Inhalt
Alles beginnt damit, dass der Ich-Erzähler Lenny wegen Sachbeschädigung zu Sozialstunden verurteilt wird. Eigentlich war er nur Mitläufer, aber seine Eltern hören ihm nicht zu und sind eisernen Erziehungsprinzipien verhaftet, die der Vater aus Ratgebern bezieht. Insofern ist es für die innerfamiliäre Kommunikation eine Desaster, dass Lenny in der Öffentlichkeit negativ aufgefallen ist. Der Vater sanktioniert das Verhalten des Sohnes mit harten Strafmaßnahmen: Er darf nicht mehr ausgehen, muss sein Handy abgeben und seine Teilnahme am Familienurlaub auf Sardinien ist gestrichen. In dieser Zeit kommt Lenny bei seiner progressiven Tante Mieke unter. Sie ist Lehrerin, alleinerziehende Mutter und vertritt gänzlich andere Erziehungsvorstellungen als die Eltern des Protagonisten. Im Gegensatz zu ihnen hört sie ihm zu, ist zugewandt und glaubt nicht, dass sich Einsperren und Sanktionieren positiv auf die jugendliche Psyche auswirken.
Und dann ist da noch die Sache mit Grit. Sie sitzt seit einem Reitunfall im Rollstuhl. Im Rahmen seiner Sozialstunden wird Lenny verpflichtet, ihr zu helfen und sie zu unterstützen. Aber die eigensinnige Grit ist eine starke Persönlichkeit und möchte nicht auf Hilfe angewiesen sein. Vor diesem Hintergrund kanzelt sie Lenny zunächst rigoros ab. Doch mit der Zeit nähern sich die ungleichen Jugendlichen einander an und werden Freunde. Die Rollen drehen sich um, denn Grit erkennt, unter welchem Druck Lenny steht, und interveniert bei den Eltern, was zu großem Streit führt. Lenny empfindet Grits Verhalten als einmischend und übergriffig und es braucht schließlich auf beiden Seiten die Anerkennung von Fehlverhalten, damit sich die Freundschaft entwickeln kann. Und vor allem müssen auch Lennys Eltern lernen, dass es nur mit einer ‘Politik der harten Hand‘ nicht getan ist, sondern es auf ehrliche Kommunikation ankommt und sie ihrem Sohn auch zuhören müssen.
Kritik
Die Elterfiguren in diesem insgesamt feinfühlig und gleichsam komisch erzählten Jugendromans sind ziemlich drastisch geschildert und erscheinen im Gegensatz zu den Jugendlichen fast ein wenig holzschnittartig und stereotyp. Insbesondere der Vater ist als Negativfigur gezeichnet, da er keinerlei Toleranz gegenüber seinem Sohn walten lässt und so ungerecht zu ihm ist, dass man es bei der Lektüre kaum aushält. Die Mutter dagegen ist vordergründig auf der Seite des Sohnes, unterbricht ihn aber auch bei entscheidenden und emotionalen Gesprächen, um seine Wortwahl zu korrigieren („Lenny, lass doch einfach das ‚so‘ weg und es heißt ‚gerade‘ und nicht ‚grad‘!“, S. 112) Durch Druck und die Unfähigkeit zuzuhören schüchtern die Eltern den Protagonisten dermaßen ein, dass es für ihn und damit auch die Leser*innen unerträglich wird. Dass er außerdem in der Schule gemobbt wird und sich bei den Leistungen große Mühe gibt, erkennen sie nicht. Eine 2 genügt nicht, sie erwarten von ihrem Sohn nur die Bestnote. Und als Lenny zum Ende hin aufgrund eines tätlichen Angriffs in der Schule eine Gehirnerschütterung erleidet, sind sie nicht erreichbar, wobei dieser Vorfall den entscheidenden Wendepunkt ausmacht und eine Verhaltensumkehr des Vaters einleitet. Für Erleichterung im strengen Familiengeflecht sorgen die Figuren Tante Mieke, Lennys kleine Schwester Luana und Grit in der Erzählung, die Lenny zuhören und beistehen. Die holzschnittartige Negativkonzeption des Vaters, die erst gegen Ende aufbricht und sich in Richtung Komplexität bewegt, führt dazu, dass er in seiner Wortwahl grundsätzlich diskriminierend beschrieben ist und Grit stets nur als „das behinderte Mädchen“ (S. 112) bezeichnet. Diese Figurenprofilierung ist äußerst unangenehm, wirkt sich aber nicht negativ auf die sehr dynamische Handlungsstruktur aus.
Judith Mohr beweist sich als wahre Könnerin im Genre des realistischen Erzählens und fühlt sich (wie schon im Debütroman) tief in ihre jugendlichen Protagonist*innen ein. Besonders rührend ist die Entwicklung der Beziehung zwischen Grit und Lenny geschildert, die sich langsam entfaltet und auch nicht frei von Widersprüchen und Ambivalenzen ist. Gerade darum wirkt sie glaubwürdig und authentisch. Getragen ist die mehrdimensionale Erzählung von einer klaren Sprache, die treffsicher die Gefühle der Figuren in Worte kleidet. Poetisch sind die Zwischentöne, originell die Kapitelüberschriften, die dem Roman auch ihren Titel geben: Denn es heißt nicht nur „I wie Immer Ich“, sondern auch „F wie Freundschaft“ oder „G wie Gebrauchsanweisung“. Auch darum handelt es sich um einen sprachlich starken Text, der trotz des ernsten Themas durchaus humoristische Züge aufweist.
Fazit
Von Judith Mohr ist noch viel in Sachen Kinder- und Jugendliteratur zu erwarten. Sie schreibt klar und scheut sich nicht, ernste Themen anzufassen, bleibt nah an ihren Figuren, gibt ihnen Zeit für die Entwicklung, schildert Ambivalenzen und legt somit nahe, wie wichtig es ist, miteinander zu sprechen. Ihr zweiter Jugendroman ist sowohl für Freizeit- als auch als Schullektüre ab 12 Jahren sehr empfehlenswert.
- Name: Judith Mohr