Inhalt
Das Hörspiel begleitet die drei Räuchermänner – Pankraz, Servaz und Bonifaz – bei der Rettung ihrer besten Freundin aus den Klauen der neun Kegelmänner. Während ihrer Reise durch das nächtliche Kinderzimmer auf der Suche nach einer Lösung beratschlagen sie sich mit Frau und Herrn Pfefferkuchen, treffen den Zwi-Zwa-Zwetschgenmann, fahren mit der Spielzeugeisenbahn zum Wachmeister Nussknacker und galoppieren mit diesem auf dem Schaukelpferd zurück zum besetzten Puppenhaus. Nachdem auch der Wachtmeister von den Kegelmännern nur verlacht wird, räuchern die drei Brüder sie schließlich aus dem Haus und befreien Fräulein Helene aus dem Keller. Nach einer Kegelpartie, welche die Kegel über den Boden des Kinderzimmers verstreut liegen lässt, kehren im Kinderzimmer wieder Ordnung und Ruhe ein – zumindest bis zur nächsten Mitternacht.
Kritik
Die Figuren in Preußlers Weihnachtshörspiel, gesendet zum ersten Mal am Ersten Weihnachtsfeiertag 1955, sind inspiriert vom Spielzeug und der Weihnachtsdekoration aus dem Kinderzimmer der Töchter des Autors (vgl. Böckelmann 2002, S. 136). Zwar spielt Weihnachten, wie Angelika Böckelmann in ihrer Analyse ausführt, nur eine untergeordnete Rolle für die Handlung und Gestaltung des Hörspiels (vgl. ebd.), Bezüge zur Tradition des (Weihnachts-)Märchens lassen sich dennoch dezidiert nachweisen.
Dies beginnt bereits bei der Einstiegsszene, die an den Erzähltext der Vorlage angelehnt ist. Gesprochen von der am Wiener Burgtheater tätigen Elisabeth Höbarth stellt die Erzählerin nach direkter Ansprache an die Hörer*innen – „In der Geschichte, die ich euch heute erzählen werde ...“ (00:32) – zunächst die drei vor und markiert sie als anthropomorphisierte Räuchermännchen. Dass es Menschen seien, hätte schließlich auch keiner gesagt, korrigiert sie anschließend leicht ironisch potenzielle Annahmen ihrer Hörer*innen (vgl. 00:54). Wiederholt wendet sich die Erzählerin in dieser Form an die Zuhörer*innen, referenziert wird damit eine direkte Kommunikationssituation, die an die Tradition der Märchenerzähler*innen anknüpft.
Die zahlreichen ausführlichen Vorstellungen der Figuren, die Kommentare, Wertungen und stimmlichen Auszeichnungen, mit denen sich die Erzählerin immer wieder Gehör verschafft, unterstützen diesen Höreindruck. Über leise, sphärische Töne wird nach der Eingangsszene der Übergang in die diegetische Welt markiert (vgl. 02:22) und die Zuhörer*innen können erstmalig die Stimmen der drei Räuchermännchen vernehmen, die anhand von Stimmfarben und dialektalen Prägungen klar voneinander abgegrenzt werden und reimend ihre Liebe zum Pfeifenrauchen ausdrücken (vgl. 02:22).
Das System aus Figurenvorstellung durch die Erzählerin und anschließender Stimmwerdung der einzelnen Figuren zieht sich durch das Hörspiel und ermöglicht trotz der figuralen Fülle akustische Orientierung. Häufig wird in den Vorstellungspassagen jambisch und mit Paarreimen gearbeitet (vgl. Böckelmann 2002, S. 156), was die Einprägsamkeit erhöht.
Unterstützend fungiert in diesem Zusammenhang auch die Musik, welche einzelne Charakterzüge der Figuren hervorhebt. So wird der Beginn des Spaziergangs der drei Räuchermännlein durch das Kinderzimmer nicht allein durch die Erzählstimme gerahmt, sondern auch durch die begleitende Xylophon-Musik, deren klappernder Klang die Bewegung der Figuren erahnen lässt (vgl. 03:59).
Während die ersten fünf Minuten als ausführliche Exposition gelten können, in denen neben den drei Räuchermännchen die zweite zentrale Figur durch ein nahezu ehrfürchtig gehauchtes „Fräulein Helene“ (vgl. 04:30) benannt wird, kommt es nach den Worten „aber einmal geschah es“ (05:05) zum Eintauchen in den Grundkonflikt der Erzählung: Das Besetzen des „schönen geräumigen Puppenhaus[es]“ (04:50) durch die neun Kegelkerle und das Verbannen des Fräuleins in den Keller.
Mit dem Konflikt „gut gegen böse“ (Böckelmann 2002, S. 137) und dem Anrufen der zu befreienden schönen Jungfrau orientiert sich der Text einmal mehr an klassischen Märchen- und Heldennarrativen, bricht diese aber gleichermaßen durch sein eher ungewöhnliches Heldenpersonal. Das Motiv der ‚Damsel in Distress‘ – gebunden an die Figur der Puppe Helene – wird angesichts der Tatsache, dass diese im gesamten Hörspiel stumm bleibt, noch potenziert.
Der Rückgriff auf die Märchentradition spiegelt sich auch in der „synthetischen Grundstruktur“ (Böckelmann 2002, S. 137) der Handlung wider. Auf die Konfrontation mit den Kegelkerlen (vgl. 07:10), die sich über ihre vershafte, sich gegenseitig stets ablösende Sprechweise (vgl. Böckelmann 2002, 150), die begleitende Melodie und das einstimmige Lachen als klar zusammengehörig bestimmen lassen, folgt die Reise der Räuchermännchen durch das Kinderzimmer entlang verschiedener Stationen, in denen diverse Helfer*innenfiguren auftauchen, die sich jedoch nur bedingt als hilfreich erweisen.
Zuerst das sehr verliebte Pfefferkuchenpaar, deren sie vorstellender Dialog von Liebesbekundungen geprägt ist, die ihren Status als Süßigkeiten betonen und somit im doppelten Sinne nahezu ‚triefend süß‘ sind (vgl. 09:55). Der durch Sprechweise und häufige Nachfragen als eher einfältig inszenierten Figur des Pfefferkuchenmanns steht eine forsche und kühne Pfefferkuchenfrau gegenüber: Sie ist es, die in der Diskussion den Ton – auch stimmlich – angibt und den Plan der Räuchermännchen ablehnt. Zwar betont sie, dass das Ehepaar stets zur Hilfe bereit sei, aber ihren Ehemann als Lockvogel einzusetzen, das gehe „doch zu weit“ (12:49) und so müssen die Räuchermännchen unverrichteter Dinge weiterziehen.
Wenig konkrete Hilfe offeriert ebenfalls das Aufeinandertreffen mit dem sprechend-singenden (vgl. Böckelmann 2002, S. 160) und über Flötentöne als pfeifend eingeführten „Zwi-Zwa-Zwetschgenmann“ (vgl. 14:30-15:30) – gesprochen von Willy Semmelrogge –, auch wenn dieser ihnen zumindest den Wachtmeister Nussknacker als Helfer in der Not anempfiehlt. Handlungslogisch sind die einzelnen Figuren, auf welche die Räuchermännchen treffen, somit nur bedingt eingebunden, sind es schlussendlich doch Pankraz, Servaz und Bonifaz selbst, welche die titelgebende ‚dicke Luft im Puppenhaus‘ verbreiten und die Kegelkerle damit zum Verlassen zwingen (vgl. 28:30).
Die Begegnungen mit den verschiedenen Figuren dienen somit primär deren Vorstellung und das Hörspiel fungiert damit als episodisch gestaltete Rundschau in ein weihnachtliches Kinderzimmer. Zahlreiche Wortwitze und Doppeldeutigkeiten gestalten diese Rundschau trotz des eher sparsam gehaltenen Handlungsgerüsts kurzweilig und adressieren neben einem kindlichen auch ein erwachsenes Publikum. Dazu gehören bspw. der Titel des Hörspiels, das Amüsieren der Erzählerin über das Stirnrunzeln des Zwetschgenmanns, da dieser als Dörrobst ja bereits sehr runzlig sei, oder auch die Tatsache (16:05), dass die Räuchermännlein beim Betreten des Zuges zunächst scheitern, weil sie sich im Abteil für Nichtraucher*innen wiederfinden (18:27).
Ebenso lässt sich diesbezüglich der Umstand anführen, dass der durch eine tiefe und sonore Stimme als Autoritätsperson charakterisierte Wachtmeister Nussknacker, gesprochen von dem im Hörspiel der Nachkriegszeit stimmlich sehr präsenten Kurt Haars, in dieser Funktion zunächst scheitert (vgl. 25:20) und von den Kegelmännern verlacht wird (27:00). Es ist der stimmlich eher kindlich klingende der drei Räuchermänner (vgl. Böckelmann 2002, S. 150), der den rettenden Plan ersinnt und somit einmal mehr das referenzierte Märchenschema, das eher Jäger, stattliche Prinzen oder verwegene Ritter zu Helden erwählt, punktuell bricht.
Als weitere Perspektivverschiebung lässt sich zudem die Zugpassage begreifen, die den Raum durch die Augen der Spielzeugfiguren erlebbar werden lässt (vgl. 19:00) – eine Verschiebung, die Jahrzehnte später von Toy Story für ein Massenpublikum in Szene gesetzt wird.
Neben zahlreichen, heutzutage archaisch anmutenden Formulierungen und Begriffsverwendungen, die das Alter des Hörspiels erhören lassen, lässt sich auch die akustische Gestaltung diesbezüglich anführen. Diese ist stark an das Wort als dominierendes Element gebunden und hebt „Preußlers Neigung, eine Geschichte zu erzählen“ (Böckelmann 2002, S. 154) hervor. Die musikalischen Elemente – allesamt neu für das Hörspiel komponiert – sind vorrangig funktional determiniert: Sie dienen der Strukturierung der Handlung, der Charakterisierung der Figuren, deuten im Vorspann die fröhliche Grundstimmung des Hörspiels voraus und markieren im Abspann über die sphärischen Töne der Hammondorgel den Übergang aus der fantastischen Welt der Diegese (vgl. ebd. S. 157-159). Geräusche als raumschaffende oder atmosphärische Mittel finden sich kaum. Eine Ausnahme bildet die Fahrt mit der Spielzeugeisenbahn. Zu hören sind die Stimme des Schaffners und ein Signalpfiff, die vor der Abfahrt warnen (18:35-18:47), ein „leichter Hall“ (vgl. Böckelmann 2002, S. 143) schafft Bahnhofsatmosphäre, das Rattern des Zuges unterlegt die Fahrt und platziert die Zuhörer*innen in der Perspektive der Figuren. Ähnlich fokalisiert ist der Ritt auf dem Schaukelpferd, der klappernde Hufe – erneut mithilfe eines Xylophons, anstelle eines Schaukelns also ein Galoppieren – sowie ein Wiehern hören lässt (vgl. 23:59) und somit die Wahrnehmung der Spielzeugfiguren inszeniert.
Kritik
Böckelmann resümiert, dass die Bedeutung des Hörspiels „vor allem historisch begründet ist“ (Böckelmann 2002, S. 164), es somit vornehmlich als akustisches Zeugnis zu bestimmen ist, als Beispiel für das Märchenhörspiel der 1950er bis 1960er Jahre, wie Andreas Wicke es nachzeichnet (vgl. Wicke 2016). Dass dieses für heutige Kindergenerationen, wie Böckelmann (2002, S. 164) ausführt, wenig Anknüpfungspunkte böte – trotz der stetigen Ansprache an das kindliche Publikum und womöglich gerade wegen des Fehlens kindlicher Figuren – mag eine berechtigte Kritik sein.
Aufgrund der Prominenz der Figurenstimmen über den Bereich des Kinder- und Jugendhörspiels hinaus – zu Kurt Haars listet die ARD-Hörspieldatenbank 460 Treffer, zu Kurt Condé, dem Sprecher von Pankraz sind es immerhin 285 – bietet es Potenzial für ein nostalgisches Wiederhören und zudem zahlreiche intra- und intermediale Anknüpfungspunkte zur Tradition der Weihnachtsmärchen.
Literaturverzeichnis
Böckelmann, Angelika: Hörspiele für Kinder. Kinderliteratur als Vorlage – Otfried Preußler als Autor – Bewertungskriterien. Oberhausen: Athena, 2002.
Wicke, Andreas: Kinderhörspiel. In: KinderundJugendmedien.de. Erstveröffentlichung: 04.02.2016. (Zuletzt aktualisiert am: 21.05.2023). URL: https://www.kinderundjugendmedien.de/begriffe-und-termini/1491-kinderhoerspiel. Zugriffsdatum: 23.11.2023.
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen des Hörspielschwerpunkts zum 100. Geburtstag Otfried Preußlers.
- Name: Harry Schweizer
- Name: Otfried Preußler