Auf Jenny Jägerfelds preisgekrönten Roman Mein geniales Leben folgt nun die Fortsetzung Mein genialer Tod: Sigges Abenteuer in Omas Hotel gehen weiter! Diesmal steht Weihnachten vor der Tür, und Sigge fühlt sich zwar zerrissen zwischen seinen neuen Freunden, von denen er nicht so recht weiß, ob es überhaupt Freunde sind, aber vor allem die Geborgenheit in seiner Familie bleibt. Ein Kinderroman voller Komik und überraschender Wendungen, psychologisch feinfühlig – und wegen des weihnachtlichen Settings eine ideale Dezember-Lektüre.

 Inhalt

Für Sigge hat sich mit dem Umzug von Stockholm nach Skärbläcka alles zum Positiven gewendet: Den Außenseiterstatus ist er los, stattdessen verbindet ihn eine enge Freundschaft mit seiner Nachbarin Juno. Und das Leben mit seiner liebevoll-schrägen Familie im verlassenen Hotel, in dem nur ein einziger Hotelgast wohnt (Krille Marzipan), liefert ihm Geborgenheit und innere Stabilität. Trotzdem gerät der sympathische Protagonist emotional ins Schlingern, als die als cool und beliebt geltenden Zwillinge Sixten und Jona mit einem Mal um seine Gunst werben. Sigge ist sowas nicht gewohnt, fühlt sich verunsichert und sucht nach passenden Verhaltensweisen, die sich ihm nicht automatisch erschließen. Die Zwillinge bitten ihn, Mitglied ihrer Hiphop-Band zu werden und in diesem Jahr bei der legendären Weihnachtsshow aufzutreten. Sigge geht auf dieses zunächst attraktiv scheinende Angebot ein und gerät dann aber vor Aufregung massiv in Stress, zumal die chaotischen Zwillinge keinerlei Wert auf Proben zu legen scheinen. Er wird immer nervöser und angespannter. Über all dieser Anspannung vergisst er seine Freundin Juno nahezu komplett. Sie zieht sich beleidigt zurück, was Sigge einmal mehr überfordert. Wie im ersten Band schon ist er mit sozialen Normen nur wenig vertraut und lässt sich trotz seines veränderten Status‘ in der Peergroup schnell verunsichern. Er schwankt zwischen Anpassung und Eigeninitiative und weiß einfach nicht so recht, was passt und was nicht. Zentral ist daher die Frage: Wie sehr muss man sich verstellen, um beliebt zu sein oder darf man ganz bei sich selbst bleiben?

Hinzu kommen die familiären Turbulenzen im absolut ungewöhnlichen Familienleben des Protagonisten, dessen Alltag vom Umgang mit einer überdrehten Großmutter, eigensinnigen Geschwistern und geliebten Tieren geprägt ist. So muss Sigge beispielsweise die Meerschweinchen Tarzan und Frasse retten, welche die kleine Schwester Majken in einen Korb gesetzt hat, der an einen Luftballon gebunden ist. Panik bricht in der Familie aus, als der Korb mit den Meerschweinchen sich in die Lüfte erhebt. Beherzt greift Sigge zum Luftgewehr und rettet mit dem Abschuss die geliebten Tierchen vor dem Flug ins Ungewisse. Kein Wunder, dass er da seine innere Ruhe nicht findet! Aber an Weihnachten wird schließlich doch noch alles gut…

Kritik

Ohne den ersten Band bliebe diese Fortsetzung sicherlich luftleer. Die Leserinnen und Leser müssen Sigge, seine Familie und seine Freunde und Freundinnen kennen, um diesen komisch-feinfühligen Kinderroman gewinnbringend rezipieren zu können. Unter Voraussetzung der Kenntnis des ersten Bandes aber eröffnet sich hier eine sowohl überbordend komische als auch psychologisch stimmig konzipierte Erzählung, deren Sensibilität in der Erzählweise vom Blick ins Innere des Protagonisten getragen ist. Zwar verleihen Szenen wie jene mit dem Meerschweinchen-Flug der Handlung durchaus Dynamik, insgesamt setzt die Erzählung aber mehr auf die inneren Prozesse des Ich-Erzählers und kann vielleicht auf Lesende, die schnelle Handlungsabläufe mögen, ermüdend und langweilig wirken. Gerade das macht den Roman, der an der Grenze zwischen psychologischem und komischem Kinderroman changiert, aber anspruchsvoll und lesenswert. Die Figuren sind psychologisch sehr glaubwürdig und stimmig konzipiert und tragen dennoch die einnehmende Komik des Textes, die sich aus slapstickartigen Situationen ergibt. Vor allem die Frage nach dem Umgang mit sich selbst und nach der notwendigen Anpassungsfähigkeit in Freundschaften, ist eine, die insbesondere Jugendliche in der Pubertät sehr umtreiben dürfte. Bei Sigge liest sich das so:

"Nur weil viele einer Meinung sind, heißt das nicht, dass es richtig ist,“ sagte ich. „Also, ich meine...denke mal daran, wie viele Trump gewählt haben. Seine Politik wird dadurch nicht besser, dass es viele waren, oder?" (S. 153)

Nicht zuletzt durch solche politischen Referenzen schreibt sich der Kinderroman in den aktuellen Zeitgeist ein – und der Umgang mit den Zwillingen wächst sich für den sensiblen Sigge tatsächlich mehr und mehr zum Problem aus, doch:

„Irgendwie sah ich keine Möglichkeit, mit allen gleichzeitig zusammen zu sein. Juno war nicht unbedingt ein Mega-Fan der Zwillinge. ‚Die glauben, sie wären Gottes Geschenk an die Menschheit‘, wie sie es ausdrückte. Und die Zwillinge waren schlicht und ergreifend nicht an Juno interessiert.“ (S. 86)

Mit dieser schlichten, klaren Sprache, die Birgitta Kicherer sorgsam ins Deutsche übertragen hat, gelingt es der als Psychologin versierten Autorin die Gefühlswelt des Protagonisten äußerst feinsinnig abzubilden. Er pendelt hin und her zwischen dem verunsichernden Raum Schule und dem heimischen Hotel, das bunt und schillernd ist, aber Geborgenheit stiftet. Zu diesem vertrauten Raum gehört schließlich auch Juno mit all ihrer Buntheit, während die Zwillinge dem Außenraum der Unsicherheit zugeordnet sind. Zu Juno findet Sigge schließlich auch zurück, ohne sich total von den Zwillingen zu distanzieren – die perfekte Lösung für ein perfektes Weihnachtsfest, das diesen wunderbaren Kinderroman beschließt. Die Zeitstruktur lässt sich jederzeit nachvollziehen, denn alle Kapitelüberschriften drehen sich mit Wortwitz um die Weihnachtsfeier: Der Roman beginnt mit "Als es mir immer noch egal war, dass es nur noch 60 Tage bis zur Weihnachtsfeier waren. Jesus ist hier!" (S. 7) und endet mit "Weihnachten. Wollen wir tatsächlich diesen Geheimdienstchef vom Nordpol in unser Haus lassen?" (S. 389). So ist die erzählte Zeit klar abgesteckt und man erwartet den dritten Band, der dann wieder im Frühling spielen dürfte. Oder?

Fazit

Ein komplexer und genial durchkomponierter Kinderroman voller sympathisch-schräger Figuren und schillernder Räume. Er ist fast so lesenswert und komisch wie der erste Band für Leserinnen und Leser ab 11 Jahren, die mehr wollen als nur einfache Unterhaltung. Vor diesem Hintergrund handelt es sich um eine ganz besondere Weihnachtslektüre mit spezieller Idyllik, abseits von vereinfachenden Erzählmustern – und trotzdem eine richtige Portion Weihnachtsstimmung!

Titel: Mein genialer Tod
Autor/-in:
  • Name: Jägerfeld, Jenny
Originalsprache: Schwedisch
Originaltitel: Min storslagna död
Übersetzung:
  • Name: Kicherer, Birgitta
Erscheinungsort: Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Freies Geistesleben
ISBN-13: 978-3-8251-5317-5
Seitenzahl: 410
Preis: 19,90
Altersempfehlung Redaktion: 11 Jahre
Jägerfeld, Jenny: Mein genialer Tod