Lindgrens allesamt im Oetinger Verlag publizierten Bücher decken eine große Bandbreite an Gattungen ab: von den Märchen, über das Mädchenbuch, Tagebucherzählungen, dem Kriminalroman, bis hin zu den realistischen Alltagsgeschichten und den phantastischen Erzählungen. Dabei sind die Geschichten selten eindeutig einem Genre zuzuordnen, da die Schwedin auch oftmals eine Kombination vorgenommen hat. So finden sich beispielsweise bei der phantastischen Erzählung Pippi Langstrumpf auch Komponenten des Mädchenbuchs in Form einer Parodie und zudem Nonsenseelemente wieder.
Die kindlichen Protagonistinnen und Protagonisten bieten den Leserinnen und Lesern in ihrer sehr feinen Charakterzeichnung und mitunter auch vorgenommenen Tiefenpsychologisierung ein facettenreiches Identifikationsangebot. So finden sich einerseits sowohl mutige und emanzipierte Mädchenfiguren und auch spitzbübische Jungenfiguren, andererseits kommen auch zahlreiche sensible und zurückhaltende Figuren vor. Dabei werden u.a. essenzielle, anthropologische Themen wie der Tod, Trauerbewältigung und Einsamkeit literarisch dargeboten. Mit Hilfe ihrer Sprache und narrativen Kunstfertigkeit (direkte Ansprache des Lesers, Wiederholungen, bildreiche Sprache) spricht Lindgren die ganze Bandbreite der Gefühle an, lässt sich in ihren Märchen oder Fantasiegeschichten derart realistisch über alltägliche Dinge aus, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu erheben, konfrontiert die Leser behutsam mit tabuisierten Themen und nimmt sogar dem Tod den Schrecken.
Ich glaube, dass man mit Kindern über fast alles sprechen sollte und auch sprechen kann, doch dabei kommt es nicht zuletzt darauf an, wie man spricht, damit sie einem auch zuhören. (Lindgren 1977, S. 89)
Des Weiteren werden in ihren Büchern zeitlose Themen verhandelt, die für Kinder aktuell und ansprechend sind: Es geht um Freundschaft, Solidarität, Abenteuer, Mutig sein, Grenzen überschreiten und teilweise auch um das kritische Hinterfragen des Verhaltens von Erwachsenen. Daher werden Astrid Lindgrens Bücher immer noch sehr gerne rezipiert.
Für ihre Bücher wurde Lindgren mit zahlreihen Preisen ausgezeichnet. 1978 erhielt sie als erste Kinderbuchautorin den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Auf der Preisverleihung hielt sie ihre vielbeachtete Rede "Niemals Gewalt!“, in der sie sich u.a. für eine antiautoritäre Erziehung einsetzte.
Genau wie Erich Kästner gehörte die schwedische Schriftstellerin zu einer Vorreiterin im Medienverbund, so lagen zahlreiche ihrer Bücher zeitnah nach der Veröffentlichung bereits in verschiedenen Medienadaptionen vor (z.B. Radiofeatures, Hörspiel- und Filmadaptionen).
Lindgren galt in Schweden als eine überaus beliebte und einflussreiche Persönlichkeit, die sich zudem politisch engagierte und für den Tierschutz (Lex Lindgren) einsetzte.
Nachhaltig hat Astrid Lindgren mit ihrer modernen und kinderaffinen Erzählweise die Kinder- und Jugendbuchlandschaft insbesondere in Schweden und Deutschland geprägt und ist aus dieser nicht wegzudenken. So haben zahlreiche Bücher den Klassikerstatus inne. Wie bei so vielen Kinderbuchklassikern etwa von Michael Ende und Otfried Preußler stehen einige Formulierungen aus Pippi Langstrumpf in der seit 2009 geführten Kinderliteratur-Rassismusdebatte in der Kritik. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass sich die Autorin zeitlebens für die Rechte der Kinder eingesetzt und immer wieder betont hat, dass keine Formulierungen diffamierend gemeint sind. Die vielen Kinderbriefe, die Astrid Lindgren zeitlebens postsäckeweise erhalten hat, zeugen davon, dass sich diese von ihr verstanden fühlen: „Du kennst mich nicht und schreibst trotzdem genau, wie es mir geht!“ (Lindgren zit. n. Schönfeldt 2002, S. 124. [Interview im Wiener Kurier 16.03.1976])
Literatur
Ewers, Hans-Heino: Die Emanzipation der Kinderliteratur. Anmerkungen zum kinderliterarischen Formen- und Funktionswandel seit Ende der 60er Jahre. In: Horizonte und Grenzen: Standortbestimmung in der Kinderliteraturforschung. Hg. v. Schweizerischen Jugendbuch-Institut. Zürich: Schweizerisches Jugendbuch-Institut 1994. S. 75-87.
Lindgren, Astrid: Kleines Zwiegespräch mit einem künftigen Kinderbuchautor. In: Das entschwundene Land. Übers. von Anna-Liese Kornitzky. Hamburg: Oetinger 1977 (2000). S. 83-91.
Schönfeldt, Sybil Gräfin: Astrid Lindgren mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Sybil Gräfin Schönfeldt. Hg. v. Klaus Schröter. 11. A. Hamburg: Rowohlt 2002 (= rowohlts monographien).
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Recherche
Astrid Lindgren-Datenbank: Primärliteratur und Medien und Fachliteratur
Fachlexikon: Autorin
Fachlexikon: Werke
Lindgren, Astrid: Die Brüder Löwenherz
Lindgren, Astrid: Pippi Langstrumpf
Lindgren, Astrid: Ronja Räubertochter
Lindgren, Astrid: Unter dem Kirschbaum
Rezensionen
Lindgren, Astrid et al.: Pippi Langstrumpf. Heldin, Ikone, Freundin
Lindgren, Astrid: Die Menschheit hat den Verstand verloren. Tagebücher 1939-1945
Lindgren, Astrid: Mio, mein Mio
Lindgren, Astrid: Pippi Langstrumpf
Lindgren, Astrid: Rasmus, Pontus und der Schwertschlucker
Lindgren, Astrid: Rasmus und der Landstreicher
Lindgren, Astrid/Eriksson, Eva: Tomte und der Fuchs
Titelfoto
Pressefoto Astrid Lindgren, ©Roine Karlsson. Verwendung mit Erlaubnis des Verlags