Inhalt
Die drei ??? und der Phantomsee ist in der Reihenfolge der (deutschsprachigen) Prätexte die zweite Hörspiel- und neunzehnte Buchfolge – das Live-Hörspiel nutzt beide Versionen als Grundlage, greift jedoch in die Handlung ein, kürzt und erweitert gleichermaßen. Die Folge beginnt mit dem Fund einer alten Truhe und dem Versprechen auf den lang verloren geglaubten Schatz des Seemanns Angus Gunn. Im Rahmen ihrer Ermittlungen treffen die drei ??? nicht nur wiederholt auf den narbengesichtigen Seemann Java-Jim, erhalten Hilfe von Clunny Gunn, dem Urenenkel von Angus Gunn, und Professor Shay, sondern werden von einem mysteriösen Mann im grünen Kombi verfolgt, in den Bauch eines Kahns und Holzhütten eingesperrt und sie begegnen dem Phantom des Sees. Werden die drei ??? auch in einer anderen stimmlichen Besetzung und mit Unterstützung des Live-Publikums diesen Fall lösen?
Kritik
Zu betrachten ist zunächst einmal, dass sich mit dem Wechsel vom Stream, der Kassette oder der CD auf die Bühne das auditive Medium in ein audiovisuelles verwandelt und das Publikum dem Prozess des Hörspiel-Werdens auf der Bühne zuschauen kann.
Versammelt sind nicht nur die unterschiedlichen Sprecher:innen – neben Oliver Rohrbeck und dem Überraschungsgast Andreas Fröhlich (Bob Andrews) auch fünf Fans, die durch ein Casting ausgewählt wurden –, sondern auch ein Musiker und der Geräuschemacher Jörg Klinkenberg.
Hierin liegt ein besonderer Reiz des Live-Hörspiels: der Einblick in die Produktion. So erfahren die Zuschauer:innen, wie mithilfe eines halben Fahrrads die Fahrradtouren der drei Detektive auditiv realisiert werden, wie über Kissen eine Prügelei hörbar wird oder wie ein Wechsel zwischen Absatz- und Herrenschuh männliche und weibliche Figuren auftreten lässt.
Weiterhin bereichert das Live-Hörspiel die auditive Spur über die Mimik und Gestik der Sprecher:innen, die alle in Schwarz gekleidet zwar ein Stück weit hinter ihren Stimmen zurücktreten, aber die einzelnen Handlungselemente dennoch mimisch und gestisch visualisieren. Da wird auf der Stelle gerannt, an imaginierten Schlössern hantiert, durch die eigene Hand gesprochen und schließlich quält sich Justus Jonas/Oliver Rohrbeck auch eine Leiter hoch. Von Andreas Fröhlich/Bob Andrews wird diese Anstrengung metafiktional durch die Bitte an den Geräuschemacher begleitet, Justus doch ein bisschen schneller klettern zu lassen. Die Aufführung ist überhaupt geprägt von metafiktionalen Elementen, die nicht nur die Gemachtheit des Hörspiels ausstellen, sondern vor allem für Komik und emotionale Involviertheit sorgen: Wenn Andreas Fröhlich und Oliver Rohrbeck darüber diskutieren, welche Floskeln Bob Andrews besonders häufig einsetzt, sich Andreas Fröhlich für eine Entscheidung entschuldigt – mit dem Hinweis „Das steht so hier“ – oder wenn Mrs. Gunn das Publikum darum bittet, den Text auf der berühmt-berüchtigten Karte der drei ??? mitzusprechen.
Neben den Geräuschen und der Musik sorgt auch die Lichtgestaltung für atmosphärische Unterstützung. Die Aufführung beginnt mit Scheinwerfern in den Farben des paratextuellen Designs der Drei ??? – weiß, rot und blau. An anderen Stellen wird das Lichtdesign genutzt, um (parallele) Handlungsstränge und Handlungsräume voneinander abzugrenzen: Die parallelen Episoden um Justus und Clunny vs. Bob und Peter werden bspw. durch den Einsatz unterschiedlicher Scheinwerfer als in verschiedenen Räumen verortet. Justus’ und Clunnys Gefangenschaft auf dem Kahn wird durch einen einzelnen Scheinwerfer ausgeleuchtet und damit das klaustrophobische Gefühl der beiden Figuren visuell inszeniert. Ähnlich funktionalisiert sind auch die Nebelmaschinen.
Da davon auszugehen ist, dass ein Großteil des Publikums den Prätext des Live-Hörspiels kennt und somit auch den Twist, dass Java-Jim und Professor Shay ein und dieselbe Person sind, kündigt Oliver Rohrbeck in seiner einführenden Rede an, dass das Publikum einen ‚neuen Phantomsee‘ kennenlernen werde, der näher an der Buchfassung sei und mehr Wendungen verspricht.
Diese Wendungen sind definitiv in der Aufführung zu entdecken – es finden sich zahlreiche zusätzliche Handlungsorte (die Zypressen-Insel, der Schifferkahn) sowie Handlungsstränge, welche die Nebenfiguren stärker auskonturieren und so mehr Verdächtige etablieren: Warum hilft Stebbins nicht, wenn er unschuldig ist, Justus und Clunny aus dem Schiff zu befreien? Wer ist das Kind, das Patrick den Tipp gibt, wo sich die beiden befinden? Wer sperrt Peter und Bob in der Hütte im Steinbruch ein? Wer hat die Räucherhütte angezündet? Und warum?
Obwohl diese Handlungsmomente mitunter nicht kausal eingebunden scheinen und somit eine Erklärung nahelegen, warum sie aus der originalen Hörspielfassung gekürzt wurden, erzeugen sie mehr Verdachtsmomente gegenüber Rory und Stebbins und machen so den finalen Twist – auch für versierte Die drei ???-Hörer:innen – überraschender.
Veränderungen gegenüber den Prätexten sind zudem auf narratologischer Ebene zu verzeichnen. Die Erzählinstanz wechselt von einer heterodiegetischen Erzählinstanz zum autodiegetischen Erzähler Justus Jonas. Akustisch abgegrenzt werden die beiden Ebenen – Justus Jonas als Erzähler und Justus Jonas als Figur – durch zwei verschiedene Mikrofone, welche seine Stimme unterschiedlich wahrnehmbar machen. Der Wechsel wird zudem begleitet durch eine Erhöhung dramatischer Elemente gegenüber den mitunter stark narrativen Passagen – Erzählerrede und Binnenerzählungen – der Originalfassung. Das Live-Hörspiel wirkt dadurch einmal mehr besonders unmittelbar.
Ein weiterer Reiz liegt in den unterschiedlichen Besetzungen der Figuren, die allesamt trotz der Größe des Publikums sehr souverän agieren und auch Doppelbesetzungen akustisch unterscheidbar machen – seien es Java-Jim und Professor Shays oder Patrick und Stebbins.
Über die Besetzung der Mitmach-Hörspiele, so die einführende Rede Rohrbecks, soll zudem eine Problematik der Hörspiel-Serie adressiert werden: das starke Übergewicht männlicher Figuren in den Hörspielen, wie etwa von Sophie Schuhmacher in ihrer Dissertation (2025) oder von Nikita Kara Helena Träder (2022) diskutiert. Aus diesem Grund ist die Figur Peter in den Live-Hörspielen stets mit einer weiblichen Stimme besetzt – und dies nicht etwa, so Rohrbeck, weil Peter eine ängstliche Figur sei. Dass diese Problematik hier direkt angesprochen wird, ist angesichts der Diskussionen im Hörspielbereich durchaus bemerkenswert. Verwiesen sei hier auf den Disclaimer, der vielen älteren Hörspielfolgen des Labels Europa, zu dem auch die Reihe Die drei ??? gehört, vorangestellt ist.
Ob diese Strategie tatsächlich das Problem auflöst, ist jedoch fraglich – sie erlaubt zwar den Einsatz von mehr Sprecherinnen auf der Bühne, ändert jedoch nichts an der Gender-Inszenierung im Hörspiel. Zumal die Besetzung von Jungen durch eine weibliche Stimme im Kinder- und Jugendmedienbereich nicht ungewöhnlich ist, man denke an Sandra Schwartau, die Synchronsprecherin von Bart Simpson.
Fazit
Das Mitmach-Hörspiel ist somit geprägt durch kleinere erzählerische Längen. Zudem stellt sich die Frage, ob in Bezug auf die Gender-Inszenierung hier nicht Potenzial verschenkt wird. Vorstellbar wäre beispielsweise ein Umschreiben ausgewählter Figuren. Allerdings muss das Live-Hörspiel diesbezüglich sicherlich stets den Spagat zwischen kritischer Re-Lektüre und nostalgischem Hörvergnügen wahren. Dennoch erlaubt das Hörspiel einen gekonnt inszenierten Blick hinter die Kulissen des Geräuschemachens und Einsprechens der populären Hörspielserie, der trotz des bekannten Materials Spannung erzeugt und somit sowohl den früheren ‚Kassettenkindern‘ als auch den heutigen ‚Tonie-Kindern‘ Vergnügen bietet.
Literaturverzeichnis:
Schuhmacher, Sophie: Reading Gender. Geschlechterreflexion im Deutschunterricht anhand der Drei Fragezeichen und der Drei Ausrufezeichen. (2025). In: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/34800/1/Schuhmacher_Sophie.pdf
Thierauf, Isabell: Der All-Age-Code. Mehrfachadressierende Verfahren in Die drei ??? Brill, 2025.
Träder, Nikita Kara Helena Fall 218: Die gestohlenen Frauenstimmen und andere patriarchale Detektivgeschichten, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 31.08.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=231
- Name: Oliver Rohrbeck
 
										