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"Seit das Buch Emil und die Detektive 1929 herausgekommen war, hatte Friedrich es praktisch jeden Monat einmal gelesen – und das hieß zwanzig- oder dreißigmal insgesamt" (S. 15). Friedrich Kissel lebt in Berlin, wo die Romanhandlung im Dezember 1931 beginnt. In der direkten Nachbarschaft wohnt der Autor Erich Kästner, mit dem Friedrichs Vater gut befreundet ist. Deswegen hat er nicht nur ein handsigniertes Exemplar seines Lieblingsbuchs, er ist auch bei der Film-Premiere dabei und lernt hinterher die Kinderdarsteller sowie den Buch-Illustrator Walter Trier kennen.

Doch vieles ändert sich in der nächsten Zeit: Ein jüdischer Mitschüler muss die Klasse verlassen, Friedrichs Bruder Rolf sympathisiert mit den Nazis, eine Lehrerin, von der es heißt, sie sei Sozialistin, ist nicht mehr da, ein Bild Hitlers hängt im Klassenraum und wenig später muss Friedrich sogar sein Lieblingsbuch abgeben, weil Erich Kästner zu jenen Autoren gehört, die im Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin verbrannt werden.

Hinzu kommt ein Kriminalfall, Friedrich, der wie sein Vorbild Emil Detektiv werden will, und die Zwillinge Albert und Viktoria sollen im Auftrag der Polizei einen vermeintlichen Spion beschatten, bei dem es sich ausgerechnet um Erich Kästner handelt; schließlich entdecken die Kinder einen ermordeten Maler, dessen Tod offensichtlich vertuscht werden soll.

Am Ende des Romans muss auch Friedrich in die Hitlerjugend eintreten. "Er hatte den Eindruck, als wäre seine Kindheit schlagartig zu Ende gegangen, und einen Augenblick lang wurde ihm schlecht" (S. 226).

Kritik

Friedrich der Große Detektiv folgt einem höchst ambitionierten Programm: Der Text will ein biographischer, aber auch ein historischer Roman sein und verbindet diese Idee mit einer Kriminalgeschichte, die auf Emil und die Detektive sowie den Fortsetzungsband Emil und die drei Zwillinge anspielt. Neben unzähligen Verweisen auf die Berliner Künstlerszene der 20er und 30er Jahre finden sich auch Bezüge zu Friedrich dem Großen, über den Erich Kästner seine Dissertation geschrieben hat.

Der Ideenreichtum, den Philip Kerr hier zu bewältigen versucht, ist – zumindest im Rahmen eines Kinderbuchs – immens und macht den Reiz dieses Projekts aus, allerdings gelingt die Realisierung nicht immer mit der nötigen Konsequenz. Während etwa das für Kästner ganz zentrale Motiv der Kindheit und des Kindseins den Roman sinnfällig durchzieht und in immer neuen Nuancen durchschimmert, werden andere Spuren im Text lediglich ausgelegt, dann aber nicht weiter verfolgt oder mit der Handlung verwoben.

"Der eigentliche Auslöser war, dass ich bei Youtube auf die Verfilmung von Emil und die Detektive aus dem Jahr 1932 [sic!] stieß und mich fragte, was mit all den elf- bis dreizehnjährigen Jungen passiert ist, die da zu sehen waren. […] Zehn Jahre später waren die alle bei der Wehrmacht. Und sie sind alle gestorben",

erläutert Kerr im Interview (Geißler 2017) seine Idee zu Friedrich der Große Detektiv und es gelingt ihm mit seinem Roman durchaus, für jene politischen Machtmechanismen zu sensibilisieren, in die auch die Kinder unausweichlich mit hineingezogen werden.

Was Erich Kästner etwa in seinem Gedicht Primaner in Uniform drastisch beschreibt, wird in Kerrs Roman zur traurigen Wahrheit: Friedrich Kissel fällt im Oktober 1944 als vierundzwanzigjähriger Soldat an der Ostfront. In einem Prolog sowie einem Epilog treffen sich der fiktive Kästner des Romans und Rolf auf dem Wilmersdorfer Friedhof und besuchen das Grab des Freundes und Bruders.

Wie sich die Zukunft Deutschlands "gestalten wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wie wir die Kinder lehren werden, die Vergangenheit zu sehen" (Kästner 2004 Bd. II, S. 42), schreibt Kästner 1946 in den Gedanken eines Kinderfreundes und spricht damit eine Idee aus, die als Motto auch über Kerrs Roman stehen könnte. Allerdings gibt Kästner im gleichen Beitrag eine äußerst kritische Einschätzung Friedrichs des Großen ab, über dessen Literaturverständnis er 1925 zum Dr. phil. promoviert wurde: "Wenn Friedrich II. von Preußen ein großer Mann war, so war er's, obwohl er jene drei Kriege vom Zaune brach und sein Volk schon bis in den Abgrund geführt hatte! Er wurde ein großer Mann – aber um welchen Preis?" (ebd.). In Kerrs Roman hingegen entwirft der fiktive Kästner ein unreflektiertes und einseitiges Bild des Alten Fritz, den er als den vielleicht "größte[n] deutsche[n] König, den es je gab", bezeichnet, als einen

Mann, der Menschen aller Nationalitäten und Glaubensrichtungen ermutigte, nach Preußen zu kommen. Er sprach mehrere Sprachen, spielte viele Musikinstrumente, errang mehrere wichtige militärische Siege, eroberte neue Länder, setzte wichtige Reformen durch und war ein Förderer der Künste. (S. 50)

Sicher sind die Verweise auf Friedrich den Großen nicht zentral für die Handlung des Romans, dennoch sind sie mit Kästners historischem Verständnis kaum vereinbar (vgl. auch Körner 2017, der darüber hinaus weitere Beispiele einer "Geschichtsverzerrung" anführt), außerdem weckt die im Titel so prominent platzierte Anspielung auf den Preußenkönig Erwartungen, hinter denen der Text zurück bleibt.

Ebenfalls folgenlos bleibt eine Begegnung Friedrichs mit dem Schriftsteller Christopher Isherwood, der erzählt, dass es "mit der neuen Regierung" für "Leute wie [ihn] in Berlin einfach zu schwierig" werde. Auf Friedrichs Frage, ob er Jude oder Sozialist sei, antwortet er lächelnd: "So etwas in der Art, ja" (S. 175). Da die Verfolgung Homosexueller im Roman ansonsten nicht thematisiert wird und man die Szene ohne Kenntnisse über Isherwoods Biographie oder einen Blick ins Nachwort des Autors, das Kerr in Kästner'scher Manier anfügt, nicht versteht, bleibt die Episode im Handlungskontext funktionslos.

Wenn Kerr zudem bisweilen versucht, sich an Kästners Stil zu orientieren, fehlt ihm dessen Leichtigkeit, die auch tragischen Ereignissen eine gewisse – und sei es sarkastische – Komik abzugewinnen vermag. So kommt es zu Formulierungen, die zumindest in der Übersetzung bieder klingen: "Sie liefen ins Wasser und dachten die nächsten Stunden an nichts anderes als daran, jung zu sein" (S. 169). An anderer Stelle wundert man sich über das sprachliche Pathos des Kindes: "Abends sieht Berlin aus wie Mamas Schmuckkasten – wie schwarzer Samt voller Rubine und Smaragde" (S. 26).

In einem Kapitel, das in der Villa Max Liebermanns spielt, ist neben Erich Kästner und Walter Trier auch ein Maler anwesend, den es in der Berliner Künstlerszene nicht gab. "Aber ich brauchte ein frühes Opfer für die Detektivgeschichte, so erfand ich den Maler Eduard Ehrlich als eine Mischung aus Otto Dix, aus Max Beckmann und aus George Grosz. Diese Kunst haben die Nationalsozialisten als 'entartet' gebrandmarkt" (Geißler 2017), erläutert Philip Kerr in einem Interview zu seinem Roman.

Diese Mischung aus fiktionalen und faktualen Momenten verdichtet Kerr im abschließenden Traum Friedrichs, nachdem dieser gegen seinen Willen der Hitlerjugend beitreten musste. Bereits im zweiten Kapitel – während der Filmpremiere von Emil und die Detektive – heißt es:

Interessant war ebenfalls, wie ähnlich der Dieb dem Vorsitzenden der NSDAP sah, einer der größten politischen Parteien in Deutschland. Der Dieb trug genau wie Adolf Hitler einen kleinen Schnauzbart, und während des Films hörte Friedrich, wie sich mehrere Leute im Publikum auf die Ähnlichkeit aufmerksam machten – auch seine Eltern. (S. 22)

In Friedrichs Traum am Ende des Romans, der wiederum auf den Angsttraum Emils während der Bahnfahrt nach Berlin anspielt, verschwimmen die beiden Gestalten – Grundeis und Hitler – zu einer Personifikation des Bösen, die allerdings konstruiert wirkt und einen etwas hölzernen und forcierten Schlusspunkt setzt.

Die Collage aus historischen Ereignissen und fiktionaler Darstellung führt aber auch zu Irritationen, etwa wenn bei der Bücherverbrennung Emil und die Detektive im Vordergrund steht, obwohl gerade dieser Roman – zumindest 1933 noch – von der Indizierung ausgenommen war (vgl. etwa Hanuschek 2004, S. 67). Und, nun ja, darüber, dass Der Rattenfänger von Hameln kein Märchen (vgl. S. 43), sondern eine Sage der Brüder Grimm ist, kann man vielleicht hinwegsehen.

Fazit

Trotz aller Detailkritik ist Philip Kerr mit Friedrich der Große Detektiv eine vielschichtige Annäherung an Erich Kästner und seine Zeit geglückt. Der Verlag empfiehlt das Buch Kindern ab 11 Jahren, aufgrund der Fülle an Anspielungen und Referenzen ist das allerdings wirklich die absolute Untergrenze, ältere Leserinnen und Leser dürften eher von der Lektüre profitieren.

Der Roman geht von einer ähnlichen Idee aus wie Wolfgang Murnbergers 2016 produzierter Film Kästner und der kleine Dienstag. Auch hier wird anhand wahrer Begebenheiten ein Kapitel aus der deutschen Geschichte nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten geschrieben und mit Motiven aus Emil und die Detektive sowie weiteren Romanen Kästners verwoben.

In vielen Details ähneln sich die beiden Verbeugungen vor Erich Kästner, hinsichtlich der atmosphärischen Leichtigkeit und gänzlich unpathetischen Darstellung ist der Film dem Roman allerdings überlegen. Die Fülle an Ideen, die einerseits den Reiz von Kerrs Friedrich der Große Detektiv ausmacht, ist andererseits sein Manko, auch hat der Roman seine Schwächen dort, wo – wie im Epilog – Eindeutiges noch einmal explizit gesagt werden muss.

Literatur

Titel: Friedrich der Große Detektiv
Autor/-in:
  • Name: Kerr, Philip
Originalsprache: Englisch
Übersetzung:
  • Name: Christiane Steen
Erscheinungsort: Reinbek
Erscheinungsjahr: 2017
Verlag: Rowohlt
ISBN-13: 978-3-499-21791-3
Seitenzahl: 251
Preis: 14,99 €
Altersempfehlung Redaktion: 11 Jahre
Kerr, Philip: Friedrich der Große Detektiv