Burg, Heinrich Schafmeister, Sona MacDonald, Laura Maire, Götz Argus, Ernst August Schepmann, Wolfgang Hess, Elisabeth Scherer, Wolfgang Spier, Ralf Wolter, Leon Stille, Lukas Schreiber, Luca Kämmer
Produktion: WDR (Silberfisch)
Erscheinungsjahr: 2006
Dauer (Minuten): 112 Minuten
Preis: 13,00
Altersempfehlung Redaktion: 6 Jahre
Titelbild Wassermann auf einem Fisch