Sektion I: Narratologische Grundlagen und Begriffe
Die Beiträge der ersten Sektion systematisierten den Forschungsstand mit dem Ziel einer terminologischen und konzeptionellen Erweiterung. Dementsprechend nahm zunächst Ulf Abraham eine Fokusverschiebung von der literarischen Rezeptions- und Analysekompetenz hin zur literarischen Produktionskompetenz vor und rückte narratologische Begriffe damit in den Kontext literarischen Schreibens im Deutschunterricht. Im Zuge dessen diskutierte er u.a., wie leistungsfähig die geläufigen narratologischen Begrifflichkeiten der literarischen Textanalyse mit Blick auf die Beschreibung von Prozessen der Produktion literarischer Texte sind. Im Anschluss daran entwickelte Anja Saupe ein Begriffssystem für die Darstellungsanalyse epischer Texte in der Schule, das Schülerinnen und Schüler den Umgang mit literarischen Texten erleichtern soll und den Kriterien von Einfachheit und Funktionalität folgt. Dabei legte sie den Schwerpunkt auf die Kategorien Erzähler und Perspektivierung und plädierte für einen strategieorientierten Umgang mit diesen im Literaturunterricht. Daran anknüpfend widmete sich Tobias Gnüchtel einem von der Fachdidaktik Deutsch bis heute kaum erforschten Bereich: den Potenzialen narratologischen Denkens für den Deutschunterricht der Grundschule. Dabei diskutierte er u.a., inwiefern die immens produktive literaturwissenschaftliche Narratologie seit Genette für den Deutschunterricht der Grundschule fruchtbar gemacht werden kann. Den Literaturunterricht in der Sekundarstufe II und das Potenzial, das narratologische Fragestellungen hier bieten, um komplexe Texte zu erschließen und zum Objekt kognitiv anspruchsvoller Diskussionen zu machen, nahm schließlich Martin Blawid genauer in den Blick. Dabei legte er u.a. dar, dass die Auseinandersetzung mit Erzähltheorie nicht als eine Hürde im Literaturunterricht angesehen werden solle, sondern ganz im Gegenteil eine Erleichterung im Umgang mit literarischen Texten herbeiführen könne.
Sektion II: Narratologische Phänomene und Verfahren
Die Beiträge dieser Sektion nahmen spezifische narratologische Phänomene in den Blick und loteten deren Potenziale für den Literaturunterricht aus. In einem ersten Schritt zeigte Michael Hofmann am Beispiel von Heinrich von Kleists Verlobung in Sankt Domingo auf, inwiefern eine unterrichtliche Beschäftigung mit dem Phänomen des unzuverlässigen Erzäh-lens dazu beitragen kann, Ambiguitätstoleranz und die Herausbildung einer kritischen Haltung sowie einer individuellen Positionierung auf Seiten von Schülerinnen und Schüler zu befördern. Auch Stefanie Jakobi befasste sich in ihrem darauffolgenden Beitrag mit dem unzuverlässigen Erzählen. Anders als Hofmann legte sie den Schwerpunkt jedoch auf transmediale Unzuverlässigkeit in Kinder- und Jugendmedien aus wirkungsästhetischer Perspektive. Ricarda Freudenberg, Martina von Heynitz, Birgit Schlachter und Michael Steinmetz fokussierten anschließend in ihrem Vortrag die Perspektive als Darstellungsphänomen und stellten das Forschungsprojekt PAuLi (Perspektive und Aufgaben im Literaturunterricht) vor, das zum Ziel hat, in enger Kooperation mit Lehrkräften über mehrere Forschungszyklen hinweg Lehr-Lernarrangements zur Perspektive in literarischen Texten zu entwickeln. Swen Schulte-Eickholt rundete die Sektion mit einem Blick auf Wolf Schmids Idealgenetisches Modell der narrativen Ebenen ab, das er für den Literaturunterricht fruchtbar machte. So lassen sich Schulte-Eickholt zufolge mithilfe des Modells die latente Unschärfe der Stanzelschen Erzählsituationen ebenso wie die Probleme der Genettschen Kategorie der Fokalisierung umgehen.
Sektion III: Narratologie und Lehrpläne/Lehrwerke
Die Beiträge dieser Sektion beschäftigten sich mit der Frage danach, welche Rolle erzähltheoretische Begrifflichkeiten und Kategorien in bildungspolitischen Steuerungsinstrumenten wie Bildungsstandards und Lehrplänen sowie in Lehr- und Lernmitteln für den Deutsch-unterricht spielen. Dementsprechend zeigte der erste Beitrag von Eva Pertzel u.a. auf, welchen Bedingungen Lehrplanentwicklung unterliegt und inwiefern hierbei Setzungen in Bezug auf narratologische Begrifflichkeiten und Kategorien möglich sind. Marcel Illetschko und Veronika Österbauer stellten in ihrem Beitrag die ernüchternden Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zu der Frage vor, wie die Analyse und Beschreibung von Erzähltexten in gängigen Lehrwerken der 4. Schulstufe in Österreich implizit und explizit enthalten ist und auf welche narratologischen Kategorien hierbei zurückgegriffen wird. Helen Lehndorf legte den Schwerpunkt ihres darauffolgenden Beitrags auf eine Deutsch-Lehrbuchreihe für die Sekundarstufe I und arbeitete anhand einer exemplarischen Fallstudie heraus, wie hierin narratologische Grundkategorien modelliert, didaktisch reduziert und in eine Erwerbsreihenfolge gebracht werden. Ines Theilen analysierte schließlich eine Handreichung zum Kinderroman Rico, Oskar und die Tieferschatten von Andreas Steinhöfel hinsichtlich der Frage, welche narratologischen Begrifflichkeiten Teil eines Unterrichts sind, der sich hieran orientiert, und formulierte anschließend Vorschläge dafür, wie ein erzähltheoretisch orientierter Literaturunterricht mithilfe des Kinderromans in der Sekundarstufe I aussehen kann.
Sektion IV: Transmediale und medienspezifische Narratologie im Deutschunterricht
In den Beiträgen dieser Sektion wurden mögliche Konzepte sowohl zur medienübergreifenden als auch zur medienspezifischen Analyse von Narrationen im Deutschunterricht diskutiert. So präsentierten Tobias Kurwinkel und Kirsten Kumschlies das Konzept einer transmedialen Lektüre, mit dem sie die Erweiterung von Modellen intermedialer Lektüren (z.B. von Iris Kruse) intendieren. Anschließend stellten Jan Horstmann und Maik Schmiedeler ein aus der narratologischen Forschung entwickeltes dezimiertes Begriffsinstrumentarium für die Erzähltextanalyse vor, das es Schülerinnen und Schülern erlaubt, das Phänomen des Erzählens in seiner Transmedialität zu analysieren und zu beschreiben. Volker Pietsch beschäftigte sich im Weiteren mit der Simultaneität von Erzählperspektiven im Film und legte u.a. anhand einer kurzen Filmsequenz aus der Verfilmung von Cornelia Funkes Kinderroman Die wilden Hühner Herausforderungen und Potenziale der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit diesen offen. Den noch wenig erforschten Feldern der Computer- und Hörspielnarratologie widmeten sich schließlich Stefan Emmersberger, Marco Magirius und Andreas Wicke: Dementsprechend entwickelte Stefan Emmersberger ein erzähltheoretisches Instrumentarium zur Analyse interaktiver Videospiel-Narrationen und diskutierte vor diesem Hintergrund, wie sich interaktives Erzählen auf das literarische Lernen auswirkt. Mit dem didaktischen Potenzial von Computerspielen beschäftigte sich ebenfalls Marco Magirius, wobei er für die verstärkte Einbindung narratologischer Begrifflichkeiten in die unterrichtliche Auseinandersetzung hiermit plädierte. Die Besonderheiten des Erzählens im Hörspiel nahm schließlich Andreas Wicke in den Blick. So untersuchte er, inwiefern die Analyse metaleptischer Strukturen hierin grundsätzliche Einsichten in narrative Konstruktionen schaffen kann.
Im Anschluss an die vier Sektionen fand eine Abschlussdiskussion (die im Nachgang der Tagung auf einem digitalen Padlet weitergeführt wurde) statt, im Zuge dessen von den Teilnehmenden grundsätzliche Thesen zum Verhältnis von Erzähltheorie(n) und Literaturunterricht formuliert wurden.