Inhalt

Julian will endlich sein Leben in die Hand nehmen und auf eigenen Füßen stehen. So zieht er zu Beginn der Handlung mit Beginn seines Studiums in ein Studentenwohnheim, wo er zu seiner Erleichterung schnell neue Freund*innen findet. Was diese nicht wissen: Von Kindheit an wird Julian von Visionen heimgesucht, die er inzwischen durch eine laufende Psychotherapie und die Einnahme von Tabletten recht gut im Griff hat. Wie seine Therapeutin Sonja, zu der er ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut hat, geht er davon aus, dass es sich nur um Trugbilder handelt. Doch als er sich dazu durchringt, sich seiner Vergangenheit zu stellen und auf ein Klassentreffen zu gehen, hat er eine schockierende Erkenntnis: Einige seiner Visionen aus der Kindheit und Jugend sind wahr geworden! Denn er sieht Bilder und Schatten, sog. Marker, die sich als Nebel aus den Augen oder schwarze Balken und Keile über Menschen manifestieren, denen offenbar Unfälle oder gar der Tod bevorstehen. Eine Klassenkameradin sitzt im Rollenstuhl, die Mutter einer anderen ist gestorben. Weil er als Kind schreiend vor diesen Markern davonlief, galt er in der Schule den Mitschüler*innen als Sonderling und Außenseiter. Nach dem Klassentreffen will es Julian wissen: Gegen den Rat seiner Therapeutin setzt er eigenmächtig seine Medikamente ab und tatsächlich sind die Bilder von damals wieder da. Doch, was nun folgt, ist ein Wettlauf mit der Zeit und ein Kampf um Leben und Tod. Denn Julian sieht nun auch die Unfälle seiner neuen Freund*innen aus dem Studentenwohnheim voraus, denen er sich inzwischen anvertraut hat. Der Protagonist versucht alles, um diese Unfälle zu verhindern, isoliert sich damit sozial und deckt zudem die kriminellen und bösen Machenschaften des Ehemanns seiner Therapeutin auf. Doch das Problem ist: Julian ist auf sich allein gestellt, denn er findet keine Verbündeten.

Kritik

Eine schnelle Handlungsdynamik und schnelle Abläufe sorgen für ein spannendes Leseerlebnis, das keine Sekunde langweilig wird – ganz so, wie man es von Poznanski gewohnt ist. Sie legt erneut einen Pageturner vor, der es vielleicht vermag, selbst den größten Lesemuffel aus seiner muffeligen Ecke zu ziehen. Die Erzählperspektive ist durchgehend auf den Protagonisten Julian bezogen. Gerade das ist unbedingt nötig, denn die Spannung speist sich aus der Unklarheit, was real und was eingebildet ist. Diese Ambivalenz löst sich erstaunlicherweise bis zum Schluss nicht auf, sodass das Ende in seiner Offenheit fast ein wenig seltsam anmutet. Diese Unschlüssigkeit zwischen Phantastik und Realistik markiert einen entscheidenden Unterschied zu Erebos, mit dem Poznanski populär wurde. Sie enttäuscht bei Oracle nicht in Bezug auf die Dynamik der rasanten (und latent schematischen) Handlung, jedoch bietet sie am Ende keine eindeutige Auflösung an, welche Julians Visionen realistisch erklärbar macht. Vielmehr setzt sie auf die sehr unterschiedlichen Figurenprofile, die alle anders auf Julians mysteriöse Fähigkeiten reagieren. Die einen glauben nichts, die anderen versuchen, Profit aus den Visionen zu schlagen, andere, Julian zu helfen. So hat der Protagonist nicht nur einen Kampf gegen das Böse und Kriminelle auszufechten, sondern auch Freundschaften zu stabilisieren und sich auf die Suche nach sich selbst zu begeben. Daraus erwächst eine gewisse Vielschichtigkeit, die auch Fragen nach dem sozialen Zusammenhalt in unserer digitalisierten Gesellschaft aufwirft. Und dennoch bleibt der Pageturner Oracle auch ein phantastischer Text und dazu ein spannender, gut lesbarer Jugendthriller. Poznanski-Fans werden nicht enttäuscht sein.

Fazit

Mehr bleibt nicht zu sagen. Poznanski hält, wofür sie seit Erebos steht: Spannung pur! Wer zwischen den Weihnachtstagen oder in den Ferien wieder mal so richtig abtauchen und die Welt um sich herum vergessen will, dem sei die Lektüre von Oracle empfohlen. Dies gilt für Leser*innen ab 14 Jahren.

Titel: Oracle
Autor/-in:
  • Name: Poznanski, Ursula
Erscheinungsort: Bindlach
Erscheinungsjahr: 2023
Verlag: Loewe
ISBN-13: 978-3-7432-1658-7
Seitenzahl: 430
Preis: 22,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Poznanski, Ursula: Oracle