Inhalt
Im Leipzig des Jahres 1989 erlebt die Viertklässlerin Fritzi die Wende und den Mauerfall. Die Handlung setzt am 1. September ein, beim Schulstart nach den Sommerferien: Die Kinder sind stolz, dass sie von nun an Thälmann-Pioniere sein dürfen. Zu Fritzis Erstaunen aber fehlt ihre Mitschülerin Sophie, was die Lehrerin bissig kommentiert: "Ihre Eltern halten es für besser, ihr Kind in einer Turnhalle übernachten zu lassen und einer ungewissen Zukunft auszusetzen […]" (S. 12f). Zu Hause erfährt Fritzi, dass auch eine Geigenschülerin des Vaters nicht zum Unterricht erschienen ist, ebenso fehlten Kindergarten-Freunde ihres jüngeren Bruders Hanno sowie der Chef der Mutter, ein Oberarzt im Krankenhaus. Von nun an erlebt die Protagonistin, wie immer mehr Menschen nach Ungarn fahren, um von dort aus über Österreich nach Westdeutschland zu reisen. Sie wird Zeugin der Montagsdemonstrationen, an denen sich auch die Mutter aktiv beteiligt. Als schließlich am 9. November die Mauer fällt, fährt Fritzi mit dem Vater und dem Bruder in den frühen Morgenstunden zur Großmutter nach München. Dort staunt sie nicht nur über die riesige Auswahl an Barbiepuppen (Fritzi wünscht sich schon lange eine), sondern auch über die Sauberkeit der Isar. Dem Mädchen kommt alles wie ein Wunder vor, und so schläft sie, völlig überwältigt, mit der neuen Barbiepuppe im Arm, im Wohnzimmer der Großmutter ein.
Kritik
Das Buch ist eine 'Wendewundergeschichte' – und zugleich eine Kinderreportage, die in tendenziell nüchternem Stil vorgetragen wird und sich an den geschichtlichen Fakten orientiert. Eine subjektive Färbung erhält der Text durch die homodiegetische Erzählweise: Die Ich-Erzählerin Fritzi berichtet von den Ereignissen vom 1. September bis zum 9. November 1989 in Leipzig aus ihrer kindlichen Sicht heraus. Der Autorin gelingt damit die Vermittlung derjenigen Ereignisse, die der kindliche Leser nicht selbst erlebt hat. Die Zeit des geteilten Deutschland, die Umbruchsituation und die Wende, die schließlich zum Mauerfall führten, werden erzählt, ohne belehrend oder moralisch zu wirken. Das liegt vor allem an der gelungenen Mischung von Subjektivität und Sachlichkeit, die sich aus der Kombination der Ich-Perspektive mit dem berichtenden Stil ergibt.
Jedoch kommt der Kinderroman nicht ohne Klischees und Stereotypen aus, wie es bei den meisten kinder- und jugendliterarischen Texten zur Wende der Fall ist. Das fällt vor allem auf, wenn man sich das Bild ansieht, das der Text von der Lehrerin entwirft. Sie wird hier zu einem Feindbild stilisiert, das als Negativ-Stereotyp fungiert. Frau Leisegang scheint noch an die herrschende Ideologie der SED zu glauben und wendet sich wütend gegen alle Schüler, deren Familien gen Westen streben. Sie stellt Fritzi vor der Klasse bloß, nachdem sie mit Mutter und Bruder vor der Nicolaikirche in den Wirren der Montagsdemonstration gefilmt wurde. Die Lehrerin bezeichnet diese als "rechtswidrige Zusammenrottung" (S. 42). Das Negativbild der Lehrerin wird unterstützt durch die Illustrationen, die sie durchgängig als wütende, verbitterte Frau mit zusammengekniffenem, heruntergezogenem Mund und spitzer Nase zeigen. So wird die ältere Generation zum Feindbild der jüngeren stilisiert, die den Umbruch blockiert, was typisch für die KJL zur Wende ist (vgl. Gansel 2010, S. 39ff.) Es entsteht der Eindruck, als sei die Revolution ausschließlich von jüngeren Menschen getragen.
Auch das Bild, das Fritzis Großmutter von der DDR hat, ist durchsetzt von (typisch westlichen) Klischees, was die Protagonistin mit den Worten: "Ich glaube, Oma findet alles doof, was es bei uns gibt" (S. 25), zusammenfasst. Da die Großmutter die einzige West-Figur im Buch ist, entsteht durch deren Haltung der Eindruck, als hätten alle West-Bürger Vorurteile gegen die DDR gehabt, denn differenziertere Gegenbeispiele führt der kinderliterarische Text nicht vor.
Trotz dieser klischeeverhafteten Vereinfachungen handelt es sich bei Fritzi war dabei um ein gelungenes Kinderbuch zur Wende, dessen Einsatz im Unterricht lohnt, zumal das Thema in der Primarstufe bislang wohl (zu) selten aufgegriffen wird. Es ist eines der wenigen Bücher zum Mauerfall, das sich an Grundschulkinder richtet und bietet sich für die Verwendung in Klasse 3 bzw. 4 an.
Das Buch überzeugt nicht zuletzt durch die gelungenen Illustrationen von Gerda Raidt, die versuchen, die Bilder von der Wende kindgerecht und detailgetreu in Szene zu setzen. Die Illustrationen nehmen viel Raum ein, füllen vielfach eine ganze Seite und im Falle der Montagsdemonstrationen sogar zwei ganze Doppelseiten. Dadurch wird die Kraft der gewaltlosen Revolution eindrucksvoll abgebildet und zugleich auch eine Deutung der Ereignisse von 1989 vorgenommen: Es sind die demonstrierenden Menschen, die die Mauer zu Fall bringen.
Fazit
Die Essenz dieses Kinderbuches lässt sich mit dem Wort 'friedlich' einfangen: Fritzi war dabei ist ein friedliches Kinderbuch, dessen Protagonistin am Ende zufrieden einschläft. Es folgt eine letzte Illustration einer dörflichen, ruhigen Landschaft, über die Vögel hinweg ziehen. Dem kritischen Leser dürfte diese Botschaft vielleicht ein wenig zu harmonisierend erscheinen, bedenkt man die vielfach diskutierte 'Mauer in den Köpfen', die nach der Wiedervereinigung bestehen blieb, erst recht. Doch um sich mit Grundschulkindern dem Thema Wende und Mauerfall zu nähern, eignet sich das Buch auf jeden Fall, vor allem deshalb, weil es versucht, die historischen Ereignisse möglichst sachlich darzustellen.
Literatur
Gansel, Carsten: "Atlantiseffekte in der Literatur?", in: Dettmar, Ute/ Oetken, Mareile (Hrsg.): Grenzenlos. Mauerfall und Wende in (Kinder- und Jugend)Literatur und Medien. Heidelberg 2010.
- Name: Schott, Hanna
- Name: Gerda Raidt