Inhalt
"Nachdem ich mal wieder in den ersten drei Sams-Bänden geblättert hatte, […] ist mir aufgefallen, dass in diesen Büchern immer nur die Sonne scheint" (S. 7), schreibt Paul Maar im Vorwort und zieht daraus die einzig richtige Konsequenz, die auch gleich zum Titel des neuen Bandes wird: Das Sams feiert Weihnachten! Doch bevor es mit Herrn Taschenbier, Frau Rotkohl, Herrn Mon und zwei weiteren Samsen den Heiligen Abend verbringt, passiert natürlich so einiges: Das Sams vertritt Herrn Taschenbier, der am Nikolaustag bei einem Kollegen die Bescherung übernehmen wollte, und löst dabei einen handfesten Ehekrach aus, es backt Plätzchen in Würstchenform, fährt auf einem Backblech Schlitten, reimt und sprachspielt, was das Zeug hält, und hat natürlich auch eine Idee, wie es Herrn Taschenbiers größten Weihnachtswunsch erfüllen kann!
Kritik
"Sti-ille Nacht, hei-lige Nacht, / alles schläft, ein Sams wacht..." (S. 144). Das stimmt allerdings nicht ganz, denn diese Weihnachtsgeschichte spielt nicht nur in der real-fiktiven Welt des Herrn Taschenbier, in der das Sams mittlerweile lebt, sondern auch in der wunderbaren Welt der Samse, sodass zum Schluss drei dieser fantastischen Wesen unterm Weihnachtsbaum sitzen. Wo diese Sams-Welt liegt? Paul Maar stellt sie sich "gewissermaßen neben und zwischen unserer Welt" vor, sagt er in dem lesenswerten Vorwort, und präzisiert sein fantastiktheoretisches Konzept:
Selbst ernsthafte Wissenschaftler, die sich mit der sogenannten Quantenmechanik beschäftigen, sind überzeugt, dass es viele Parallel-Welten nebeneinander gibt. Sie schreiben von einem Multiversum (S. 9).
Aber nicht nur Ausflüge in die Sams-Welt, die ja im sechsten und siebten Band erstmals überhaupt betreten wird, prägen den winterlich-weihnachtlichen Roman. Gleich zu Beginn gibt es deutliche Reminiszenzen an den ersten Band Eine Woche voller Samstage. Hatte das Sams damals bei einem gemeinsamen Kaufhausbesuch seinen geliebten Taucheranzug bekommen und nebenbei einen Kaufhausbrand ausgelöst, so klaut es nun für seinen ersten Winter ein Bärenkostüm. Die Frage, wann der neue Band eigentlich spielt, beantwortet Maar nur vage: "Das weiß ich selber nicht genau. Vielleicht im ersten Drittel des dritten Bandes" (S. 7f.).
Doch neben den inhaltlichen Bezügen zu den früheren Romanen sind natürlich auch die charakteristischen Sprechweisen geblieben: Herr Mon beantwortet seine Fragen selbst, das Übersams verspricht sich notorisch und das Mini-Sams nervt mit "ich hätte mal eine Frage". Aber auch das Taschenbier-Sams hat natürlich jede Menge Fragen:
"Wein-Nachten?", fragte das Sams. "Ist das eine Nacht, in der man Wein trinkt, oder eine, wo alle weinen?"
"Ich falle auf deine dummen Fragen nicht mehr herein", sagte Herr Taschenbier. "Du weißt genau, dass es Weih-Nachten heißt. Eine geweihte Nacht!"
"Eine Nacht mit Geweih", sagte das Sams. "Ungefähr so wie ein Hirsch?" (S. 15)
Einen verregneten Adventssonntag – und ein ganzes Kapitel – lang spielt das Sams außerdem mit Herrn Taschenbier Reim-, Wort- und Sprachspiele, wobei Herrn Taschenbier der längste Satz gelingt, in dem jedes Wort mit einem anderen Buchstaben beginnt – und zwar in der richtigen Reihenfolge von A bis – naja, beinahe – Z: "Am bunten Christbaum, der einen feierlichen Geruch hat, ist jede Kugel liebevoll mit neuem, offensichtlich prächtigen Quecksilberglanz richtig schön tätowiert und verziert worden" (S. 57).
Bevor die Geschichte in Festtagsstimmung endet, muss das Sams allerdings behutsam an Rituale und Traditionen, an Adventskranz, Weihnachtsbaum und Nikolaus herangeführt werden. Auch der biblischen Weihnachtsgeschichte steht es skeptisch gegenüber, vor allem hat es hygienische Bedenken: Das "ist doch sowas von schmutzig", sagt es über die Tatsache, dass das Jesuskind "in einen Futtertrog gelegt" wird, aus dem vorher "der Ochse und der Esel" (S. 45) gefressen haben.
Dass am Schluss alle friedlich beieinander sitzen und sogar Frau Rotkohl mitfeiert, war durchaus nicht zu erwarten, denn sie ist eine bekennende Weihnachtshasserin. Die Geschichte ihrer traurigen Kindheit in einer Pflegefamilie entlockt ihr das Mini-Sams:
wir Pflegekinder mussten ein Weihnachtsgedicht aufsagen und bekamen als Geschenk einen Kalender. Einmal wusste ich beim Gedicht-Aufsagen nicht weiter, bekam nicht mal den Kalender und musste ohne Geschenk ins Bett gehen (S. 135).
Aber auch über Herrn Taschenbiers Kindheit wussten selbst eifrigste Sams-Leserinnen und -Leser bislang nichts. Beim gemeinsamen Vorbereiten jenes Salates, den es bei den Taschenbiers schon immer an Weihnachten gab, stellt das Sams jedenfalls ungewohnt sensible Rückfragen: "Bist du jetzt traurig?", fragt es, als es erfährt, dass Herrn Taschenbiers Eltern schon lange tot sind. Und kurz darauf: "Du machst schon wieder so ein Nachdenk-Gesicht" (S. 102).
Dann erzählt Herr Taschenbier, wie Weihnachten gefeiert wurde, als er noch ein Kind war, und wird geradezu sentimental, wenn er überlegt, wie viele Weihnachtsgäste bei seinen Eltern mit am Esstisch saßen. Zunächst überlegt das Sams, ob man nicht Figuren aus anderen Werken Maars dazu bitten könnte: "Warum lädst du nicht diesen Onkel Florian [aus Onkel Florians fliegender Flohmarkt] und die Tante Marga [aus Der Tag, an dem Tante Marga verschwand] ein?" (S. 104). Doch das Sams hat eine bessere Idee und am Schluss kann es guten Gewissens bekennen, dass es "noch nie einen schöneren [Weihnachtsabend] erlebt" (S. 152) hat – schließlich war es ja auch sein erster.
Fazit
Im Spiegel, der dem Sams anlässlich des neuen Bandes immerhin eine zweiseitige Besprechung widmet, erläutert Claudia Voigt, man könne an den seit 1973 erschienenen Romanen jeweils die "Gemütslage der Bundesrepublik ablesen" und "[w]ährend Merkels Kanzlerschaft", also seit Onkel Alwin und das Sams (2009), "geht dem rebellischen Geist des Sams fast völlig die Luft aus, gegen den wachsenden Wohlstand und das wattige Wohlfühlklima ist selbst das Sams machtlos" (Voigt 2017, S. 119).
Es stimmt, dieses Weihnachtsfest mit Sams bleibt beschaulich. Vielleicht hätte man sich bisweilen etwas mehr Chaos gewünscht und vielleicht ist das Sams hier manchmal etwas zu brav. Andererseits ist eben Weihnachten, und wann sonst wäre die Zeit für besinnlichere Töne? Außerdem weist Maar in Gesprächen darauf hin, dass er dieses Jahr 80 Jahre alt werde und ihm nun andere Themen wichtig seien als beim Schreiben der ersten Bände. Eine ganz entscheidende Weihnachtsbotschaft wird auf jeden Fall vermittelt: Wichtig sind nicht die Geschenke und nicht die Würstchenketten am Christbaum. Wichtig ist, dass niemand am Weihnachtsabend allein ist. Und wenn dann noch ein paar Wunschpunkte dazu kommen: umso besser!
Literatur
Claudia Voigt: Merkwürdiges Wesen. In: Der Spiegel 55 (2017). S. 118-119.
- Name: Maar, Paul
- Name: Nina Dullek