Inhalt

Minis Vater betreibt ein chinesisches Restaurant, das gerade so über die Runden kommt und sie und ihren Vater ernähren kann. Sie selbst hilft ab und an in der Küche und im Service und bedient die Gäste, ist aber ansonsten oft mit ihren Freundinnen auf Partys unterwegs und feiert. Als sie sich in den heimlichen Schwarm Bela ihrer besten Freundin verliebt, herrscht zunächst Funkstille zwischen den Mädchen. Ihr Leben ändert sich, als ihr Vater plötzlich mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus kommt: Mini muss sich fortan um das Restaurant kümmern und sich mit dem Koch Bao auseinander setzen, der es ihr mit seiner unfreundlichen Art nicht leicht macht und auch ihren Vater seine Ablehnung spüren lässt.

Als ihr Vater aus dem Krankenhaus entlassen wird und ihr Onkel Wu aus Australien anreist, erfährt Minis Leben eine weitere Wende: Ihr Onkel ist es, der das chinesische Traditionsbewusstsein in Minis Bewusstsein rückt und sich, als Minis Vater ein zweites Mal ins Krankenhaus muss, um das Restaurant zu kümmern versucht. Auch Mini wird immer mehr eingespannt und kann nur noch von der Begegnung mit Bela träumen, bis er plötzlich im Lokal mit seinen Freunden isst und auf Mini trifft. Beide kommen sich näher und es bahnt sich eine Beziehung an, auf die auch später Minis Freundin nicht mehr eifersüchtig ist, so dass die Mädchen wieder miteinander reden.

Durch den täglichen Umgang mit dem Koch Bao und der Küchenhilfe Ling kommt es zudem zu einer Annäherung zwischen Mini und dem Koch Bao, der ihr von der Flucht über das Meer aus Vietnam nach Singapur, dann nach Thailand und schließlich nach Deutschland erzählt und die er zusammen mit ihr und ihrem Vater erlebt hat. Und Mini erfährt, dass nicht immer alles ist, wie es scheint…

Kritik

Der stringent konzipierte und linear erzählte, mit Rückblenden verknüpfte Roman greift mit der im westlichen Kulturkreis aufgewachsenen und sozialisierten Mini und ihrem Vater und besonders ihrem Onkel einen Themenkomplex auf, der sich als hochaktuell entpuppt: Es geht um die Flucht aus der Heimat – in diesem Fall der sog. Boatpeople mit dem Boot über das Meer –, um die Bedrohung des eigenen Lebens und um die Suche nach einem neuen Zuhause – und somit implizit um die Suche nach dem Glück. Während sich Mini schnell in ihrer neuen Heimat hat akklimatisieren können, wird an der Ausgestaltung der Figur ihres Vaters deutlich, dass ihm die neue Heimat Schwierigkeiten bereitet. Er beherrscht die deutsche Sprache nicht sicher und kann dementsprechend nur schwer soziale Kontakte aufbauen, was ihm die Integration in die Gesellschaft deutlich erschwert. Kontakte zu Landsleuten ergeben sich in Herford ebenfalls nicht, da dort kaum andere Chinesen leben. Gleichzeitig vernachlässigt er die eigenen kulturellen Wurzeln und kann entsprechend Mini die damit verbundenen Werte nicht mitgeben. Konterkariert wird dies durch Minis Onkel Wu, der zu Besucht kommt und von seiner chinesischen Community in Australien berichtet, die die chinesische Kultur pflegen und bewahren und ganz den chinesischen Traditionen verpflichtet sind.

Kultur ist hier der Schlüssel und steht im Zentrum des Romans. Dem Leser wird vor Augen geführt, was alles kulturell codiert sein kann: Neben Verhaltensweisen wird dies vor allem deutlich am Essen und am Besteck, wie an den Essstäbchen zu sehen ist: "Onkel Wu wollte Stäbchen trotz der Teller" (S. 99). Essstäbchen sind hier typisch chinesisch und für Onkel Wu durch nichts zu ersetzen, weil sie ein Teil seiner Kultur zum Ausdruck bringen – dementsprechend sorgt das Essen von Würstchen mit Stäbchen für Menschen aus dem westlichen Kulturkreis wiederum für Befremden. Kultur wird zudem ausgeweitet auf Geschichte und Mini – und die Leser – erfahren Markantes aus der Geschichte: Der Einmarsch der Kommunisten in Saigon wird ebenso erwähnt wie die Umerziehungslager und die Zwangsarbeit. Kernpunkt ist jedoch die Flucht der Boatpeople, von denen viele die Flucht über das Meer nicht überlebten, mit dem die Geschichte um Mini verknüpft wird.

Um kulturelle Unterschiede zu verdeutlichen, wird auch die Sprache entsprechend eingesetzt: Während Mini zwischen dem westlichen und dem asiatischen Kulturkreis und dementsprechend auch zwischen den Sprachen hin- und herspringen kann – und viele chinesisch eingeflochtene Worte und Redewendungen für den Leser übersetzt –, redet ihr Vater z.T. nur Chinesisch und hat Probleme mit der Verständigung. Für beide wird es im Krankenhaus kompliziert: Was für Muttersprachler völlig selbstverständlich und v.a. verständlich ist, ist für 'Non-native-speaker' mitunter problematisch: "Was meinte sie mit 'stabil'? Und was meinte sie mit 'Innere'?" (S. 46) Sprache wird somit implizit als Schlüssel für eine gelungene Integration gezeigt und damit auch für die Integration innerhalb eines Kulturkreises. So ist es auch für den Leser schwierig, den Dialogen zwischen Vater und Tochter zu folgen, wenn einzelne Worte und Sätze mal nicht übersetzt werden und sich deren Bedeutung nur aus dem Inhalt der nachfolgenden Handlung ergibt.

Während das Thema des Romans völlig überzeugt und den Leser auf  thematischer Ebene fesselt – Wie ist es, wenn man aus der Heimat fliehen und sich ein neues Zuhause suchen muss? Wie findet man neue Freunde? Wie ist das, wenn man mit fremdenfeindlichen Äußerungen konfrontiert wird? –, überzeugt Mini als Protagonistin und Ich-Erzählerin nicht immer, was auch daran liegen mag, dass die Sprache des Romans nicht immer ganz flüssig zu lesen ist. Stellenweise und v.a. zu Beginn des Romans klingt die Sprache abgehackt und sehr sachlich, was zwar sicherlich der Thematik geschuldet ist, andererseits aber der Gattung 'Roman' widerspricht, immerhin wird der vorliegende Roman als solcher nicht als Tatsachenbericht markiert, auch wenn man stark vermuten kann, dass die Autorin hier ihre eigene Lebensgeschichte zugrunde gelegt hat: Sie musste als in Saigon/Vietnam geborene Chinesin aus dem Land fliehen und kam schließlich in Bielefeld an, wo die Familie ein Chinarestaurant betrieb. Was als Biografie sicherlich sehr gut funktioniert hätte, holpert als Roman v.a. zu Beginn der Geschichte ein wenig und klingt eher wie ein Bericht aus/über Minis Leben. Darunter leidet die Darstellung des  Verliebtseins Minis, die man ihr nicht ganz abnimmt, auch wenn sie ihren ‚Freund‘ mit ihrem Onkel und ihrem Vater bekannt macht und es sich somit um eine sich ernsthaft entwickelnde Beziehung zu handeln scheint. Sprachlich 'leidet' der Roman zudem an einigen Stellen unter dem allzu deutlich verwendeten Realismus und der Darstellung von ekligen Dingen: Ob die Nachbarin den Hund mal wieder aus dem Fenster hält, damit er sein Geschäft verrichten kann (vgl. S. 17) muss sicherlich ebenso wenig in aller Deutlichkeit beschrieben werden wie der Pickel, der "mit Eiter gefüllt [war] und mitten auf meiner Stirn [saß]. Ich hatte ihn mit einem Abdeckstift übermalt, aber auf glatten Eiterhauben hielt sich die Farbe so schlecht" (S. 19). Auch wenn realistische Darstellungen in der Kinder- und Jugendliteratur Konjunktur haben, so bleibt fraglich, ob man solche Darstellungen nur kurz (be-)nennt oder in aller Ausführlichkeit in ihrer Abscheu hervorrufenden Wirkung beschreibt und dies geradezu zelebriert.

Mini selbst erscheint ebenfalls stellenweise zwiegespalten: Zum einen agiert sie als strebsame Tochter, die sich um ihren Vater kümmert und ihm Essen ins Krankenhaus bringt und sich, so gut es geht, um das Restaurant kümmert, zum anderen hat sie jedoch selbst Vorurteile über ihre Landsleute und schämt sich für ihre eigene Verwandtschaft. Gleichzeitig äußert sie sich negativ über die Figur ihrer Freundin – "Ich war zwar nicht so dick wie Sarah, aber immer noch fett genug." (S. 30) oder "Sie wollte nicht, dass Heino […] ihren dicken Hintern bemerkte." (S. 20) –, gleichzeitig hält sie fest, dass Sarah "richtig hübsch" ist, aber dass "sie mir wieder nicht glauben würde" (S. 24). Problematisch sind zudem der unreflektiert bleibende Bierkonsum und das Rauchen der einzelnen Akteure.

Der Roman lässt sich thematisch einordnen in einen Bereich der Kinder- und Jugendliteratur, der sich z.Zt. mit der Flüchtlingsthematik bzw. der Lebensgewohnheiten mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen auseinandersetzt. So beschäftigen sich u.a. Akim rennt (Claude K. Dubois, übers. v. Tobias Scheffel), Alle da! Unser kunterbuntes Leben (Anja Tuckermann, Tine Scuhlz) oder Hesmats Flucht: Eine wahre Geschichte aus Afghanistan (Wolfgang Böhmer) mit dem Thema und bereiten es für ihre kindlichen/jugendlichen Leser auf. Einen Schritt weiter geht noch Kirsten Boie, die zusammen mit Jan Birck und Mahmoud Hassanein Bestimmt wird alles gut geschrieben bzw. übersetzt hat, in dem sie ihren Text zweisprachig in Deutsch und Arabisch präsentiert und damit Kinder – und durchaus auch Erwachsene – anspricht und für die Thematik sensibilisiert. Und Sabine Taschinski schafft mit Funklerwald eine Fabel, die sich des Themas Flucht und Vertreibung annimmt.

Zusammen mit Du Luus Buch ermöglichen all diese Bücher die Entwicklung eines gesteigerten Bewusstseins für gesellschaftliche und kulturelle Probleme, mit denen Flüchtlinge nach ihrer Flucht in einem neuen Land konfrontiert werden. Zudem können diese Bücher, die sich dieser Thematik angenommen haben/annehmen, im Unterricht fachübergreifend eingesetzt werden, um mit Schülern das Thema zu besprechen und sie für das Thema sensibilisieren.

Fazit

Mit Im Jahr des Affen hat Que Du Luu einen Roman verfasst, der sich an Leser ab ca. 15 Jahren richtet und die Suche nach Glück und Heimat in den Fokus rückt und kontrastiert mit der Flucht der Boatpeople aus der Heimat über das offene Meer. Dies führt zu einer Sensibilisierung beim Leser für diese Thematik und fördert das Verständnis für die Geflüchteten, für ihre Sorgen und Nöte. Trotz der kleinen Schwächen, die der Roman hat, bleibt die Thematik spannend und macht den Roman lesenswert für interessierte Rezipienten.

Titel: Im Jahr des Affen
Autor/-in:
  • Name: Du Luu, Que
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2016
Verlag: Königskinder
ISBN-13: 978-3-551-56019-3
Seitenzahl: 288
Preis: 16,99 €
Altersempfehlung Redaktion: 15 Jahre
Du Luu, Que: Im Jahr des Affen