Inhalt
Aufgeführt wird das Live-Hörspiel von der Lauscherlounge, die sich auch für entsprechende Veranstaltungen der Drei ??? oder der Kriminalromane von Sebastian Fitzek verantwortlich zeigt. Hörspielfreund:innen überrascht es deshalb sicherlich nicht, dass sich neben den drei Sprecher:innen Gabriele Blum, Sascha Rotermund und Gunnar Helm auch der Geräuschemacher Jörg Klinkenberg auf der Bühne einfindet.
Das Live-Hörspiel beginnt wie Charles Dickens’ Prätext am Weihnachtsabend mit dem Besuch des ersten Geistes. Dieser ist jedoch nicht Jacob Marley, toter Kompagnon des hartherzigen Ebenezer Scrooge, sondern Marla, verstorbene Ehefrau des nunmehr altersmüden Ebenezer und Mutter des gemeinsamen und – hartherzigen – Sohns Monty Scrooge.
Eine Weihnachtsgeschichte wird so zur Familiengeschichte, in der Monty seinen traurigen und kranken Vater an Weihnachten nicht besuchen will und Marla gleichzeitig ihren Sohn bekehren sowie dessen Vater trösten will. Aus diesem Grund sucht sie nicht nur ihren Sohn heim und warnt ihn vor den „Ketten“, die er sich mit seinem Lebenswandel schmiedet, sondern schlüpft zudem in die Rollen – stets stimmlich und für Monty auch äußerlich verkleidet – der drei Geister der vergangenen, diesjährigen und zukünftigen Weihnacht. Nach überstandener Geisternacht besucht Monty schließlich seinen Vater und schenkt seinem Mitarbeiter Bob Cratchit eine Gans zum Weihnachtsessen. Auf diesem Weihnachtsessen endet das Hörspiel mit einem lautstarken ‚Fröhliche Weihnachten‘.
Kritik
Bis auf die Verschiebung der Rollen und die Erweiterung des Figurenensembles um Mutter und Sohn Scrooge bleibt die Adaption sehr nah an der Vorlage. Auch die Anpassungen auf zeitlicher Ebene – so besitzt Monty ein Handy und statt Kutschen fahren Autos und Mopeds – sind nur punktuell. Gerade die zeitliche Verlagerung in eine mehr oder minder unbestimmt bleibende Jetztzeit sorgt mitunter für leichte Dissonanzen auf Handlungs- und sprachlicher Ebene. Warum greift Monty nicht nach besagtem Handy, um sich nach dem Besuch des ersten Geistes zeitlich zu orientieren oder für Licht in seinem Zimmer zu sorgen? Auch das Springen zwischen dem stellenweise zeitgenössischen Jargon der Figuren und dem sprachlichen Duktus der Vorlage bzw. deren Übersetzung sorgt bisweilen für anachronistische Spannung, die eher für zeitliche Verwirrung sorgt, statt handlungslogisch motiviert zu erscheinen. Fraglich ist zudem die Entscheidung, die familiäre Konstellation und damit ebenfalls die Konzeption Ebenezers zu verändern, aber dennoch an den zentralen Handlungspunkten des Prätextes festzuhalten. Auch dies führt punktuell zu Dissonanzen, werden Ebenezer und Marla doch als liebendes Ehepaar eingeführt, dessen Liebe den Tod überdauert. Vor allem werden sie als liebende Eltern konzipiert, weswegen nicht allein Montys Charakterentwicklung überrascht, sondern vor allem, dass diese liebenden Eltern ihren Sohn über Weihnachten stets im Internat gelassen haben, um auf Dienstreise zu gehen.
Dass Monty in der Gegenwart Einladungen ausschlägt, verwundert kaum – schließlich musste erst seine Schwester die Eltern überreden, ihn überhaupt einmal nach Hause zu holen. Hier wäre ein stärkerer Eingriff wünschenswert gewesen, um Ebenezers und Marlas Entscheidungen aber auch ihre Veränderung zu erklären, denn dass es nur der Konkurs ihrer Firma ist, der sie zu Weihnachtsfreund:innen werden ließ, scheint angesichts der Kernbotschaft des Textes wenig überzeugend. Ebenso ließe sich für eine Änderung der finalen Motivation der Umkehr Montys im Kontext seiner Begegnung mit dem Geist der zukünftigen Weihnacht plädieren. Auch hier verschenkt der Hang zur Werktreue bei gleichzeitiger Erneuerung Potenzial.
Dieses kleine Manko wird jedoch durch die akustische Performanz wettgemacht. Dazu gehört zunächst die Qualität der Stimmen. Besonders Gabriele Blum überzeugt und spricht die verschiedenen Geister explizit different, sodass diese als verschiedene Figuren auf der Bühne wahrnehmbar werden. Weiterhin unterbricht sie ihre Monologe und Dialoge wiederholt, um sich metafiktional ans Publikum zu wenden. In diesen Meta-Aussagen kommentiert sie ihre eigene Schauspielleistung, die Handlung sowie das Gebärden der anderen Figuren ironisch, was wiederholt für Lacher sorgt. Sascha Rotermund und Gunnar Helm als Sohn und Vater Scrooge können stimmlich ebenfalls begeistern. Auch sie sprechen neben diesen Rollen weitere Nebenfiguren und lassen diese allein über die stimmliche Performanz hörbar werden.
Hervorzuheben ist zudem die Leistung des Geräuschemachers, der mit seinem Geräuschekoffer Figuren und Räume auf der Bühne hörbar werden lässt. Dazu gehört beispielsweise die ausgedehnte Untersuchung Ebenezers durch seinen Pfleger inkl. Injektion, Bandagenwechsel und Blutdruckmessen, das metallische Klingen von Marlas Ketten, das Quietschen der Türangeln und Tiny Tims Krücken, auf denen dieser sich durch den Raum bewegt. Über diese Geräusche, die spärliche Beleuchtung sowie die Nebelschwaden, die über die Bühne rollen, erscheinen dann die verschiedenen Handlungsräume vor dem geistigen Auge oder eher Ohr der Zuschauer:innen – und das ganz ohne jegliches Bühnenbild. Der Fokus auf die akustische Gestaltung wird zudem noch dadurch erhöht, dass die Sprecher:innen und der Geräuschemacher komplett in Schwarz gekleidet sind und gestisch zurückhaltend arbeiten. Auch die musikalische Untermalung ruft über bekannte Melodien – von Gute-Nacht-Liedern und klassischen Stücken – die Stimmung einer geisterhaften Weihnachtsnacht auf und trägt somit ebenfalls gelungen zur Atmosphäre des Hörspiels bei.
Fazit
Charles Dickens’ Eine Weihnachtsgeschichte ist bis heute unzählige Male adaptiert worden – ob als Bilderbuch, Animationsfilm (Disneys Eine Weihnachtsgeschichte), als romantische (Der Womanizer – Die Nacht der Ex-Freundinnen 2009) oder schwarze Komödie (Scrooged 1988) mit den Muppets (Die Muppets Weihnachtsgeschichte 1992) oder Dr Who (Fest der Liebe 2010). Die Fassung von Autor Florian Bald kann trotz kleiner Schwächen auf Handlungs- und Figurenebene durch die akustische Gestaltung überzeugen und erlaubt so einen neuen Blick auf Dickens’ Weihnachtsklassiker.
- Name: Florian Bald