Inhalt
Als das tote Nashorn im Lion Park gefunden wird, ist schnell klar, dass hier ein Wilderer am Werk war, der es auf das Horn des Tieres abgesehen hat. Die Polizei hegt auch gleich einen Verdacht und sperrt Thabos Onkel Vusi ein, der sich, so scheint es, durch den Abdruck seiner Schuhe verraten hat. Thabo, Sifiso und Emma hingegen sind überzeugt, dass Vusi, der als Ranger mit Touristinnen und Touristen auf Safari fährt, so etwas niemals tun würde. Die drei Kinderdetektivinnen und -detektive verdächtigen vielmehr den Chinesen Mr Wu, der schon während der Safari so mürrisch und unhöflich zu allen war. Mit der Hilfe von Mr Winterbottom wollen die Kinder Mr Wu solange einsperren, bis das Ergebnis der DNA-Untersuchung aus Johannesburg ankommt. Allerdings nimmt der Fall eine steile Wendung, die gegen Ende doch noch an Spannung und Tempo gewinnt.
Kritik
"Meine Damen und Herren", so spricht Thabo, gelesen von Hendrik Kleinschmidt, sein Publikum im Hörbuch an, schließlich will er ein Gentleman werden – und ein Privatdetektiv. Und weil ein Gentleman einen strengen Höflichkeits-Kodex befolgt, verweigert er manche interessante Information, zum Beispiel sagt er nicht, wie alt er ist. Während ein Detektiv und eine Detektivin um Aufklärung bemüht ist, gebietet es der Anstand dem Gentleman, über bestimmte Dinge zu schweigen. Dieser Höflichkeits-Topos alter Schule, der im Rahmen eines Romans oder Hörbuchs für Kinder ab zehn Jahren manieriert und antiquiert wirken könnte, bringt einen ungewöhnlichen, aber durchaus reizvollen Ton in Kirsten Boies Text. Wenn etwa Miss Agatha, Emmas Großtante und Thabos älteste Freundin, mit dem "verdammten Minitelefon" nicht zurechtkommt, kommentiert der angehende Gentleman:
Erstens: Miss Agatha ist ganz bestimmt eine Lady – das ist als Frau das, was als Mann ein Gentleman ist. Zweitens: Leider gebraucht Miss Agatha trotzdem manchmal Wörter, die ein Gentleman nicht gebrauchen dürfte, wie zum Beispiel 'verdammt' (Hörbuch I/2/06:10).
Mit dieser Kluft zwischen dem aufgeweckt-kindlichen Helden, dem die artifizielle Sprache des Gentlemans allerdings auch altkluge Züge verleiht, spielt Hendrik Kleinschmidt im Hörbuch ganz virtuos. Das ist umso erstaunlicher, als er selbst gerade zwei Jahre vor der Produktion den Vorlesewettbewerb des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gewonnen hat und damit ungefähr im Alter seines kindlichen Helden ist. Doch nicht nur den Detektiv, Gentleman und Ich-Erzähler liest er überzeugend und über annähernd fünf Stunden mit nicht nachlassender Energie und Lebendigkeit, auch den anderen Figuren verleiht er charakteristische und markante Stimmen; lediglich alte Damen klingen bei ihm – naturgemäß – noch etwas angestrengt, besonders in echauffiertem Zustand. Fulminant hingegen gelingt es ihm, die vornehme Distanz der Titelfigur zu realisieren – und das nicht ohne Witz und Ironie.
Die Hörspiel-Adaption stammt von Angela Gerrits, die mit Die Nanny-App den Deutschen Kinderhörspielpreis 2017 gewonnen hat, und entstand unter der Regie von Janine Lüttmann. Mit der Bearbeitung geht eine Kürzung auf 54 Minuten einher, die dem Plot durchaus entgegenkommt. Zwar fallen dieser radikalen Verknappung auch Reflexionen zum Opfer, die in Roman und Lesung eine zweite Ebene bilden, aber hinsichtlich der Spannungsentwicklung hat das Hörspiel – gerade in der abschließenden Verfolgungsjagd – merklich an Schwung gewonnen.
Gleich zu Beginn wird die Handlung über trompetende Elefanten und brüllende Löwen akustisch situiert, dann hört man die Mailbox, auf der sich die Titelfigur vorstellt und dabei die Redewendungen auf siSwati, die im Roman am Schluss und für das Hörbuch im Booklet erklärt werden, direkt übersetzt:
Sawubona, guten Tag, hier ist Thabo. Leider kann ich im Moment nicht persönlich mit Ihnen sprechen, weil ich mit Onkel Vusi auf Safari bin oder auf der Ranger-Station helfe. Bitte hinterlassen Sie mir eine Nachricht nach dem Piep. Ngiyabonga, danke. (Hörspiel 1/00:28)
Wenn europäische Kinderliteratur in Afrika spielt, werden oft – mehr oder minder penetrant – koloniale Klischees reproduziert. Zwar merkt man auch in den Thabo-Krimis, dass Swasiland eine koloniale Vergangenheit hat – "Das glaubt doch keiner, dass weiße Frauen putzen, Zimmermädchen sind schwarz" (Hörspiel 7/01:31) –, entscheidend ist jedoch, dass solche Stereotype nicht unterschwellig transportiert, sondern im Gegenteil offen thematisiert werden. Thabo hat, weil er den Chinesen Mr Wu verdächtigt, ausdrücklich Angst, ein Rassist zu sein. Kommt es dennoch zu Pauschalurteilen, dann sind es jene, die Thabo über die Touristen aus aller Welt hegt. Wenn sich Onkel Vusi beispielsweise zu Beginn einer Safari als John vorstellt, erklärt sein Neffe:
Lassen Sie sich nicht irritieren, meine Damen und Herren. Onkel Vusi sagt immer, dass er John heißt, wenn die meisten Touristen Engländer sind. Sie fühlen sich wohler bei einem Ranger mit englischem Namen als bei einem mit afrikanischem. Sie glauben dann, dass er klüger und zuverlässiger ist. Wenn es Franzosen sind, heißt er Pierre und bei den Deutschen Johannes. Es funktioniert gut. (Hörspiel 2/02:55)
Die Ironie dieser Szene wird noch dadurch unterstrichen, dass die Hintergrundmusik von Jan-Peter Pflug, in der anfangs die Marimba dominiert, bei der Erwähnung der Französinnen und Franzosen kurz vom Akkordeon übernommen wird und bei den Deutschen in Richtung Musikantenstadl abbiegt.
Als Detektiv hat Thabo ein ungewöhnliches Vorbild: Miss Marple. Die ebenso britische wie schrullige Detektivin kennt er von Fernsehabenden mit Miss Agatha. Zwar würde man davon ausgehen, dass kein Kind des 21. Jahrhunderts die Schwarzweiß-Filme der 60er gesehen hat, aber angesichts der aktuellen Rezeption sollte man junge Menschen unbedingt dazu anhalten, die Video-Kassetten ihrer Großeltern zu reaktivieren. Denn nicht nur Thabo ist ein großer Miss Marple-Fan, auch Rico aus Andreas Steinhöfels Rico, Oskar…-Trilogie erzählt leidenschaftlich von den Filmen mit Margaret Rutherford. Natürlich werden über solche Allusionen auch die vorlesenden oder mithörenden Eltern bei Laune gehalten.
Neben dem eigentlichen Fall und seiner nicht nur kriminalistischen, sondern auch tierethischen Dimension – im Kruger-Nationalpark stellt Nashorn-Wilderei mittlerweile ein ganz beachtliches Problem dar – bieten vor allem Roman und Lesung, aber auch das Hörspiel weitere Themen, die mehr sind als eine soziale Situierung oder oberflächliches Lokalkolorit. Onkel Vusi hat Thabo bei sich aufgenommen, als seine Eltern "an dieser schrecklichen Krankheit" (Hörspiel 2/00:10) gestorben sind, was Thabo mit großer Wärme und Hochachtung – aber auch mit seinem eigenwilligen Blick auf die Dinge – berichtet:
Dass eine Tante sich um die Kinder ihrer Schwester kümmert, wenn der was passiert, das verlangen die Sitten. Aber ein Onkel! Von einem Mann kann das niemand verlangen, denn ein Mann ist keine Frau. So ist das bei uns. (Hörspiel 2/00:25)
Thabos bester Freund und Detektivkollege Sifiso hat es noch deutlich schwerer, auch seine Eltern sind gestorben und er muss sich als der Älteste um seine kleinen Geschwister kümmern. Wie sensibel die Kinder mit diesem Thema umgehen, zeigt etwa Thabos Reaktion auf das getötete Nashorn, dessen Junges er sofort in ein Waisenhaus für Tiere bringen lassen will. Solche Hinweise sind ein ganz wichtiger Aspekt in Kirsten Boies Texten: "Ich bin ja seit zehn Jahren stark involviert in ein Aidswaisen-Projekt in Swasiland, also im südlichen Afrika, wo fast 50 Prozent der Jugendlichen mit 15 keine Eltern mehr haben", erläutert sie in einem Interview (das auf der Seite des MDR nicht mehr verfügbar ist):
Und da habe ich unglaublich viele Kinder, Erwachsene kennengelernt, Erfahrungen gesammelt. […] Ich habe dann ein sehr ernstes Buch geschrieben, über die Situation von Kindern in Swasiland – Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen, das ist 2013 erschienen – und habe dann doch den Wunsch gehabt, diese Dinge auf eine leichtere Weise zu vermitteln. Also auf eine Weise, die Kindern in Deutschland auch Spaß macht.
Fazit
Die Thabo-Romane, neben dem Nashorn-Fall (2016) sind mittlerweile auch Der Rinder-Dieb (2016) sowie Die Krokodil-Spur (2017) erschienen, setzen nicht vordergründig auf Spannung und Action, vielmehr überzeugen sie durch einen ungewöhnlichen Helden in einer – aus europäischer Sicht – fremden Umgebung. Die Hörbücher haben mit Hendrik Kleinschmidt einen überzeugenden Rezitator gefunden, der Nashorn-Fall wurde zu Recht mit dem AUDITORIX-Hörbuchsiegel 2016 ausgezeichnet und stand auf der hr2-Hörbuchbestenliste.
Während Kleinschmidt den Gentleman gekonnt ausspielt, klingt Felix Lengenfelder als Thabo im Hörspiel verletzlicher, aber dadurch auch authentischer. Das insgesamt sehr versierte kindliche Sprechendenensemble des Hörspiels wird ergänzt durch Martin Seifert als liebenswerten Onkel Vusi sowie Katharina Matz als kauzige Miss Agatha, die ihrem Vorbild Miss Marple vor allem gegen Ende alle Ehre macht.
Eine eindeutige Empfehlung im Vergleich zwischen Hörspiel, Hörbuch und Roman ist schwierig, aber jeden der drei Bände in einem anderen Medium zu rezipieren, könnte eine gute Lösung für Kinder ab zehn Jahren sein.
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- Name: Janine Lüttmann
- Name: Angela Gerrits