Inhalt

Prinzessin Annabel ist fassungslos: Ihr Vater geht in Rente und zieht mit der Köchin in eine Seniorenresidenz auf Mallorca. Von ihr verabschiedet er sich lapidar mit dem Hinweis, dass sie nur dann das ganze Königreich erben könne, wenn sie einen Helden findet, der sie rettet und heiratet. Das sei bei Prinzessinnen so üblich. Anna ist empört und schäumt vor Wut. Von nun an will sie nicht mehr Annabel genannt werden, sondern bevorzugt die Kurzform "Anna", denn "Was nützt ein ganzer Name in einem halben Königreich?" Sie ist fest entschlossen: Einen blöden Helden heiratet sie nicht. Aber sie will doch versuchen, mit Hilfe ihrer treuen Zofe Moldau einen Helden zu finden, damit sie zu dem ganzen Königreich kommt. Dies probiert sie durch Annäherung an die  Motive klassischer Märchen: Sie schläft auf einem Matratzenberg, unter dem eine Erbse liegt. Sie verkleidet sich wie Schneewittchen und schreinert Zwerge aus Holz, sie küsst einen Frosch…doch ihren Helden findet Anna auf diese Weise nicht. Dieser erscheint schließlich in Gestalt des Puppenspielers Jakob, mit dem Anna zusammen ein Puppentheater errichtet und mit ihm das intertextuelle Spiel mit Märchen nun ganz explizit fortführt: im Märchenpuppenspiel!

Analyse (Wissenschaftliche Rezeption)

Prinzessinnen-Bild

Das klassische Prinzessinnen-Bild, das traditionelle Märchentexte entwerfen, wird in diesem Bilderbuch gekonnt unterwandert und durch die Figurenkonzeption von Prinzessin Anna ironisch gebrochen und in Frage gestellt. Nach Ritter/Ritter ist die Prinzessinnenfigur deshalb so beliebt, weil "sie als immer Schöne, wenn nicht gar Schönste auf verlässliche Weise das heute wirksamste Ideal von Weiblichkeit repräsentiert." (Ritter/Ritter 2013, S.20). Daran gekoppelt ist die Passivität der klassischen Prinzessin. "Denn das Ziel einer jeden Prinzessin ist klar: Sie möchte den sicheren Hafen der Ehe erreichen, einen möglichst ehrbaren und angesehenen Ehemann im Adelsstand bekommen und mit diesem und den gemeinsamen Kindern glücklich sein, bis an ihr Lebensende"(ebd.). Genau diesem Klischee verweigert sich Prinzessin Anna, indem sie vehement gegen die angedachte Hochzeit mit einem Helden aufbegehrt. Sie erweist sich als selbstbewusst und ich-stark und erinnert mit diesen Eigenschaften an viele Protagonisten moderner Kinderromane (vgl. Gansel 2010, S. 107ff.). So gesehen handelt es sich bei der Figur der Prinzessin Anna um eine Parodie, welche die passive Haltung der traditionellen Märchenfigur kritisch hinterfragt. Am Ende aber ordnet sie sich doch wieder in das klassische Muster ein, indem sie heiratet, wenngleich auch keinen Prinzen, sondern einen Puppenspieler. So bleibt auch in dieser modernen Märchen – Parodie "das Hochzeitsmotiv ein wichtiges Bestimmungsmerkmal von Prinzessinnenschaft, das untrennbar mit dieser Figur verbunden scheint" (Ritter/Ritter 2013, S.26), wie Ritter und Ritter es schon für andere moderne Märchenbilderbücher festgestellt haben. Annas Motiv ist aber nicht die vollkommene Hingabe an den Helden, vielmehr spielen materielle Gründe eine Rolle. Sie will sich nicht mit dem halben Königreich zufrieden geben. Die Begründung ihres Vaters, warum sie überhaupt heiraten müsse, erfolgt ebenfalls durch einen Verweis auf das Prinzessinnen – Klischee: "Das ist bei echten Prinzessinnen so üblich!" antwortete der König – und weg war er."  Beinahe zwangsläufig muss sich der kindliche Leser an dieser Stelle fragen: Warum eigentlich? Ist das tatsächlich so?

Annas Namenswechsel aber macht transparent, dass sie sich vom Klischee emanzipiert hat: Als Moldau sie fragt, ob sie sie jetzt, wo sie ihren Helden gefunden habe, wieder Annabel nennen solle, protestiert sie: "Auf gar keinen Fall! Annabel ist ein Name für echte Prinzessinnen! Du weißt schon, solche mit Erbsen, Zwergen, Helden und Fröschen!"

Auf diese Weise bietet das Bilderbuch vielfältige Ansatzmöglichkeiten, um mit Kindern über das stereotype Bild der Märchenprinzessin nachzudenken.

Intertextualität

Das Bilderbuch ist auch wegen seiner vielen intertextuellen Bezüge zu bekannten Märchentexten besonders: Prinzessin auf der Erbse, Schneewittchen, Das tapfere Schneiderlein, Der Froschkönig.

Sie fungieren für Anna als Wege in das Land der Märchen, in dem sie ihren Helden finden möchte, erweisen sich aber als nicht zielführend. Durch diese Konstruktion ist der kindliche Leser eingeladen, über strukturelle und inhaltliche Märchenmerkmale nachzudenken.

Prinzessin Anna rebelliert gegen die ihr zugedachte passive Prinzessinnen–Rolle, kann sich ihrer aber auch nicht vollständig entziehen. Das wird deutlich, als sie ihren Helden, den Puppenspieler, trifft: "Jakob liebte Märchen und kannte sich sehr gut mit echten Prinzessinnen aus. Er betrachtete Anna von der Seite. Sie hatte einen Frosch im Gras entdeckt und kraulte ihn am Kinn. In ihrem Ohr waren noch Reste der Schuhcreme und an ihren Schuhen klebte Erbsenbrei". Auf diese Weise wird Anna als Märchenprinzessin etabliert und an dieser Stelle auch anschaulich beschrieben:  Sie versucht, die klassischen Märchenmerkmale, die sich in intertextuellen Verweisen spiegeln, abzustreifen, wird sie aber auch nicht ganz los. So bleibt das intertextuelle Spiel bestehen und wird am Ende auf die Spitze getrieben und explizit gemacht, als Anna und Jakob als Puppenspieler die eigene Märchen-Geschichte inszenieren.

Gegenwartsbezug

Darüber hinaus lässt sich Prinzessin Anna oder wie man einen Helden findet auch als modernes Märchen lesen. Das Buch nimmt Elemente auf, die Kindern aus ihrer alltäglichen Lebenswelt bekannt sind und die Handlung deutlich in der Gegenwart verorten: So verabschiedet sich Annas Vater zu Beginn in eine Seniorenresidenz auf Mallorca, und die Zofe Moldau spielt auf einem Bild Sudoku. Hier zeigt sich der doppelsinnige Charakter (vgl. Ewers 2012: Doppelsinn) des Bilderbuchs, da diese Elemente den erwachsenen (Vor) Leser zum Schmunzeln bringen. Komplett auf den kindlichen Humor der Adressatengruppe abgestellt sind jene Passagen, in denen Annas Pupsen thematisiert wird, das auf den übermäßigen Konsum von Erbsensuppe folgt.

Auch durch die Illustrationen wird die Geschichte in der Gegenwart verortet. Es handelt sich um modern aussehende Figuren im Märchen–Outfit, beispielsweise trägt Anna immer ein wallendes Kleid und hat eine Krone auf dem Kopf. Die Bilder weisen immer ein Stück über den Text hinaus und zeichnen sich durch Liebe zum Detail aus.

Durch die Verschränkung all dieser Motive transportiert das Bilderbuch mehrere Bedeutungsschichten und avancierte sicher deshalb zu einem beliebten Lesevergnügen für die ganze Familie, was sich an der Populärrezeption zeigt, die im Folgenden kurz dargestellt sei.

Populärrezeption

Prinzessin Anna oder wie man einen Helden findet ist, wie auch andere Bilderbücher der Autorin Susann Opel-Götz (z.B. Ab heute sind wir cool) von der Kritik sehr positiv aufgenommen worden sind, was sich an folgenden Pressestimmen spiegelt: "Für ihre grandios komische Geschichte…hat Susann Opel–Götz Bilder geschaffen, in denen der Betrachter in farbenfrohen Details und selbstironischen Anspielungen schwelgen kann" (dpa, 27.9.2009), "Mit "Prinzessin Anna" liegt nun ein weiteres Bilderbuch vor, das erneut sowohl durch ausdrucksstarke, detailreiche Bilder sowie durch einen witzigen Text überzeugt, der zudem noch eine sympathische Entwicklung der wahren Heldin der Geschichte deutlich werden lässt, denn: Echte Prinzessinnen gibt es eben doch nur im Märchen!" (literaturmarktinfo, September 2009), "Susann Opel-Götz kann wunderbar erzählen, aber wirklich grandios sind ihre Bilder. Überraschend auf jeder Seite, detailverliebt und voll von guten Ideen…" (spielen und lernen, Februar 2010), "Eine vergnügliche, sogar lehrreiche Geschichte mit sehr schönen Bildern. Ein Lesevergnügen für die ganze Familie; zu, Anschauen, Lesen, Sich – Amüsieren und Erzählen geeignet!" (Rundbrief Verband Ev. Gemeindebüchereien, Dezember 2009), "Susann Opel–Götz hat ein köstliches Bilderbuch geschrieben und gemalt, über die Kraft der Märchen und die Lust an Spinnereien (…) Das Allerschönste aber sind die fantasievollen, ausgefeilten, penibel ausgestalteten, manchmal nur angedeuteten und hintersinnigen Bilder zu dieser abstrusen Geschichte" (Titel-Magazin, 15. Oktober 2009).

(Diese Pressestimmen sind entnommen von: http://www.oetinger.de/buecher/bilderbuecher/details/pressestimmen/Prinzessin Anna oder wie man einen Helden findet).

Das Buch erhielt folgende Auszeichnungen: White Ravens (Empfehlungsliste der IJB), Die Kinder- und Jugendbuchliste (RB/SR).

Bibliografie

Primärliteratur

  • Opel-Götz, Susanne: Prinzessin Anna oder wie man einen Helden findet. Hamburg: Oetinger 2009.

Sekundärliteratur

  • Ewers, Hans-Heino: Literatur für Kinder und Jugendliche. Eine Einführung. München: UTB 2000.
  • Gansel, Carsten: Moderne Kinder- und Jugendliteratur. Vorschläge für einen kompetenzorientierten Unterricht. Berlin. 4. überarbeitete Auflage 2010.
  • Ritter, Alexandra/ Ritter, Michael: Emanzipierte Prinzessinnen? Ein Blick auf die Königstöchter im neuen Märchenbilderbuch. In: kjl & m 2013/1. S. 19 -27.

Internet

  • http://www.oetinger.de/buecher/bilderbuecher/details/pressestimmen/Prinzessin Anna oder wie man einen Helden findet