Inhalt

Die Tindims sind kleine, liebenswerte und etwas schrullige Phantasiewesen, die von ihrer Konzeption her an die Mumins erinnern. Doch im Gegensatz zu Tove Janssons populären Kobolden haben die Tindims mit waschechten Problemen zu kämpfen, denn – so verrät es der Titel dieser bei Freies Geistesleben erscheinenden Serie, die von Janine Malz aus dem Englischen übersetzt wurde – die Tindims wohnen auf einer Mülllinsel! Das bedeutet konkret, dass sie "rastlose Recycler" (S. 22) sind. Und sie sind schon uralt:

Sie hatten das Recyclen längst erfunden, noch ehe sich die erste Plastiktüte mit diesem Wort schmückte. Die Tindims gab es bereits seit der Wikingerzeit. Also schon sehr, sehr lange. Die bärtigen Wikinger führten brutale Seeschlachten. Aus einem Stück eines gekenterten Wikingerschiffs hatten die Tindims angefangen, die Müllinsel zu errichten. (ebd.)

So stehen die Tindims (namentlich: Kegelina, Aufgust, Pinscho, Admiralin Haubelotte, Krugo und Matassa) in der Gegenwart vor einem Problem: Der Müllberg wird immer größer, sodass ihr Lebensmotto "Abfälle von heute sind Schätze von morgen" (S. 84) akut bedroht ist. Aber, so viel sei hier verraten, die kleinen Wesen schaffen es, sich der Umwelt- und Klimaproblematik, welche die Menschen (von den Tindims "Langbeine" genannt) zu trotzen, denn:

Tindims sind sehr fleißig. Deshalb kommen sie so gut miteinander zurecht. Gleichzeitig nehmen sie sich selbst nicht so ernst und treiben gerne Späßchen untereinander. (S. 130)

Kritik

Dieser letzte Passus zeigt die Leichtigkeit in der Erzählweise an, mit der Sally Gardner in diesem Umwelt-Kinderroman antritt. Durch diese und die Konzeption der phantastischen Wesen hebt sie sich massiv ab von den zahlreich existenten Klimasachbüchern für junge Leser*innen, in denen diese explizit und mahnend zum Umweltschutz und zu Energiesparmaßnahmen aufgefordert werden. Eine solche Appellstruktur findet sich in Gardners phantastischem Kinderroman gar nicht. Die Erzählung wird von den Erlebnissen und vor allem von der positiven Geisteshaltung der gewitzten Tindims getragen und fokussiert sich somit auf die phantastisch-fröhliche Abenteuerhandlung, die sich in ihrer einfachen Anlage vor allem an junge Kinder im Alter von 5-6 Jahren richtet. Deshalb ist der Titel vor allem als Vorleselektüre zu deklarieren und zu empfehlen. 

Die Adressierung an jüngere Kinder spiegelt sich auch in den reichhaltigen Illustrationen von Lydia Corry, die sich auf jeder Seite finden. Ins Bild gesetzt sind nicht nur die Tindims und ihre Umwelt, sondern auch typographisch vom Fließtext abgehobene Texte, die vielfach in Reimform gehalten sind, wie etwa das Tindim-Lied: "Oh, wie schön so ein sonniger Tag sein kann! Welchen Müll schwemmt das Meer mir heute wohl an?" (S. 14). Die kurzen Kapitel sind eingeleitet durch knappe Prolepsen, die Ausblicke auf das Erzählte eröffnen. Durch die Verwendung des Personalpronomens „wir“ wird überdies eine Union zwischen intendierten Leser*innen hergestellt und der Erzählton weist Strukturen der Mündlichkeit auf.

Mit der Leichtigkeit in der Erzählweise, die sich zuweilen der Kinderlyrik annähert, und der Narration und Illustration ist dieser erste Band einer neuen Serie vergleichbar mit anderen phantastischen Umweltbüchern für Kinder, die jüngst erschienen sind oder aktuell erscheinen, wie zum Beispiel die Abenteuer um Inna Inseling von Kristina Scharmacher-Schreiber. Hier zeichnet sich ein neuer Trend in den Umweltschutz-Erzählungen für Kinder ab: Der erhobene, mahnende Zeigefinger weicht einer durch die phantastischen Figuren entlasteten Botschaft, welche die Dringlichkeit des Klimaschutzes aber nicht weniger ernstnimmt. Die freundlichen Tindims haben sich auf ihrer Müllinsel häuslich eingerichtet, aber aufgrund der verschwenderischen Lebensweise der Menschen kommen sie an ihre Grenzen. Der Berg an Plastikflaschen im Meer wächst an, sodass die Tindims nicht mehr hinterherkommen mit dem Recyclen. Aber sie geben nicht auf, sondern bauen sich Häuser aus Flaschenbergen. Doch ganz auf den appellativen Charakter kann auch dieses Umweltkinderbuch nicht verzichten: Die letzte Seite bietet eine Bastelanleitung für Blumentöpfe und Stiftehalter aus Plastikflaschen, die die Tindims mit der Aufforderung kommentieren: "Hilf uns dabei, die Strände – und alle anderen Orte – sauber zu halten! Bitte die Langbeine, Müll aufzuheben und in die Tonne zu werfen!" (S. 142)

Dennoch verhindert die dominant phantastisch-fröhliche Erzählanlage ein Abrutschen in die harsche Problemorientierung und dürfte so für Kinder eine gewinnbringende und auch schöne Lektüre sein.

Fazit

Ein gelungener Kinderroman zum Thema Müllvermeidung und Umweltschutz, der von seiner phantastischen Anlage lebt und ganz auf die Konzeption seiner originellen Figuren setzt. Die Originalität zeigt sich ebenso in den Illustrationen, sodass hier eine kurzweilige und vielseitig präsentierte Kindergeschichte ab 5 Jahren vorliegt, an der auch viele erwachsene Vorleser*innen ihre Freude haben dürften und die auch zum Nachdenken sowie zum Gespräch anregt.

Titel: Die Tindims und die Müllinsel
Autor/-in:
  • Name: Gardner, Sally
Originalsprache: The Tindims of Rubbish Island
Illustrator/-in:
  • Name: Corry, Lydia
Erscheinungsort: Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2023
Verlag: Freies Geistesleben
ISBN-13: 978-3-7725-3231-3
Seitenzahl: 144
Preis: 16,00
Altersempfehlung Redaktion: 5 Jahre
Gardner, Sally: Die Tindims und die Müllinsel