Inhalt
Ein typischer Theateranfang: Publikum im Saal, die zwei Clowns Saffo und Kanda auf der Szene, ein Wohnwagen links und einer rechts bilden das Bühnenbild, Musik, die Zirkusvorstellung läuft. Plötzlich springt das Seil aus der Halterung, beginnt zu sprechen und beklagt sich "immer trampelt ihr auf mir herum" (S. 5). Die Seilschlange Teiro, die dritte Figur des Stückes, verweigert die Arbeit. Die Vorstellung scheint beendet zu sein. Die beiden Clowns entschuldigen sich beim Publikum
Zum Publikum: Hochverehrtes Publikum!
Es tut uns wahnsinnig Leid
Aber hier geht’s heute nicht weiter (S. 6)
Unerwartet haben die beiden nun frei, keine weitere Vorstellung, kein gewohnter Alltag. Die Clowns ziehen sich in ihre Wohnwagen zurück. Je nach Veranlagung und Temperament verbringen sie die ungewohnte Freizeit auf unterschiedliche Weise. Kanda langweilt sich, liegt im Bett rum, strickt an einem langen Schal, während Saffo die Zeit nutzt, um aufzuräumen, Sport zu treiben und indem sie ständig die Realität draußen beobachtet.
Ein weiterer Mitspieler tritt in Aktion: ein Monitor auf der Bühne. Teiro hat die Fernbedienung für den Bildschirm entdeckt und nutzt das elektronische Medium, um Befehle an die Clowns zu geben und sich somit von ihnen zu befreien. "Bitte drinnen bleiben!" (S. 11) lautet ihr erster Befehl. Als sie später "Draußen Lebensgefahr" (S. 15) tippt und Kanda diese Botschaft entdeckt, bricht bei ihm Panik aus. Er verbarrikadiert sich, spinnt sich in seinen "Strick-Kokon" ein.
Saffo, die wortgewandte Sprachspielerin, schreibt derweil "Listen der vermissten Dinge" (S. 17 f.). Ihr fehlen z.B. ein Tier zum Kuscheln, aber auch "Klopapier, Sonnenblumenöl, Mehl" [ ] "Hagelsturm Wirbelsturm Beifallssturm" (S. 18) und noch vieles mehr. Teiro entwendet diese Listen, studiert sie, rätselt über den Inhalt ("Was ist ein Kuscheln?" S. 17) und lässt sich von den im Rhythmus geschriebenen Listen zum Tanz animieren.
Allmählich lösen sich die Isolation der beiden Clowns in ihren Wohnwagen und der Stillstand auf der Bühne auf. Zumal es Teiro, der Spielverderberin, ebenfalls langweilig wird. Sie tippt "Bitte hüpfen" (S. 22) in die Fernbedienung und Saffo folgt der Anweisung mit großem Eifer. Teiro hat Spaß, Saffo beim Hüpfen zuzuschauen. Sie wird immer übermütiger und schreibt etwas später "Auf einem Bein" und dann "Auf keinem Bein" (S. 22). Bis Saffo den Schirm anbrüllt "Von dir lass ich mir nichts mehr sagen" (S. 23) und ihn zerstört. Saffo hat sich aus ihrem Wohnwagen getraut. Als sie auch Kanda herausholen will, trifft sie auf Teiro. Endlich wieder eine Stimme, ein Gesprächspartner. Saffo: Wenn so lange keiner mit einem redet einen anguckt dann ist das wirklich Wahnsinn Wahnsinn ist das selbst wenn es nur ein Seil ist Bleibst du jetzt hier bleibst du das jetzt (S. 24) Gemeinsam können sie auch Kanda aus seiner Versponnenheit herausholen. Sie bilden nun ein Team, die Vorstellung kann fortgesetzt werden. Aber
Teiro: Ich bin nicht mehr das Seil von damals
Kanda: Teiro, in einem Team –
Saffo: trampelt man auf keinem herum
Kanda: Es muss eine andere Vorstellung werden (S. 28)
Die Rollen sind neu verteilt. Da mischt sich ein letztes Mal der Bildschirm, der sich selbstständig gemacht hat, ein und befiehlt "Ihr macht jetzt, was ich will" (S. 29). Darauf antwortet Kanda "ein Team kriegt man nicht so leicht auseinander“ und alle: "Wir halten zusammen" (S. 29).
Kritik
Die pandemiebezogenen Auswirkungen des Lockdowns auf die Gesellschaft und insbesondere auf Kinder und Jugendliche sind Gegenstand diverser Untersuchungen (siehe COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf). Dass das Thema auch für Kunstschaffende des Theaters für junges Publikum relevant wurde, war zu erwarten. Mit Heute keine Vorstellung liegt eines der ersten Stücke zu diesem Themenkomplex vor. Zu untersuchen ist, auf welche Weise sich die Autorin Ingeborg von Zadow in ihrem Stück dem Thema einer verordneten Isolation genähert hat. Und auf welche Art und Weise das uraufführende Theater mit dem Publikum darüber in Dialog getreten ist.
Mit ihrer Entscheidung, zwei Clownsfiguren und ein sprechendes Seil als zentrale Figuren des Stückes zu etablieren, setzt die Autorin ein klares Zeichen, ein Zeichen gegen einen Realismus, gegen ein dokumentarisch, faktenbasiertes Stück.
Von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass man weggehen muss vom Realismus, wenn man nach einer solchen gesamtgesellschaftlichen Erfahrung zu diesem Thema ein Stück schreibt. Ich war auf der Suche nach nichtrealen Figuren [ ]. (Begleitmaterial, S. 7)
Clownsfiguren, die eher für Spaß und Tölpelhaftigkeit stehen, hinterfragen auf ungewohnte Weise menschliches Handeln. Sie öffnen in ihrer Imagination Welten, die sich nicht auf den ersten Blick an der menschlichen Ratio orientieren, sie fordern auf zum Spiel mit der Phantasie. Zadows Clownsfiguren sind von gegensätzlicher Natur. Saffo, die weibliche Figur, erscheint mutig, sie ist nach außen gewandt und sprachverliebt. Ihr Mitspieler Kanda, der Musiker, repräsentiert mit seinem vorsichtigen, ängstlichen Handeln eine eher “vernünftige“ Lebensweise. Wenn es in dem Stück heißt "Draußen Lebensgefahr" (S. 15) dann scheint es ratsam, skeptisch zu sein, sich nach drinnen zu begeben. Aber wann ist diese Gefahr vorbei, wie real ist sie wirklich und wer holt mich aus der Isolation heraus? Diese Fragen stellt von Zadow in den Mittelpunkt ihres Stückes und gestaltet die Szenen auf spielerische Weise. Dem Stillstand ein Ende zu setzen, eine weitblickendere Sicht auf die Dinge zu haben, bringt Saffo mit ins Spiel. Von Zadows geradezu klassisches Bühnenpaar der gegensätzlichen Charaktere verfügt über genügend Potential, dramatischer Konfikte zu erzeugen und nach Lösungen zu suchen. Die Autorin greift auf ein dramaturgisches Prinzip zurück, das sie bereits in ihren frühen, sehr erfolgreichen Stücken Pompinien (1995), Besuch bei Katt und Fredda (1997), Raus aus dem Haus (2012) oder Haus Blaues Wunder (2015) erprobt hat. Sich etwas zutrauen oder zögern, mutig sein oder lieber vorsichtig bleiben, in diesem Kosmos bewegen sich die Figuren in den Stücken von Ingeborg von Zadow.
A: sollen wir mal hin
sollen wir mal zur Kuh hin?
B: weiß nicht
A: ach komm jetzt
B: weiß nicht
A: los
Pause.
B: weg vom Haus?
A: warum nicht (Raus aus dem Haus, S. 7)
Durch die Phantasiefigur Teiro und den mitspielenden Bildschirm wird das Personal des Stückes Heute keine Vorstellung über das klassische Clownsduo hinaus erweitert. Die Autorin schafft sich somit einen erweiterten Handlungsspielraum, das Konfliktpotential wird größer und neue Sprechweisen kommen hinzu. Die Autorin nutzt somit die Möglichkeiten, die Figuren glaubwürdig weiterzuentwickeln. Den größten Schritt geht die Seilschlange Teiro. Aus Feindschaft wird Freundschaft, aus dem Wunsch nach Alleinsein stiftet sich bei ihr der Teamgedanke. Dieser etwas überraschend plötzliche Gedanke, diese neue Koalition ehemaliger Gegnerinnen zum Ende des Stückes begründet die Autorin wie folgt:
Immer klar war für mich, dass es bei diesem Thema ein gemeinsames, versöhnliches Ende geben muss. Ich kann nicht Zehnjährigen eine Botschaft mitgeben, die da heißt: "In der Welt ist alles schlecht, versucht es gar nicht erst." Sowas geht für mich nicht im Jungen Theater, ich denke, wir haben u. a. die Aufgabe, bei unserem Publikum Hoffnung zu hinterlassen []. (Begleitmaterial, S. 8.)
Fazit
Es erscheint ungewohnt, ein Kinderstück mit Clownsfiguren mit der Altersangabe "...für alle ab 10" zu klassifizieren. In der Regel wenden sich Stücke mit diesem Personal, die oftmals mit einer einfachen Sprache auskommen, an jüngere Kinder. Von Zadows Figuren dagegen nutzen die Möglichkeiten der Sprache intensiv und vielfältig. Saffo führt einsame Monologe, Teiro befragt Worte, die sie nicht versteht und selbst Kandas Schweigen vermittelt eine Kommunikation. Das Publikum, das dieses Stück angemessen rezipieren will, sollte entsprechende Fertigkeiten mitbringen; Fertigkeiten zum schnellen Mitlesen der wechselnden Bildschirmtexte, Fähigkeiten, sich imaginierend auf wortlose Szenen einzulassen oder einem Monolog, in dem eine Teekanne angesprochen wird, zu folgen. Darüber hinaus sollte die Fähigkeit des Publikums bestehen, das eigene, manchmal auch langweilige Handeln zu erkennen und reflektieren. Hier geht das Stück weit über die Lockdown-Problematik hinaus und befragt sein Publikum, wie ein sinnvoller Umgang mit Frei-Zeit aussehen kann. Als "fröhlich-clowneskes Spektakel mit beachtlichem Tiefgang" resümierte die Kritikerin der Rhein-Neckar-Zeitung die Uraufführung.
Literatur
von Zadow, Ingeborg: Heute keine Vorstellung, Frankfurt am Main: Verlag der Autoren, 2022
Wohninsland, Constanze (Hrsg.): Begleitmaterial zu Heute keine Vorstellung. Theater und Orchester Heidelberg, Heidelberg 2022.
Salomon, Ingeborg: Heute keine Vorstellung – Quirlige Clownerie mit Tiefgang. In: Rhein-Neckar-Zeitung (28. November 2022). S. 13.
Information über die Inszenierung
Abbildungen
Abb. 1 Ingeborg von Zadow. Foto: Sarina Chamatova
Abb. 2 Theater und Orchester Heidelberg Heute keine Vorstellung, Foto: Susanne Reichardt
- Name: Zadow, Ingeborg von