Inhalt

Alles beginnt auf einer Halloweenparty in der titelgebenden Villa Obscura im Harz, die am Fuße des Brockens liegt. Hier feiern sechs Jugendliche: Jane, Kiyoshi, Linda, Amadeus, Sarah und Emile, aus deren Perspektiven wechselweise erzählt wird. Alle bringen sie unterschiedliche Geschichten mit, die sich durch die multiperspektivische Struktur sukzessive entfalten und divergierende Sichtweisen auf das sich anbahnende Horrorszenario eröffnen. Die Party wird von zwei maskierten Fremden überfallen, welche die sechs Jugendlichen entführen und einsperren. Alle haben keine Ahnung, was hier vor sich geht und warum sie schließlich auf einen gefährlichen Gang über den Brocken geschickt werden. Geeint sind sie alle durch die Bindung an Constanze, die als Figur selbst in der Erzählgegenwart niemals auftritt, sondern nur Teil der Erinnerung und damit von Analepsen der jugendlichen Protagonist*innen ist. Von Constanze erfahren die Leser*innen, dass sie eine Modelagentur betreibt, auf welche die Jugendlichen aus unterschiedlichen Perspektiven blicken und mit der sie jeweils andere Erfahrungen gemacht haben. Langsam erhärtet sich der Verdacht, dass Constanze hinter den ominösen Machenschaften der als Morphs maskierten Entführer steckt. Doch das bleibt lange offen und unklar. Die Bedrohlichkeit der Situation spitzt sich massiv zu, als einer der Jugendlichen zu Tode kommt. Insofern kann sich auch beim abschließenden ‚Happy End‘ nicht alles in Wohlgefallen auflösen.

Kritik

Im Grunde hat der Jugendthriller alles, was es braucht, um die Bedingungen für eine spannende Story zu erfüllen. Insbesondere das Setting ist gelungen und offeriert eine gruselige Atmosphäre, die durch den Verweis auf Hexensagen- und geschichten, die im Umfeld des Harzes spielen, getragen ist. Und dann ist auch noch Halloween, es ist dunkel und geheimnisvolle Nebel ziehen über den Brocken – ein atmosphärisch perfekt gestimmter Raum für die titelgebende Villa Obscura. Hinzukommt ein komplexes Figurenarsenal, das in multiperspektivischer Anlage alle sechs im Zentrum des Romans stehenden Jugendlichen durch wechselnde interne Fokalisierung zu Wort und Gedanke kommen lässt. Zudem bedient sich der Text einem intertextuellen Verweisspiel, wenn er mehrfach auf Lewis Carrolls Alice im Wunderland verweist und z. B. einen Hutmacher auf der Halloweenparty erwähnt. Leider werden die intertextuellen Verweise und auch die Bezüge zu den Sagen des Harzes nicht konsequent zu Ende geführt. Insgesamt kommt trotz der gelungenen Anlage fast bis zum Schluss keine rechte Spannung auf, was vielleicht daran liegt, dass die einzelnen Fäden und zahlreichen Handlungsstränge, die sich aus den umfangreichen Hintergrundgeschichten der jugendlichen Protagonist*innen ergeben, nicht oder zu langsam zusammengeführt werden. So ist die Lektüre zäh, was beim Vorgänger Tristan Mortalis von Melissa C. Hill und Anja Stapor ganz anders war. Hier kommen zu viele Figuren zu Wort und es dauert sehr lange, bis sich die Zusammenhänge erschließen, was die Handlung trotz der gelungenen atmosphärischen Grundstimmung langatmig erscheinen lässt. Erst zum Ende hin, nach dem dramatischen Tod einer der entführten Figuren, kommt mehr Tempo auf und die Handlung gewinnt an Dynamik. Aber es werden auch zu viele Fäden nicht wieder aufgenommen, was schade ist. Sowohl die Raumsemantik als auch die komplexen Figurenkonzeptionen hätten das Zeug zu einem starken Text. Alle Figuren bringen außerordentliche psychologische Tiefe mit, aber sie wirken seltsam verloren, eben weil es so lange dauert, bis sie miteinander in den Austausch treten und die im Kern raffiniert konstruierte Handlung um die ominöse Constanze durch ihre unterschiedlichen Sichtweisen dekonstruieren.

Fazit

Der Jugendthriller verlockt mit einer sagenumwobenen Atmosphäre und verliert sich zu sehr in Details, sodass das ihm innewohnende Potenzial ein Stück weit verschenkt wird. Dennoch handelt es sich gerade wegen des Settings um einen für Jugendliche ab 14 Jahren empfehlenswerten Roman, denn am Ende will man ja doch wissen, wer die Entführer sind und was es mit Constanze auf sich hat.

Titel: Villa Obscura
Autor/-in:
  • Name: Melissa C. Hill
  • Name: Anja Stapor
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2024
Verlag: Oetinger
ISBN-13: 978-3-7512-0455-2
Seitenzahl: 347
Preis: 17,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Hill, Melissa C./Stapor, Anja: Villa Obscura