Inhalt
Auf den ersten Blick verbindet sie kaum etwas: Die Düsseldorfer Schülerin Sophia kämpft mit Minderwertigkeitsgefühlen und Übergewicht, findet keinen Anschluss in der Klasse. Ihr älterer Bruder Moritz hingegen ist ein Sonnyboy, der wie der Vater Medizin studieren will und den 1er-Abi -Schnitt aus dem Ärmel schüttelt. Die attraktive, angehende Schauspielschülerin Julie zieht in ihre erste eigene Wohnung in Hamburg. Und der smarte Jungunternehmer Philipp will mit seiner Freundin in München ein Penthouse bauen. Alle vier bekommen zu Beginn der Handlung plötzlich Drohungen per SMS und Mail zugesandt mit dem Wortlaut: "Ihr glaubt, ihr seid mich los. Aber ich vergesse euch nicht. Ich bin bei euch alle Tage bis zum 2. Juli" (S. 59). Inwiefern die Schicksale der jugendlichen Protagonisten miteinander verbunden sind, erschließt sich dem Leser erst nach und nach.
Zunächst hat jeder der Betroffenen eine Idee, wer der Verfasser der anonymen Botschaften sein könnte, denn Feinde haben sie alle: Sophia glaubt, eine ehemalige Klassenkameradin wolle sich an ihr rächen, weil sie, selbst Mitläuferin, an Mobbingattacken beteiligt war. Ihr Bruder Moritz hingegen denkt an den Radfahrer, den er neulich betrunken angefahren und einfach hat liegen lassen. Philipp ist überzeugt, dass hinter den Mails sein ehemaliger Seitensprung steckt. Und Julie tippt auf ihre ehemalige beste Freundin, der sie den Platz in der Schauspielschule weggeschnappt hat.
Doch all diese Verdächtigungen erweisen sich als Irrtümer. Eine Wendung nimmt die Geschichte, als der Vater von Sophia und Moritz spurlos verschwindet und darum die Polizei eingeschaltet wird. Die Geschwister durchstöbern die Akten ihres Vaters, einem erfolgreichen Frauenarzt, und kommen so auf eine heiße Spur…
Kritik
Raffiniert und geschickt baut die Autorin Gina Mayer, die bislang eher durch ihre historischen Romane bekannt ist (z. B. Die verlorenen Schuhe), den Spannungsbogen auf, sodass eine Handlung entsteht, die den Leser zu fesseln vermag. So ist eines der klassischen Bücher entstanden, das man nicht mehr aus der Hand legen kann, sobald man einmal in die Geschichte eingestiegen ist - und der Einstieg gelingt schnell und leicht. Das liegt vor allem an der Konzeption der jugendlichen Figuren, die eng an die Lebenswelt heutiger Jugendlicher angelegt, allerdings auch ziemlich klischeehaft konstruiert sind. So wirkt beispielsweise Julie übertrieben selbstbewusst, was psychologisch eher unglaubwürdig erscheint: Sie wuchs in ärmlichen Verhältnissen bei einer alleinerziehenden Mutter auf, die ihr ständig den Vorwurf macht, durch die Geburt der Tochter sei ihre Karriere zerstört worden. Am Ende ist Julie geläutert und will als Entwicklungshelferin nach Afrika gehen. Solche Klischees wirken sich ungünstig auf die Glaubhaftigkeit der Figuren aus. Dennoch sind sie so beschrieben, dass der Leser Empathie entwickeln kann, was an der personalen Erzählhaltung liegt: Abwechselnd bekommt man Einblick in das Innenleben von Sophia, Julie und Philipp. Moritz ist hiervon ausgenommen, er wird nur durch die Perspektive seiner jüngeren Schwester Sophia dargestellt, weshalb er als einziger der Protagonisten seltsam blass bleibt.
Einblick in das Innere des Täters erhält der Leser ebenfalls, dessen Lebensgeschichte serifenartig zwischen die Kapitel gestellt ist, selbstverständlich ohne dessen Namen zu nennen. Auch was das Profil des Täters betrifft, bedient sich die Autorin zahlreicher Klischees. Seine Motive wirken am Ende unglaubwürdig, und der Leser fragt sich irritiert, wie ein angeblich psychisch gestörter Jugendlicher zu derart raffinierten, komplexen Strategien greifen kann, um einen Racheplan zu verfolgen.
Der Spannung tun diese Ungereimtheiten keinen Abbruch, denn trotz allem handelt es sich bei den Protagonisten um liebenswerte Figuren, die man als Leser gern begleitet und mit deren Schicksal man mitfiebern kann, getrieben von der Frage, wer denn nun der Täter ist.
Damit steht der Jugendroman in der Tradition von aktuellen Psychothrillern für Jugendliche, wie z. B. den bekannten Büchern Erebos und Saeculum der Autorin Ursula Poznanski, die sich bei Jugendlichen hoher Beliebtheit erfreuen. Ganz sicher kommt auch die spannende (einfache) Struktur von Morgen wirst du sterben den Leseinteressen vieler Jugendlicher entgegen und eignet sich damit zur Förderung der Lesemotivation.
Fazit
Ein spannender Psychothriller für Jugendliche, der zum Verschlingen in einer Nacht einlädt, packend und fesselnd, dabei aber literarisch wenig innovativ. Anders gewendet: Trivialliteratur vom Feinsten.
- Name: Mayer, Gina