Inhalt
Cole hat es nicht leicht. Sein titelgebender Name, den er gar nicht mag, ist noch das geringste Problem, das den Protagonisten und Ich-Erzähler in Judith Mohrs jugendliterarischem Debüt umtreibt. Er lebt mit seiner Mutter, dem Stiefvater Frederik, seiner Schwester Charlie und den jüngeren Zwillingen Ellie und Ollie zusammen. Insbesondere zu Charlie hat er eine intensive Beziehung. Als die Mutter wieder schwanger wird, laufen die Familienstrukturen aus dem Ruder. Die Kinder leiden ohnehin schon unter der Unzuverlässigkeit des leiblichen Vaters, insbesondere Charlie, die sonst aufgeweckt und tough war, scheint unter den familiären Belastungen zusammenzubrechen. Sie zieht sich zunehmend zurück und wird immer dünner. Doch die Familie schaut lange weg und auch Cole ist zu sehr mit seinem eigenen Leben beschäftigt, als dass er die Magersucht der Schwester als solche erkennen würde. Auf einer Party küsst er zum ersten Mal ein Mädchen: Juli. Die beiden beginnen eine Beziehung, von der Cole nicht so recht weiß, ob er sie wirklich will. Schließlich spitzen sich die familiären Spannungen in den Sommerferien zu. Der leibliche Vater lädt seine Kinder in einen Urlaub nach Kroatien ein, schafft es aber nicht, ihnen die nötige Zuwendung zuteil werden zu lassen, sondern lädt stattdessen seine neue Partnerin ins Ferienhaus ein. Er ist der letzte, der Charlies Krankheit wahrnimmt. Nach Ende der Ferien und kurz vor der Geburt der kleinen Halbschwester, bricht Charlie zusammen und verschwindet. Erst jetzt begreift die Familie, dass sie handeln muss und schafft es, sich auf inneren Zusammenhalt und Vertrauen zu besinnen. Cole findet in seinem Stiefvater eine Stütze und ist voller Liebe zu dem neugeborenen Baby. Nach und nach findet die Patchworkfamilie zusammen und kann so auch Charlie helfen.
Kritik
Die Themenfülle in Judith Mohrs Familienroman ist sehr komplex. Sensibel führt der sympathische Ich-Erzähler durch die aufwühlende Geschichte. Ähnlich wie in Lara Schützsacks Jugendroman Und auch so bitterkalt (2014), der – wie auch Mohrs Debüt – für den Oldenburger Jugendliteraturpreis nominiert bzw. ausgezeichnet wurde, wird der Blick auf das Thema Magersucht durch das Geschwisterkind vermittelt. Ebendiese Perspektive ist insofern gewinnbringend, als dass sie sehr nah an der betroffenen Figur bleibt und doch eine Außensicht einnimmt. Ein wenig irritierend ist, dass Cole Charlies Veränderungen zwar intensiv beschreibt, aber aus diesen keine entsprechenden Schlüsse zieht, was stellenweise unglaubwürdig wirkt. Charlie ist abgemagert, trägt beim Tanzen weite Shirts statt des Ballettanzugs und schmeißt ihre Schulbrote weg. Doch Cole und seine Familie verschließen zu lange die Augen, sind alle zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Und vielleicht ist das traurigerweise doch realistisch. Coles Blick auf die Welt entfaltet sich auf sehr sensible (Erzähl)weise, insbesondere die Schilderung seiner ambivalenten Gefühle zu Juli wirken authentisch. Es ist nicht die große Liebe, und so ist er auch nicht am Boden zerstört, als Juli wieder mit ihm Schluss macht. Schön zu lesen ist zudem, wie er langsam Vertrauen zu seinem Stiefvater und auch zu dessen Eltern fasst, die die Familie liebevoll unterstützen. Insofern wirft Mohrs Roman einen komplexen und tiefgründigen Blick auf die Herausforderungen, die das Leben in einer Patchworkfamilie mit sich bringt. Durch die Themenfülle ist der Text sehr vielschichtig, vor allem lebt er aber von seiner Erzählstimme, die nüchtern und facettenreich berichtet. Dass Mohr, die in der Kinder- und Jugendliteraturforschung durch ihre Dissertation zum phantastischen Erzählen bekannt sein dürfte (Zwischen Mittelerde und Tintenwelt. Zur Struktur Fantastischer Welten in der Fantasy, 2012), für dieses jugendliterarische Debüt für den Oldenburger Jugendliteraturpreis nominiert wurde, ist absolut berechtigt.
Fazit
Judith Mohr präsentiert ihren Leser*innen einen starken Ich-Erzähler, der komplex und authentisch von vielen Herausforderungen der Jugend erzählt und schafft es durch diese interne Fokalisierung eindringlich, für Magersucht und ihren Folgen zu sensibilisieren. So sei er jugendlichen Leser*innen ab 14 Jahren nachdrücklich empfohlen.
- Name: Judith Mohr
