Inhalt

Die siebzehnjährige Claire verbindet von Kindesbeinen an eine innige Freundschaft zu Ella, aber diese steht wegen ihrer strengen Adoptiveltern häufig vor großen Hürden. Während die Ich-Erzählerin Claire in einem liberalen Elternhaus aufwächst und alle Freiheiten der Jugend genießt, wird Ella regelrecht eingesperrt und darf nur wenig. So darf sie auch nicht mit auf die Reise ans Meer der jugendlichen Clique in den Osterferien, wo gefeiert, getrunken und geliebt wird. Hier trifft Claire auf den geheimnisvollen jungen Musiker Orpheus, der kraft seiner Musik und nahezu magischen Ausstrahlung alle in seinen Bann zieht. Claire nimmt seine Musik auf dem Handy auf und schickt sie an die daheimgebliebene Ella. Auf wiederum fast magische Art verlieben sich Ella und Orpheus ineinander. Claire muss beobachten und erleben, wie Ella sich von ihren Eltern befreit, Regeln trotzt und rebelliert, aber im Zuge ihrer großen Liebe auch in Distanz zu ihr geht. Für Claire ist dies ein schmerzhafter Prozess. Doch es kommt noch schlimmer. Ella folgt dem Gesang des Orpheus und stirbt am tödlichen Biss einer Schlange. Das tragische Ende ist perfekt.

Kritik

David Almonds Texten wohnt ein ganz eigener Zauber inne, der sich aus der Kombination von poetischer Sprache und uneindeutigen Grenzziehungen zwischen Realistik und Phantastik speist. So weiß man nie genau, wo die phantastische Ebene beginnt bzw. wo die realistische Ebene aufhört. Das gilt ebenso für die schillernden Figurenkonzeptionen, deren Rollen nie klar festgeschrieben sind und wo vieles offen bleibt. So weiß man nicht, welche Gefühle Claire tatsächlich für Ella hegt. Ist es Liebe oder doch nur Freundschaft? Ella und Orpheus sind Figuren der klassischen Literatur, die hier eine Neukonzeption erfahren. Ihre Liebesbeziehung wirkt magisch und unrealistisch, durch sie konstituiert sich die Tragik und Dynamik der Handlung. Durch die Ferne fühlen sie sich voneinander angezogen, Claire fungiert als Mittlerin und teilnehmende Beobachterin. Lyrisch anmutende Worte sind der Ich-Erzählerin für ihren autodiegetischen Bericht in den Mund gelegt:

„Er zupfte die Saiten, und seine Ungeduld legte sich. Das Meer wurde ruhig. Wir wurden ruhig. Er sang, er sang, er sang, und wenn es eine Möglichkeit gäbe, den Raum zwischen Wörtern mit dem Klang von ihm zu füllen, dem Klang des Meeres, dem Klang der Vögel, dem Klang der Brise im Dünengras, dem Klang der klickenden Kiesel und dem zischenden Sand, dann würde ich es tun. Er spielte, und es war, als ob wir mit Leben erfüllt wären, nur weil wir ihm zuhörten, und als ob wir beinahe starben.

Irgendwie schaffte ich es, an Ella zu denken, und holte mein Smartphone aus der Tasche. Ich wählte ihre Nummer und hielt das Handy so, dass sie ihn hören konnte.“ (S. 54)

Und so ist die Verbindung hergestellt zwischen Ella und Orpheus, die alle Beteiligten ins Unglück stürzt und den Stoff für das klassische Drama liefert.

Ein betörender Jugendroman, der von seinen Leser*innen verlangt, die literaturdidaktisch viel beschworene „Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses“ zu tolerieren und Leerstellen auszuhalten.

Die dem Text anhaftende Mystik findet auch materiellen Ausdruck. Die giftige Schlange schlängelt sich durch den Buchrücken und die Seiten, die vom Tod erzählen, sind schwarz. All dies deutet die literarische Komplexität an, die in diesem Falle aber auch nichts für schwache Nerven ist.

Fazit

Wer Almond liebt, der liebt auch Das Lied von Ella Grey. Das Buch ist voll an Poetik und intertextuellen Bezügen und dadurch ungemein vielschichtig und mehrdimensional. So braucht es jugendliche Leser*innen ab 14 Jahren, die die Herausforderung durch diese Komplexität und Uneindeutigkeit annehmen. Vor diesem Hintergrund handelt es sich um ein großartiges Jugendbuch.

Titel: Ein Lied von Ella Grey
Autor/-in:
  • Name: David Almond
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: A Song for Ella Grey
Übersetzung:
  • Name: Alexandra Ernst
Erscheinungsort: Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2014
Verlag: Freies Geistesleben
ISBN-13: 978-3-7725-3133-0
Seitenzahl: 216
Preis: 20,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Almond, David: Ein Lied für Ella Grey