1. Biographie
Gina Mayer wurde 1965 in Ellwangen an der Jagst geboren, studierte zunächst Grafik-Design und arbeitete als Werbetexterin, bis sie im Jahr 2005 mit dem historischen Roman Die Protestantin und mit dem Jugendroman Das Mädchen ohne Gedächtnis ihr literarisches Debüt vorlegte. Seitdem lebt sie als freie Schriftstellerin mit ihrer Familie in Düsseldorf (vgl. www.ginamayer.de).
2. Werke
Das Werk der Autorin weist ein breites Spektrum von kinder- und jugendliterarischen Genres auf: Neben Kriminal- und historischen Romanen für Erwachsene schreibt sie Erstlesebücher, serielle Kinderliteratur, zeitgeschichtliche und historische Kinder- und Jugendromane, Fantasy-, Science-Fiction- sowie Adoleszenzromane. Bislang hat sie etwa 50 Bücher verfasst. Über ihr Schreiben berichtet sie auf ihrer Homepage:
Schreiben ist mein Beruf. Ich wandere von einem Zeitalter ins andere, von einem Thema zum nächsten, von Buch zu Buch. Und immer nur wohin ich will. Ich lese und erfinde und lerne und wachse. Das ist mein Leben. (https://ginamayer.de/about)
Neben dem breiten Spektrum der kinder- und jugendliterarischen Genres zeichnet sich ihr Werk auch durch eine hohe Themenvielfalt aus. Dabei kombiniert sie tradierte Motive mit modernen Mitteln des Erzählens wie Montagetechniken oder Perspektivwechsel.
Der Beitrag stellt im Folgenden ihr Werk entlang der verschiedenen Genres exemplarisch vor.
2.1 Erstlesebücher
Gina Mayer schreibt sog. Erstlesebücher für Leseanfängerinnen und -anfänger. Unter Erstlesebüchern versteht man jene Texte, die sich in Syntax, Semantik, Inhalt und Illustration der anvisierten Zielgruppe anpassen und sich durch ihre Anlage mit den Erkenntnissen der Schriftspracherwerbsforschung verbinden. In ihrem Œuvre dominiert das phantastische Erstlesebuch und sie lässt hier bekannte Figuren wie bspw. Meerhexen und Nixen agieren (vgl. Nixe Lulu und die Meerhexe).
Populär ist Der magische Blumenladen: Diese Erstlesebücher gehen auf die gleichnamige Serie für ältere Kinder zurück (vgl. unten: Serielle phantastische Kinderliteratur) und sind für Leseanfängerinnen und -anfänger neu konzipiert. Mayer greift das Setting der Serie auf, das etwas später noch genauer skizziert wird und stellt zu Beginn die wichtigsten Figuren in Steckbriefen vor. Anschließend werden die Geschichten erzählt. Hier verlässt Mayer bekannte Muster der Erstleseliteratur – etwa kurze Kapitel oder einfache Wortwahl – und entfaltet die Geschichte auch in längeren Abschnitten. Die Kapitel enden jeweils mit einem Cliffhanger, was nicht nur die Lesemotivation, sondern auch die Spannung steigern soll. Damit schaffen Mayers Erstlesebücher den Spagat zwischen dem Übergang von einfachen zu literarischen Texten und erleichtern so den Übergang vom Erstlesebuch zum Kinderroman. Die Kinder gewinnen mit Blick auf die längeren Textpassagen Mut, sich auch "dickeren" Büchern zuzuwenden. Sie greift, ähnlich wie in ihrer Serie, komplexe Themen wie Freundschaft, Lüge oder Mobbing, und damit Themen aus der Alltagswelt der Kinder auf, kombiniert diese mit magischen Elementen und zeigt mit Violet ein Mädchen, das einerseits mutig ist, andererseits auch zweifelt. Erst in einem Gespräch mit ihrer Tante denkt Violet über Aberglauben und üble Gerüchte nach. Damit gestaltet die Autorin ihre Hauptfigur facettenreich aus und versieht sie mit Stärken und Schwäche. Die Figurengestaltung ist als Besonderheit in der Erstleseliteratur zu betrachten, denn in der Regel werden in Texten für Erstleserinnen und Erstleser eindimensionale Figuren mit einfachen Lösungen geboten. Mayer verzichtet auf diese Einfachheit, zeigt den Zwiespalt Violets. Um jedoch die jungen Leserinnen und Lesern nicht mit allzu vielen (mehrdimensionalen) Figuren zu überfordern, entsprechen die weiteren Figuren – sowohl menschliche als auch tierische Helferinnen und Helfer – bestimmten Typen. Obwohl Mayer auch von schwierigen Themen aus der Alltagswelt erzählt, ist die Lösung am Ende der Geschichte einfach und entspricht so den Konventionen von auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmter Erstleseliteratur.
Auch die sprachliche Gestaltung widersetzt sich 'klassischen' Erstlesebüchern, denn parataktische, hypotaktische Sätze sowie Dialoge wechseln sich ab. Komplexe und den Leseanfängerinnen und -anfängern unbekannte Wörter werden selbstverständlich in die Geschichte eingeflochten und erweitern so ihren Wortschatz. Dabei geht Mayer durchaus mit einer Prise Humor vor: So findet bspw. Violet mit der Hundsrose das Haus von Emma, denn die Hundsrose führt sie quasi an der Leine durch die Straßen und damit wird das Substantiv "Hund" wörtlich genommen (S. 35). Die Illustration von Horst Hellmann ergänzt den Text, zeigt eine Violet, die von der Rose regelrecht gezogen wird und hilft so Kindern, sich die Situation vorzustellen.
2.1.1 Phantastische serielle Kinderliteratur
Gina Mayers kinderliterarische Serien zeichnen sich durch eine bunte Motivvielfalt, liebenswerte, häufig einfache, aber auch mehrdimensionale Figuren und kindorientierte, leicht lesbare Handlungsstränge aus. Vielfach nutzt sie phantastische Elemente, die in einer ansonsten realistischen Welt verankert sind, so zum Beispiel in Der magische Blumenladen und in Das Hotel der verzauberten Träume, zwei sehr populäre Kinderserien, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.
Der magische Blumenladen
In mittlerweile zwölf Bänden erzählt Gina Mayer seit 2016 in Der magische Blumenladen von Violet, ihrer Tante Abigail und deren Blumenladen (Ein Geheimnis kommt selten allein, Ein total verhexter Glücksplan, Zaubern ist nichts für Feiglinge, Die Reise zu den Wunderbeeren, Die verzauberte Hochzeit, Eine himmelblaue Überraschung, Das verhexte Turnier , Fabelhafte Ferien, Der gefährliche Schulzauber, Ein Brief voller Geheimnisse, Hilfe per Eulenpost, Der magische Blumenladen – Ein zauberhafter Adventskalender). Die Serie lässt sich in den Bereich der unterhaltenden Mädchenliteratur einordnen, was auch die Covergestaltung unterstreicht. Dabei nutzt Mayer die Veränderungen der Mädchenliteratur seit den 1970er Jahren, zeigt mit Violet eine selbstständige und neugierige Mädchenfigur. Mit der Figur der Tante rekurriert sie auf das beliebte kinderliterarische Motiv der Hexe und fokussiert es auf die sog. Blumenmagie. Die Kombination aus Hexentum und Pflanzen ist seit Jahrhunderten tradiert und wird bei Mayer positiv im Sinne der grünen, umweltbewussten Hexen besetzt und lässt sich auch im Kontext der Frage diskutieren, welchen Beitrag die Phantastik zu einer ökologischen Sensibilisierung leisten kann.
In allen Bänden schildert Mayer, wie die Protagonistin von ihrer Tante Abigail in die Zauberkünste der Blumenmagie eingeführt wird. In diesem Blumenladen entfalten sich die magischen Kräfte, über die nur Personen wie Abigail und Violet verfügen. Die Protagonistin wächst im Alltag bei warmherzigen Pflegeeltern, Tante June und Onkel Nick, auf. Violets Eltern sind gestorben, ihre Tante hat sie erst später kennengelernt. Violet und ihre Tante sehen sich zum Verwechseln ähnlich und verstehen sich bestens, dennoch möchte Violet weiterhin bei ihren liebevollen Pflegeeltern leben. Den zauberhaften Blumenladen ihrer Tante samt sprechendem Wellensichtich namens Lady Madonna und Kater Lord Nelson besucht sie aber regelmäßig, häufig auch mit ihren Freunden, den Zwillingen Jack und Zack, wobei es sich bei Jack um ein Mädchen handelt, das sich bewusst Schmuck und Glitzerspielzeug widersetzt und das am liebsten Fußball und Verstecken spielt. Hiermit berührt Mayer in Ansätzen brisante und aktuell virulente Themen wie Intersektionalität und crossdressing, vertieft diese aber nicht.
Die Rezepte für den Blumenzauber finden sich in einem zitronengelben Blumenbuch, das Violet im ersten Band findet. Aber die Tante möchte sie zunächst erst in die Kunst des Blumenzaubers einführen, wenn sie 16 Jahre alt ist. Doch: Mit den magischen Blumen, die darin beschrieben sind, "kann man alle möglichen Wunder vollbringen." (Band 2, S. 21). Und über die magische Gabe verfügt Violet schon jetzt. Das war auch bei ihrer Mutter der Fall, aber die wollte lieber ein normales Leben führen. Weil die Protagonistin der Sogwirkung des Blumenzauberbuchs nicht widerstehen kann und das Buch immer wieder heimlich nutzt, mit dem Zauber ohne Anleitung aber dauernd für Verwirrungen sorgt und die Blumen vertauscht, entschließt sich Tante Abigail am Ende des zweiten Bandes doch, ihre Nichte in der Blumenzauberei auszubilden. Das aber ist schwerer, als Violet gedacht hat, denn sie muss viel lernen, obwohl sich das Buch immer genau auf der richtigen Seite öffnet und die Zauberblume zeigt, die man gerade braucht.
Mayers Magischer Blumenladen steht in der Tradition der phantastischen Kinderliteratur, in der die phantastischen Elemente kombiniert werden mit ernsten Fragen nach Verlust der Eltern, Leben in der Pflegefamilie, Flucht, Interkulturalität oder Migration. Letztes ist zentral im Weihnachtsband Der magische Blumenladen – Ein zauberhafter Adventskalender (2018). Denn hier geht es um das Flüchtlingsmädchen Anila, die in Violets Klasse kommt. Sie ist sympathisch, fügt sich gleich gut in die Klassengemeinschaft ein und die Sprachbarrieren zwischen ihr und den anderen Kindern werden nicht explizit thematisiert. Die phantastischen Elemente dienen der Entlastung, bieten aber auch die Möglichkeit, sich mit ernsten Themen zu beschäftigen.
Auch weist die Serie eine interessante Raumsemantik auf: Der Blumenladen wird schillernd beschrieben und ist der literarische Raum, in dem realistische und phantastische Erzählebene miteinander verschmelzen: "Auf den Regalen, neben der Kasse und auf dem Boden drängten sich Vasen, Eimer und Töpfe mit Blumen, die in allen Farben leuchteten. Goldgelbe Narzissen strahlten mit pinken Ranunkeln, hellblauen Hyazinthen und knallroten Tulpen um die Wette." (Band 1, S. 11)
Unklar bleibt, warum als Schauplatz England mit dem fiktiven Ort Rivenhoe gewählt wurde, wo die Autorin doch eine Deutsche ist und wir es bei der Buchserie auch nicht mit einer Übersetzung zu tun haben. Das mag zu Irritationen bei kindlichen Leserinnen und Lesern führen – aber der Lesefreude keinen Abbruch tun. Wegen der Kürze der Kapitel von je 3-4 Seiten eignet sich das Buch auch sehr gut als Lektüre zum Selberlesen für Leseanfängerinnen und -anfängern, kann aber ebenso gut als Vorlesespaß für die ganze Familie dienen.
Das Hotel der verzauberten Träume
Auch in der Buchreihe Das Hotel der verzauberten Träume verknüpft Mayer Phantastik und Realistik. Wenige phantastische Elemente verbinden sich hier, wie schon im Magischen Blumenladen, mit einer realistischen Handlung. Die zehnjährige Joelle und ihr zwei Jahre älterer Bruder Lancelot freuen sich sehr auf ihren Sommerurlaub. Die Eltern, die Mutter Yogalehrerin, der Vater Kunstmaler, haben ein exquisites Holiday Beach Ressort im fiktiven Ort Karbotz an der Nordsee gebucht. Leider aber hat Frau Fröhlich das Navi falsch programmiert, und die Familie landet nun versehentlich in Korbutz (ebenso fiktiv). Dieses Örtchen liegt an der Ostsee und ist 400 km von ihrem eigentlichen Ziel entfernt. Hier kommen sie nun im neu eröffneten kleinen Hotel des freundlichen Fräulein Apfels unter. Dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, merken die Kinder schnell. Nicht nur dass Fräulein Apfel eine Doppelgängerin hat, die sich schließlich als ihre Zwillingsschwester entpuppt, besonders geheimnisvoll sind auch die vielen Traumfänger, die Joelle auf dem Dachboden der Pension entdeckt. Schon nach kurzer Zeit möchten die Kinder auf keinen Fall mehr in den Holiday Beach Club an der Nordsee, sondern wollen viel lieber im Hotel der verzauberten Träume bleiben, wo die Fröhlichs die einzigen Gäste sind. Auf dem Nachbargrundstück steht ein Wohnwagen, in dem Benny mit seinem Vater haust. Schnell schließen die Kinder Freundschaft. Aber das Wichtigste: Joelle findet mit Hilfe der Apfel-Schwestern Fräulein Rose und Fräulein Linde heraus, dass sie über eine magische Gabe verfügt: Sie ist eine Traumdeuterin, die verlorene Träume an ihre Besitzer zurückbringen kann – leider sind das nicht nur schöne Träume, sondern es sind auch Alpträume darunter. Als Joelle sich einen solchen einfängt, ihn immer wieder träumt und darum furchtbare Nächte hat, gibt es laut Fräulein Linde nur eine Option: Sie muss den wahren Besitzer des Traumes finden. Dabei helfen Joelle ihr Bruder Lancelot, Benny und die Apfel-Schwestern, denn die beiden hüten in ihrem Hotel die verlorenen Träume der Menschen. Sie sind Traumsammlerinnen und haben schon lange auf die Ankunft einer Traumdeuterin gewartet.
Mayer gelingt hier eine geschickte Kombination ansprechender Schauplätze, sympathischer Figuren und beliebter, klassischer kinderliterarischer Motivik. Hier konzentriert sich das Setting auf die Ostseeküste, die in malerischen Farben beschrieben wird. Nur der Ort Korbutz und das Traum-Hotel sind fiktiv, der Rest des Settings ist authentisch, hier "streicht der Wind sanft durch das Dünengras" und "die Sonne spiegelt sich im unendlichen Meer" (Band 1, S. 16).
Auch das Motiv der Träume und das Bild der Traumdeuterin werden für kindliche Leserinnen und Leser sehr anschaulich aufbereitet. Dass Deckenschmuck-Traumfänger hier in ihrem Wortsinn ernst genommen werden und dazu dienen, Träume wieder einzufangen, ist durchaus originell und kann sicher auch beruhigend auf viele Kinder wirken, die Angst vor Alpträumen haben. Mayer setzt somit direkt an der kindlichen Erfahrungswelt an und zeigt sich als genaue Beobachterin aktueller, auch medial geprägter kindlicher Lebenswelten: Bruder Lancelot hat zunächst Probleme, damit umzugehen, dass es im Traum-Hotel kein W-LAN gibt, findet sich dann aber schnell damit ab, womit die Handlung zurück in die freie Natur verlegt werden kann. Die Kinder bauen am Strand Burgen und ganze Städte, baden in der Ostsee und lernen segeln. Das urige Traum-Hotel mit seiner abgeschiedenen Lage in der Natur und seiner Nähe zum menschlichen Innenraum "Traum" wandelt sich in der kindlichen Wahrnehmung der Ich-Erzählerin Joelle plötzlich zum schönsten Lebensort, der das konstruierte Holiday Beach Ressort in den Schatten stellt. Das erinnert an Kirsten Boies Sommer in Sommerby (2018), wo die Protagonistin ebenfalls ohne Handy in der freien Natur zurechtkommen muss, was sie zunächst verstört, dann aber schön ist. Auf diese Weise versuchen Mayer wie Boie, die kindlichen Lebenswelten abzulösen von virtuellen Räumen, ohne dabei moralisch zu werden. Dennoch führen sie vor, wie attraktiv das Leben ohne Internetzugang sein kann, wodurch in den Büchern in gewisser Weise die Wiederbelebung des romantischen Kindheitsbildes aufscheint, auch im Rückgriff auf ebenfalls romantisch konnotierte Stadt-Land-Kontraste, wie man sie in stärkster Ausprägung bei Heidi findet: Nach Berlin wollen die Kinder angesichts der traumhaften Atmosphäre an der Ostsee nicht zurück, sie genießen das freie Landleben. Dazu gehört auch das klassische Motiv der Elternferne (vgl. Lexe 2003), dem sich Mayer hier ebenfalls bedient. Zwar treten Joelles Eltern gelegentlich auf, aber eigentlich sind sie immer abwesend und spielen in den kindlichen Abenteuern rund um die Traumfängerei keine Rolle. Sie wissen auch nichts von Joelles spezieller Gabe.
Lila und Zausel
Ähnliches gilt für Lila und Zausel (seit 2018), eine Serie, in der Mayer eine Pferde- bzw. Ponygeschichte mit phantastischen Motiven verknüpft. Zausel ist ein hässliches Pony und wohnt in einem Ponykarussell, wo er mit anderen tierischen Leidensgenossen tagtäglich im Kreis laufen muss und mit der Peitsche drangsaliert wird. Niemand will auf Zausel reiten, weil er so hässlich ist. Doch in dem freundlichen Mädchen Lila, der Tochter des Ponykarussell-Besitzers hat er eine echte Freundin gefunden, die mit ihm durch Dick und Dünn geht. Als Zausel verkauft werden soll, greift Lila sofort ein und entführt das Pony. Ziel ist Rosalinds zauberhafter Ponyhof, wo aber nur Tiere bleiben dürfen, die über eine magische Gabe verfügen. Der Weg zum zauberhaften Ponyhof ist abenteuerlich und hält für Lila und Zausel viele spannende Erlebnisse bereit. Am Ende des ersten Bandes der bislang drei Teile umfassenden Serie entdeckt Zausel, dass er doch eine magische Gabe hat, wegen der er schlussendlich bei Rosalind bleiben darf: Er kann fliegen (was ihm allerdings noch sehr schwerfällt).
Der Ravensburger Verlag deklariert die Serie um Lila und Zausel als "zauberhafte Vorlesegeschichte" und adressiert somit vor allem Kindergarten- und Vorschulkinder als Rezipienten. Die Handlung ist ähnlich einfach gehalten wie im Magischen Blumenladen und im Hotel der verzauberten Träume. Ansprechend für Kinder dürfte auch hier wieder die Verknüpfung traditioneller kinderliterarischer Motive mit liebenswerten Figuren sein: Freundschaft zwischen Kind und Tier, Reise durch das Ungewisse, liebevolle Tierfiguren mit menschlichen Eigenschaften.
2.1.2 Kinderliteratur mit historischer Thematik
Die fünfbändige Serie Die Schattenbande (2014-2016), die Mayer gemeinsam mit dem Kölner Autor Frank M. Reifenberg verfasst hat und die von Gerda Raidt illustriert wurde, lässt sich nicht nur in die Kinderliteratur mit einer historischen Thematik einordnen, sondern steht in der Tradition von Erich Kästner, Alfred Döblin, aber auch Cornelia Funke oder Nina Weger. Im Mittelpunkt steht eine Kindergruppe – die sog. Schattenbande –, die als Straßenkinder in Berlin der 1920er Jahre leben.
Die Schattenbande setzt sich aus den vier Kindern Klara, Otto, Paule und Lina zusammen, die jeweils mit speziellen, für sie besonders charakteristischen Merkmalen ausgestattet sind. Nachdem die Bandenkinder aus dem Waisenhaus ihrer Tante Elfie geflohen sind (dort wurden sie oft tagelang eingesperrt), wohnen die Vagabunden in einer ehemaligen Schreinerei. Die geschickte Taschendiebin und oft als Junge verkleidete Klara, der clevere Pläneschmied Otto, der ideenreiche Erfinder Paule und die kleine schlaue Lina halten sich mit allerlei kleinen Gaunereien über Wasser. Sie stehlen nur, um ihren lebensnotwendigen Grundbedarf an Nahrung zu stillen. Immer wieder werden sie von der Polizei gejagt, die hinter ihnen her ist – u.a. von Wachtmeister Eltinger, dem sie stets entkommen können. Nicht zuletzt vermögen sie sich, wie v.a. Klara, auch dadurch immer wieder retten, weil sie von phantastischen Verbündeten, insbesondere von der rätselhaften Wahrsagerin Madame Fatale, "wie durch Zauberei" (Reifenberg/Mayer 2014, S. 22) beschützt werden.
In den fünf Bänden lösen sie unterschiedliche Fälle, die sich um Ganoven und Entführungen drehen, und fliegen schließlich im letzten Band mit einem Zeppelin als blinde Passagiere nach New York. Die spannenden, rasant erzählen Episoden werden jedoch mit ernsten Themen kombiniert: Das Autorenteam zeigt die Armut der Kinder, ihre Suche nach einer Unterkunft und schafft es, die 'golden' twenties aus der Sicht der unteren Schichten zu zeigen. Die Orientierung an Kästner deutet sich in der Darstellung der Kindergruppe der Stadt Berlin an, wird aber um soziale Probleme der Berliner Bevölkerung erweitert. Die intertextuellen Bezüge zu aktuellen Kinderromanen wie Herr der Diebe (2000) von Cornelia Funke sowie Ein Krokodil taucht an und ich hinterher (2013) von Nina Weger liegen insbesondere in der Darstellung der Armut und familiären Situation der Kinder. Ähnlich wie Funke und Weger scheuen sich auch Reifenberg und Mayer nicht, benachteiligte Kinder zu zeigen, die entweder Waisenkinder sind oder Gewalt und Unterdrückung in Familien erleben.
Zeitungsartikel und Illustrationen ergänzen den Text und sollen die historische Authentizität unterstreichen. Erzählt wird abwechselnd aus der personalen Perspektive von Klara und Otto, was Einblicke sowohl in die weibliche als auch männliche Psyche ermöglicht. Hinzu kommen auch Collage- und Montageverfahren, filmische Erzählmittel und der Wechsel von Orten. Beispiele für spezifische literarische Montageverfahren im Text sind etwa die Zeitungsartikel mit Titeln wie "Dreister Juwelendiebstahl in Charlottenburg" (Reifenberg/ Mayer 2014, S. 11) oder Briefbotschaften (ebd. S. 25). Mikota/Schmidt sehen in der Serie moderne historische Kinderromane, die sich in ihrer "formalen und inhaltlichen Konzeption an neueren Erzählweisen aus dem Bereich der Kinderliteratur" (Mikota/Schmidt 2020, i. V.) orientieren. Die Montageverfahren können in der Tradition Döblins betrachtet werden.
2.2 Jugendbücher
Viele der Jugendbücher Mayers setzen auf bewährte (sehr einfache) Erzählmuster. Dabei sollte man differenzieren zwischen Thrillern, Adoleszenz- und Entwicklungsromanen, bei denen es häufig um Liebesbeziehungen geht, Pferdebüchern und historischen und zeitgeschichtlichen Jugendromanen.
2.2.1 Zeitgeschichtliche und historische Jugendliteratur
Einen Schwerpunkt in Gina Mayers Erzähltexten für Erwachsene und Jugendliche machen historische und zeitgeschichtliche Romane aus. Im jugendliterarischen Bereich debütiert sie hier im Jahr 2008 mit dem historischen Kriminalroman Die falsche Schwester. Mayer siedelt die Handlung in Kaiserswerth im Jahr 1859 an und erzählt von dem jungen Mädchen Martha, das als Küchenmädchen im Diakonissen-Krankenhaus arbeitet. Als dort kurz nacheinander zwei Morde geschehen, findet sich die Protagonistin unvermittelt in einen Kriminalfall wieder. Mayer folgt hier klassischen Konventionen unterhaltungsliterarischen Erzählens, verbindet Motive des Liebes- und Kriminalromans vor einer historischen Kulisse.
Ähnliche Strickmuster finden sich in dem 2011 erschienenen historischen Jugendroman Die Wildnis in mir, wobei sich hier die Spannungsstruktur noch stärker an Prolepsen bindet, die Teile der traurigen Handlung vorwegnehmen, etwa schon gleich zu Beginn, als die Protagonistin und Ich-Erzählerin Henrietta postuliert: "Ich frage mich oft, was geschehen wäre, wenn ich meiner Mutter den zweiten Brief nicht gegeben hätte. Wenn ich ihn in kleine Stücke zerrissen oder verbrannt hätte. [...] Vermutlich wäre Mutter noch am Leben. Wenn ich den Brief damals weggeworfen hätte" (Mayer 2011, S. 5).
Die Handlung setzt im Jahr 1900 an. Der Brief, von dem hier die Rede ist, enthält eine Einladung nach Deutsch-Südwest, nämlich das Heiratsangebot eines Missionars, der in der südafrikanischen Kolonie, dem heutigen Namibia, lebt, an die Mutter der Protagonistin. Für die beiden Frauen eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, der Enge und Armut der Kohlstraße im Rheinland zu entkommen. Henrietta hätte dort als Dienstmädchen arbeiten müssen, doch durch das Heiratsangebot aus Deutsch-Südwest verschiebt sich alles im Leben der beiden Frauen und sie treten eine große Reise an. Doch es kommt zu einem unerwarteten Bruch in der Handlung. Die willensstarke Henrietta, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt ist, schließt auf der Schiffsreise Freundschaft mit der Pfarrerstochter der freundlichen Familie Cordes, die nach Kapstadt aufgebrochen ist, um dort eine Missionsstation zu leiten. Zudem macht sie Bekanntschaft mit einer unentwegt lesenden Dame, Fräulein Hülshoff, von der sich herausstellt, dass sie wegen eines unehelichen Kindes bei ihrer Familie in Ungnade gefallen ist. Couragiert bietet Henrietta ihr an, sie mit zur Missionsstation ihres zukünftigen Stiefvaters nach Bethanien zu nehmen. Doch der Missionar namens Freudenreich entpuppt sich als alter, herrischer und ungnädiger Mann, der seine Sklaven regelrecht tyrannisiert. Einer davon ist der Treiber Petrus, der insofern zur zentralen Figur avanciert, als sich zwischen ihm und Henrietta eine verbotene Liebesbeziehung entwickelt, die den Großteil der Handlung ausmacht. Nachdem die Mutter an einer Krankheit gestorben ist, flieht Henrietta gemeinsam mit Petrus von der Missionsstation durch halb Deutsch-Südwestafrika und verliebt sich in ihn – der Beginn einer damals unmöglichen und verbotenen Liebesbeziehung zwischen Schwarz und Weiß, die zum Scheitern verurteilt ist. Doch Henrietta hat auch noch ein anderes Ziel: Sie will Lehrerin in Stellenbosch werden.
Mayer arbeitet mit klassischen Motiven des Liebes- und Reiseromans, der vor dem Hintergrund eines gut recherchierten historischen Settings angesiedelt ist. Über die Recherchereise, die die Autorin für den Roman unternahm, gibt Mayer in einem Nachwort Auskunft, auf das historisches Kartenmaterial von Deutsch-Südwestafrika um 1900 folgt. Henriettas Reise ist gekoppelt an die Reifung und Initiation der Protagonistin, die wiederum an die Raumstruktur gebunden ist: Die Räume Kohlstraße in Deutschland, das Schiff, die Missionsstation in Bethanien, Flucht nach dem Tod der Mutter, die am Ende abgebrannte Missionsstation der Cordes und schließlich die Schule strukturieren das Geschehen und sind zugleich wesentliche Marksteine der Ich-Entwicklung der Protagonistin, die vom naiven Mädchen zur jungen Frau heranreift.
Mayer überzeugt in diesem Roman mit fesselnder Unterhaltungskunst und feinsinniger Recherchearbeit.
Der wohl bekannteste und auch von der KJL-Forschung am stärksten beachtete geschichtserzählende Text Mayers aber ist sicher Die verlorenen Schuhe (vgl. dazu auch unten "Wissenschaftliche Rezeption"), ein Jugendroman, der 2010 bei Ravensburger erschien und die Geschichte einer Vertreibung aus Schlesien zum Ende des Zweiten Weltkriegs erzählt.
Die verlorenen Schuhe
Inge wächst wohlbehütet auf dem Gut Hohenau in Schlesien auf und bekommt von dort aus vom Zweiten Weltkrieg nur wenig mit. Naiv glaubt sie ihrem Verlobten Wolfgang, einem überzeugten Nationalsozialisten, der ihr vom Endsieg und Görings Wunderwaffe erzählt. Die Front ist weit weg, aber auf dem Gut werden zahlreiche Fremdarbeiter beschäftigt, unter ihnen die Polin Wanda, die im selben Alter ist wie Inge. Als es 1945 zur Flucht der Deutschen aus Schlesien kommt, wird Inge von ihrer Familie getrennt, weil sie im benachbarten Ort Kreuzburg versucht hat, die Schule zu besuchen, die für wenige Tage geöffnet war. Verzweifelt schlägt sie sich durch zu ihrem Heimatgut, wo sie aber niemanden mehr antrifft außer der Polin Wanda. Gemeinsam begeben sich die beiden ungleichen Mädchen auf die Flucht, begegnen einander voller Abscheu und Verachtung. In Rückblicken erfährt der Leser Wandas Geschichte. Sie wurde in Polen von den Nazis verhaftet und nach Schlesien gebracht, vermutlich weil sie von einem vermeintlichen Verehrer denunziert wurde. Wanda spricht fließend Deutsch, da ihr Vater vor dem Krieg Professor für deutsche Literatur war und das "Land der Dichter und Denker" zutiefst verehrte. Deshalb ließ er seine beiden Töchter von einem deutschen Kindermädchen erziehen und zweisprachig aufwachsen. Doch davon erfährt Inge zunächst nichts. Durch die Flucht sind die Mädchen aufeinander angewiesen, aber sie überwinden den Hass aufeinander nur langsam.
Ihre Fluchtroute führt sie durch ganz Schlesien. Sie begegnen anderen Flüchtlingen, werden bestohlen und ausgenutzt, leiden an Hunger und Kälte. Als Inge ihrem Verlobten Wolfgang begegnet, glaubt sie zunächst, er werde sie mitnehmen, was er aber nicht tut. Nun löst sie sich innerlich von ihm, glaubt nicht mehr an die Philosophie des NS-Regimes und beginnt sich nach und nach ihrer Begleiterin Wanda zu öffnen, die sie schon am Bahnhof wieder aufgelesen hatte, als Inge fälschlicherweise dachte, sie könne noch mit dem Zug die Gegend verlassen. Eine endgültige Wendung erfährt die Beziehung zwischen den beiden Mädchen, als Wanda Inge vor einer Vergewaltigung durch russische Soldaten rettet. So nähern sie sich einander behutsam und langsam an, Wanda beginnt Inge aus ihrem früheren Leben in Polen zu erzählen, von ihrer Liebe zu dem Kommunisten Marek und ihrer Verhaftung, bei der sie ihre neuen Schuhe an eine Aufseherin abgeben musste. So wächst eine Freundschaft zwischen ihnen, und Inge beginnt Wanda als ihre Schwester auszugeben, sodass man sie für eine Deutsche halten kann, was ihr Schutz gibt. Ziel ihrer Flucht ist Dresden. Als Inge erfährt, dass ihre Mutter dort sei, ist die Freude groß. Doch diese hält nicht lange an, da sie wenige Tage später von der Zerstörung Dresdens erfahren. So führt ihr Weg sie schließlich nach Nördlingen in Bayern, nachdem sie sich einige Zeit als Fabrikarbeiterinnen in Hirschberg verdingt haben. Nun als Freundinnen erleben beide neue Liebesbeziehungen, wobei Inge eine Enttäuschung hinnehmen muss, während für Wanda in der Begegnung mit Friedrich Hermenau eine Beziehungsperspektive aufscheint. Die Mädchen fassen in der amerikanischen Besatzungszone Fuß und spielen Jazz- Stücke auf dem Klavier zur Unterhaltung der Amerikaner. So steht am Ende die Hoffnung auf ein neues Leben.
Erzählt wird aus der Perspektive der beiden Protagonistinnen, etwa zu gleichen Teilen bekommt der Leser Einblick in die Gedanken Inges und Wandas (13 der 25 Kapitel sind aus Wandas Sicht geschildert, zwölf aus Inges), vermittelt vor allem über erlebte Rede. Durch diese Erzähltechnik zielt der Text auf Identifikation mit den Mädchen ab, die im Mittelpunkt der Handlung stehen. Neben der erlebten Rede bedient sich der Roman viel der wörtlichen Rede in Figurendialogen. Die Handlung entfaltet sich auf zwei Erzählebenen, zum einen wird die Gegenwart geschildert, in der es um die Flucht der Mädchen geht, zum anderen lernt der Leser bzw. die Leserin die Hauptfiguren durch zahlreiche Rückblicke besser kennen, in denen von ihrem Leben vor der Flucht erzählt wird.
Thematisch stehen einerseits die Vertreibung aus Schlesien im Zentrum des Romans und andererseits die Entwicklung der Beziehung zwischen den Protagonistinnen, die sich von einem von Hass und Verachtung geprägtem Verhältnis zu einer innigen Freundschaft wandelt. So handelt es sich vordergründig um einen Adoleszenz- und Freundschaftsroman.
Eher am Rande erfahren die jugendlichen Leserinnen und Leser etwas über die politische Situation in Deutschland 1945, das Ende des Krieges, den Frontverlauf, die Zerstörung Dresdens und Auschwitz.
In erzähltechnischer und stilistischer Hinsicht fällt im Roman die Verwendung von bildlicher Rede (z.B. "Ihre Fragen prallten gegeneinander und fielen zu Boden", S. 90, "Wanda lag in Gottes Hand" S. 94), vielen intertextuellen, explizit markierten Verweisen in Form von Zitaten aus und Bezügen zur deutschen Hochliteratur (z.B. Goethes "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche" aus dem Faust, Die Dreigroschenoper) sowie der Einsatz von Symbolen auf: Schuhe, Kleidung und Farbsymbolik.
Das Symbol der Schuhe prägt den Roman schon im Titel. Es handelt sich um die neuen dunkelroten "Prinzessinnenschuhe" (S. 248), die Wanda bei ihrer Deportation aus Polen von einer Aufseherin abgenommen werden. Mit den Schuhen verliert Wanda den Halt. Geborgenheit, Wohlstand, Zugehörigkeit und Sicherheit gehen verloren: Sie wird als Fremdarbeiterin nach Deutschland gebracht und verliert ihren Status, ihren 'Sitz im Leben'. Die Schuhe sind Symbol für ein besonderes Leben: "für einen Ballettabend. Für einen Empfang oder einen Opernball oder ein rauschendes Fest. Für all die herrlichen Dinge, die es im Krakau des Jahres 1943 nicht mehr gab" (S. 246). Zudem stehen sie für die Hoffnung, die Lebensfreude und Zuversicht bedeutet: "Gib nur die Hoffnung nicht auf, sagten die Schuhe. Es wird alles wieder gut, es wird alles wie früher!" (ebd.). Als Fremdarbeiterin in Hohenau trägt Wanda zu große Männerstiefel, sodass sich Blasen bilden. Die Schuhe sind ein Sinnbild für ihren Stand im Leben, ihre Beziehung zur Erde. Auch am Ende, als die Protagonistinnen schon in Bayern Fuß gefasst haben, können die Schuhe als ein solches Symbol verstanden werden: Sobald die Umstände härter werden, werden die Schuhe brüchig (S. 280).
Von Inges Schuhen ist nicht die Rede. Dafür trägt sie einen roten Wollmantel mit Nerzkragen, der ihre Naivität und ihren Wohlstand repräsentiert: Inge geht mit ihm in die Kirche, wo alle anderen Schwarz tragen, denn "der Mantel hob ihre Stimmung" (S.70). Sie verliert ihn schließlich, als sie nur knapp einer Vergewaltigung durch russische Soldaten entkommt. Nun bekommt Inge eine neue Identität, die sich sowohl äußerlich als auch innerlich manifestiert. Sie schneidet sich die Haare ab und wird zur starken, mutigen Kämpferin, die die harten Anforderungen des Flüchtlingslebens meistert und die eigene Schuld an der NS-Diktatur erkennt.
Das Rot des Mantels steht im Kontrast zum Schwarz der Schrecken des Dritten Reiches. Zu Beginn wirft Inge noch einen roten Ball in den blauen Himmel, während Wanda ein kaltes und schwarzes "Kaffeesatzdasein" (S. 26) lebt. Das Leben wird im Roman an einigen Stellen mit Farben beschrieben, vor allem mit Rot und Schwarz und Weiß. Es sind "schwarze Frauen, die Männer und Söhne verloren hatten" (S. 71), "schwarz und starr" schaut Inges Mutter ihrer Tochter und dem Vater nach, als sie sich das letzte Mal sehen (S. 86), am Ende sind auf dem Stockhof alle schwarz gekleidet, "schwarze Röcke, schwarze Tücher und dunkle Hemden wehten ihnen entgegen, als wollten sie sie wieder vertreiben" (S. 306). Im Kontrast dazu sieht Inge beim Anblick ihrer Heimat Hohenau "weiße Unterröcke und ein Bettlaken […] als wollten sie sie begrüßen." (S. 92)
Rot ist einerseits das Positive, Fröhlich-Unbeschwerte, andererseits aber auch die Farbe von Blut: "Blut so rot wie der Mantel" (S. 76). Das unbeschwerte Leben wird mit bunten Farben beschrieben: "Die Gerätschaften glitzerten geheimnisvoll im trüben Winterlicht, silbern, gelb und rötlich, wie die exotischen Fische, die Wanda als ein Kind einmal im Aquarium in Krakau gesehen hatte" (S. 201), bei der Ankunft in Nördlingen scheint ein Hoffnungsschimmer auf: "Auf den Wiesen entlang der Gleise leuchteten gelbe Himmelsschlüssel in der Sonne, die Bäche waren von weißen Buschwindröschen gesäumt, Apfelbäume blühten rosa" (S. 299) und der bunte Luftballon in dem Lied "Kauf dir einen bunten Luftballon", zu dem Inge mit Martin tanzt, nutzt den bunten Luftballon als Symbol für ein unbeschwertes Leben im Märchenland (S. 319). Eine ähnliche Farbsymbolik transportiert das Lied aus dem Kinofilm, den Wanda sieht, bevor sie verhaftet wird: "Davon geht die Welt nicht unter, sieht man sie auch manchmal grau. Einmal wird sie wieder bunter, einmal wird sie wieder himmelblau" (S. 263).
Wie in den zuvor thematisierten geschichtserzählenden Büchern setzt Mayer auch hier auf das klassische Abenteuermodell, worauf vor allem auch Monika Rox-Helmer in ihrer geschichtsdidaktischen Dissertation Der historische Jugendroman als geschichtskulturelle Gattung. Fiktionalisierung von Geschichte und ihr didaktisches Potenzial aufmerksam gemacht hat (vgl. dazu unten Wissenschaftliche Rezeption). Durch ein Autoreninterview stellt sie heraus, dass Mayer die Affinität der Fluchtgeschichten zum jugendliterarischen Erzählmuster durchaus bewusst ist. In den Verlorenen Schuhen repräsentiere Inge das Adoleszenz-Modell, Wanda das Abenteuermodell. Rox-Helmer sieht in Mayer eine "typische Vertreterin der gegenwärtigen Erinnerungskultur" (Rox-Helmer 2019, S. 371). Ihr Romanprojekt verfolge das Anliegen, "individuellen Erinnerungen, die derzeit noch im kommunikativen Gedächtnis vorhanden sind, an einem Erinnerungsort zu sichern." (ebd., S. 374). Sie löse "die lebendigen Erinnerungen von ihren Trägern und bereitet sie zur Übernahme ins soziale Langzeitgedächtnis vor" (ebd.). Dabei setzt Mayer, so stellt es auch Rox-Helmer heraus, vor allem auf die große Bedeutung von Zeitzeugengesprächen für die Fiktionalisierung. Auf diese verweist Mayer selbst im Nachwort, das sich anschließt an ein umfangreiches Glossar zu Begriffs- und Worterklärungen sowie Kartenmaterial, auf dem Inges und Wandas Fluchtroute nachzuvollziehen ist.
Auch Britta Jung kritisiert in ihrer Dissertation Komplexe Lebenswelten – multidirektionale Erinnerungsdiskurse, dass Mayer in Die verlorenen Schuhe vor allem auf tradierte Erzählmuster setze. Sie spricht von einem "pädagogischen Gestus, der sich in eindeutigen Rollenzuschreibungen manifestiert" (Jung 2018, S. 231). Jung unterteilt die zeitgeschichtliche KJL in die vier Themenbereiche: "Verfolgung und Deportation", "Deutscher Alltag und NS-Erziehung", "Bombenkrieg und Flucht" und "Generationskonflikt und Spurensuche".
Sie ordnet Die verlorenen Schuhe dem Themenbereich "Bombenkrieg und Flucht" zu und vergleicht ihn mit Waltraud Lewins Dresden-Apokalypse Marek und Maria, wobei Mayers Text als "ein in literarischer und auch erinnerungskultureller Hinsicht wesentlich konventionellerer Roman und mit Blick auf etwaige epistemologische, psychologische und ethische Grenzen weniger anspruchsvoller Jugendroman" (ebd.) im Urteil eher schwach abschneidet. Kritisiert wird auch das Anknüpfen an den negativen Gründungsmythos der Tätervergangenheit, die sich in Inges problemloser Distanzierung vom Nationalsozialismus zum Ende hin spiegelt.
Die Stärke in Mayers zeitgeschichtlichen Jugendromanen liegt wohl vor allem darin, dass es ihr gelingt, Geschichte durch "Typenauthentizität" (Rox-Helmer 2019, S. 375) unmittelbar zu vergegenwärtigen und durch den Einsatz tradierter Erzählmuster sowie dem Angebot an sympathischen Identifikationsromanen für jugendliche Leserinnen und Leser relativ leicht zugänglich zu machen. Das gilt für Die verlorenen Schuhe ebenso wie für Die falsche Schwester, Die Wildnis in mir und Mörderkind (2009).
Auch dem Roman Mörderkind schreibt Rox-Helmer eine Anlage als "detektivisches Narrativ" zu und damit Ähnlichkeit zum Abenteuermodell, das in den Verlorenen Schuhen zum Einsatz kommt. Für die Jugendliteratur ungewöhnlich und dadurch durchaus innovativ ist das Thema in diesem Roman: Hier geht es um die RAF-Vergangenheit der Mutter der Protagonistin Levke, die diese ihr ein Leben lang verheimlicht hat. Als an der Ostsee ein Mord an dem Betreiber der Surfschule begangen wurde, versucht Levke, die dort gejobbt hat, diesen aufzuklären und stößt bei ihrer Spurensuche auf die RAF-Vergangenheit ihrer Mutter. In durch Kursivdruck abgesetzten Analepsen entfaltet sich auf einer zweiten Erzählebene die Geschichte der Mutter Barbara im Jahr 1977. Auf diese Weise verbindet Mayer historische Faktizität mit den Strukturen eines spannenden Kriminalromans. Im Gegensatz zu den Verlorenen Schuhen und Die Wildnis in mir kommt Mörderkind ohne einen großen paratextuellen Anhang aus, verzichtet auf Glossar und Kartenmaterial und lässt somit die Geschichte stärker für sich sprechen.
2.2.2 Thriller und Liebesromane
Noch augenscheinlicher wird der Rückgriff auf einfache, auf Unterhaltung und Spannung setzende Strukturen und die Kontrastierung der Figuren in gute und böse Charaktere in Mayers Jugendthrillern, Liebesromanen und "Teenagergeschichten", die in der Gegenwart angesiedelt sind.
Den Auftakt machte sie hier 2006 mit ihrem Debütroman Das Mädchen ohne Gedächtnis, in dem sie von Anouschka erzählt, die ihr Gedächtnis verloren hat, womit eine Analogie zum einst sehr populären Thriller Lauf Jane, lauf aufscheint. In ihren unterhaltsamen Jugendromanen setzt Mayer vor allem auf spannungsreiche und schnelle Handlungsabläufe, wobei dem Plot in Teilen Unglaubwürdigkeit vorgeworfen werden muss. So kommt im Erstling Das Mädchen ohne Gedächtnis die Erinnerung der Protagonistin plötzlich zurück. Ihre ins Koma gefallene Mutter wacht wieder auf, der Vater entpuppt sich als skrupelloser Drogenhändler. Und in In guten wie in toten Tagen (2013) ist es am Ende die Protagonistin selbst, die den Mord an ihrem zukünftigen Ehemann auf einem Junggesellinnenabschied begangen hat, hat aber alles vergessen. Ähnlich funktioniert die Story in Alle Augen auf dich (2014). Hier hat die Hauptfigur Myriam sich selbst entführt und den Kriminalfall nur vorgetäuscht.
Populärer als die bislang genannten Texte ist der 2013 bei Ravensburger erschienene Thriller Morgen wirst du sterben, in dem vier Schülerinnen und Schüler anonyme Morddrohungen erhalten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, in der Konzeption allesamt sehr stereotyp sind:
Die Düsseldorfer Schülerin Sophia kämpft mit Minderwertigkeitsgefühlen und Übergewicht, findet keinen Anschluss in der Klasse. Ihr älterer Bruder Moritz hingegen ist ein Sonnyboy, der wie der Vater Medizin studieren will und den 1er-Abi-Schnitt aus dem Ärmel schüttelt. Die attraktive, angehende Schauspielschülerin Julie zieht in ihre erste eigene Wohnung in Hamburg. Und der smarte Jungunternehmer Philipp will mit seiner Freundin in München ein Penthouse bauen. Alle vier bekommen zu Beginn der Handlung plötzlich Drohungen per SMS und Mail zugesandt mit dem Wortlaut: "Ihr glaubt, ihr seid mich los. Aber ich vergesse euch nicht. Ich bin bei euch alle Tage bis zum 2. Juli." (S. 59). Inwiefern die Schicksale der jugendlichen Protagonisten miteinander verbunden sind, erschließt sich dem Leser erst nach und nach.
Zunächst hat jeder der Betroffenen eine Idee, wer der Verfasser der anonymen Botschaften sein könnte, denn Feinde haben sie alle: Sophia glaubt, eine ehemalige Klassenkameradin wolle sich an ihr rächen, weil sie, selbst Mitläuferin, an Mobbingattacken beteiligt war. Ihr Bruder Moritz hingegen denkt an den Radfahrer, den er neulich betrunken angefahren und einfach hat liegen lassen. Philipp ist überzeugt, dass hinter den Mails sein ehemaliger Seitensprung steckt. Und Julie tippt auf ihre ehemalige beste Freundin, der sie den Platz in der Schauspielschule weggeschnappt hat.
Doch all diese Verdächtigungen erweisen sich als Irrtümer. Eine Wendung nimmt die Geschichte, als der Vater von Sophia und Moritz spurlos verschwindet und darum die Polizei eingeschaltet wird.
In allen Büchern treten sehr klischeehafte und stereotype Figuren auf, die trotz allem sympathisch sind. Eine rasante Spannungsstruktur macht sie zum idealen Lesefutter für die leichte Lektüre.
Ähnliches gilt für die Liebesromane Gina Mayers. Häufig erzählt sie von ungleichen Freundschaften zwischen klischeehaft konzipierten Mädchen (Verliebt in Amsterdam, Küssen auf Amerikanisch), lässt gerne Punks, Obdachlose und Straßenmusiker als Figuren auftreten (How to catch a star, Verliebt in Amsterdam) und lässt ihre Figuren abwechselnd erzählen, wechselt also die Fokalisierung (Morgen wirst du sterben, How to catch a star, Verliebt in Amsterdam, Küssen auf Amerikanisch, auch in Die verlorenen Schuhe). Dabei wählt Mayer unterschiedliche Settings und Handlungsräume. In Verliebt in Amsterdam (2015) schickt sie ihre Leserinnen und Leser mit Phoebe und Aaron auf einen romantischen Roadtrip von Düsseldorf nach Amsterdam, der allerlei amouröse Verstrickungen bereithält. In Küssen auf Amerikanisch (2013) begleiten wir Cosima als Austauschschülerin nach New York. Zunächst gilt ihre größte Sorge der Möglichkeit, ihr Freund Louis könne sich während ihrer Abwesenheit erneut in seine Ex-Freundin verlieben, doch dann verliebt sie selbst sich neu in New York. Und in How to catch a star (2014) geht es um eine Casting-Show und fünf Jugendliche, deren Traum es ist, Popstar in einer Band zu werden. Schauplatz ist ein Schloss in der Eifel, wo die Nachwuchsstars getestet und gecoacht werden. Auch hier wechselt die Fokalisierung zwischen den einzelnen Figuren hin und her, was die grundsätzlich stereotype Figurenzeichnung aber nicht überwindet.
2.2.3 Serielle Jugendliteratur
Die Einfachheit der Erzählmuster gilt einmal mehr für Mayers serielle Jugendliteratur, insbesondere in Die Mädchen von der Pferderanch (2010), Die Pferdeflüsterer-Academy (seit 2018) und die unter dem Pseudonym Luzie Bosch veröffentlichte Serie Sunshine Ranch (seit 2015), die sich in die typische an Mädchen adressierte Pferdeliteratur einzuordnen sind. Hier wächst sich die Einfachheit zur seriellen Schemaliteratur aus, die auf Unterhaltungsbedürfnisse junger Leserinnen abgestellt sind.
Ein Vorläufer der aktuellen populären Serie Die Pferdeflüsterer-Academy, die Mayer seit 2018 publiziert, sind die zwei Bände von Die Mädchen von der Pferderanch (2010). Es handelt sich hierbei um ein Hybrid aus Pferde- und Kriminalgeschichte mit problemorientierten Zügen. Im ersten Band Eine Chance für Britt ist der Handlungsauslöser die plötzliche Verarmung der Eltern der Protagonistin Britt. Der Vater wird arbeitslos, die Familie muss umziehen. Auf der nahegelegenen Ranch findet sie nach dem Umzug neue Freunde. Doch ein böser Tierarzt vergiftet die Pferde, um auf diese Weise an die Ranch zu gelangen. Britt kommt ihm gemeinsam mit ihrem Freund Bastian auf die Spur, worauf ein konstruiertes Happy End folgt: Britts Vater bekommt Arbeit auf der Ranch und alle sind glücklich.
Mit der später erschienen Serie Die Pferdeflüsterer-Academy stellt Gina Mayer einmal mehr ihre Fähigkeit zur Massenproduktion bzw. als Vielschreiberin unter Beweis: Allein 2018 erscheinen die ersten drei Bände, bis 2020 liegen nunmehr sieben Stück vor. Verflochten sind hier thematisch Liebe und Pferde. Im Zentrum steht Zoe, die eine erfolgreiche Flötistin ist und mit Pferden eigentlich nichts am Hut hat. Die Handlung ist in Kanada angesiedelt. Dort liegt das Reiter-Elite-Internat "Snowfields", in dem "die besten Reiter der Welt ausgebildet und tief verletzte Pferdeseelen geheilt" (Klappentext, Band 1) werden. Nach einem Burnout begleitet Zoe ihre beste Freundin Kim dorthin, die als Reiterin in Snowfields ausgebildet werden möchte. Doch dann zähmt Zoe dort mit ihrem Flötenspiel den wilden Hengst Shaman, und so entwickelt sie sich von der Flötistin zur Reiterin und Pferdflüsterin, womit ein typisch-klischeehaftes Element von Tierfreundschaftsgeschichten bedient wird: Die einzigartige, zur Magie hochstilisierte Beziehung zwischen Kind und Tier, wie wir sie in Lassie, Flipper und unzähligen anderen Kindergeschichten finden. Der Freundschaft zwischen Mädchen und Pferd haftet im ersten Band auch deshalb etwas Magisch-Phantastisches an, weil die intern fokalisierte Geschichte Zoes von in Kursivdruck abgesetzten Einschüben unterbrochen ist, in denen das Pferd sich in Rückblenden an die eigenen Erlebnisse erinnert und die sein aktuell unbändiges Verhalten erklären. Lesen lassen sich die Bände als Fortschreibung tradierter populärer Muster, wie sie sich seit der Backfischliteratur in der sog. Mädchenliteratur finden.
Unter dem Pseudonym Sara Oliver veröffentlicht Gina Mayer zudem seit 2017 die Welten-Trilogie, in der sie erstmalig in der Jugendliteratur fantastische Elemente aufgreift, indem sie eine Liebesgeschichte entwirft, die sich in Paralleluniversen abspielt. Ve und Nicky sind Doppelgängerinnen, aber sie leben in unterschiedlichen Welten. Durch ein Portal gelangt Ve in das Paralleluniversum, in dem es Doppelgänger derselben Menschen gibt, die sie auch aus ihrem Universum kennt, nur haben sie andere Entscheidungen getroffen, sind andere Lebenswege gegangen als ihre Gegenstücke aus Ves Welt. So ist z.B. Ves Mutter, eine toughe und erfolgreiche Karrierefrau, hier eine lebensunfähige Trinkerin. Diese narrative/diegetische Konstruktion wirft spannende philosophische Fragestellungen auf, die der Text aber kaum vertieft und auch nicht psychologisch aufbereitet. Dominant ist vielmehr die Liebesgeschichte zwischen Ve und ihrem Freund Finn, der sich in der Parallelwelt auch ganz anders verhält als in der Primärwelt.
Ebenso fantastische Erzählwege beschreitet Mayer nun aktuell in ihrer an Jugendliche adressierten Serie Internat der bösen Tiere – Die Prüfung (Band 1, Die Prüfung, 2020), in dem Tiere auftreten, mit denen der Protagonist Noah mittels Gedankensprache kommuniziert. Hier avanciert eine Gorilladame zur Krankenschwester, ein Skorpion zum Fremdenführer und eine Würgeschlange zur Schuldirektorin, die das Internat der bösen Tiere leitet, in dem Noah strandet. Erneut setzt Mayer auf spannende Unterhaltung und eine handlungsstarke Geschichte, die am Erzählmuster der Heldenreise orientiert ist, die im ersten Band aufgrund der serielle angelegten Geschichte erst in Grundzügen entfaltet wird.
3. Rezeption
Populärrezeption
Fast alle Titel Mayers sind bei Ravensburger erschienen. Ausnahmen sind nur Alle Augen auf dich (2013) und In guten wie in toten Tagen (2014), die bei Script 5 (zum Loewe Verlag zugehörig) vorliegen.
Gina Mayer ist eine populäre und insbesondere bei Kindern und Jugendlichen beliebte Autorin, wie zahlreiche Online-Rezensionen von Kindern und Jugendlichen belegen. Da liest man etwa:
Ich liebe Gina Mayers Kinderbücher, die es immer wieder schafft, in ihren Geschichten zu vermitteln, wie wichtig es ist, auf sich selbst zu hören.
Für Die Schattenbande legt los erhielt sie den "Leipziger Lesekompass 2014" der Stiftung Lesen, Die verlorenen Schuhe waren nominiert für den rheinland-pfälzischen Jugendbuchpreis 2011 (vgl. https://ginamayer.de/awards, hier auch weitere Nominierungen und Förderungen).
2019 bekam Gina Mayer den Leseknirps des Monats November 2019 der Germanistischen Seminars der Universität Siegen für ihr Erstlesebuch Der magische Blumenladen. Das geheimnisvolle Mädchen. Im Jahr 2020 erhielt sie den Zürcher Kinderbuchpreis für den ersten Band des Internats der bösen Tiere (vgl. https://www.buchreport.de/news/der-zuercher-kinderbuchpreis-2020-geht-an-gina-mayer/)
Festzuhalten ist, dass ihre Texte eher Mädchen ansprechen als Jungen und die weiblichen Protagonistinnen durchweg deutlich in der Überzahl sind. Eine Ausnahme bildet der Auftakt der neuen Jugendserie Internat der bösen Tiere (2020) mit dem männlichen Protagonisten Noah.
Wissenschaftliche Rezeption
In der KJL-Forschung spielen die Texte Gina Mayers eine marginale Rolle. Einzig Die verlorenen Schuhe hat viel Beachtung erfahren. So wird Mayer durch diesen zeitgeschichtlichen Roman mit Kirsten Boie in eine Reihe gestellt; ihm ist eine ganze Buchpublikation gewidmet (Ächtler/Rox-Helmer 2013). Ihr Text ist hier als jener gekennzeichnet, der "den klassischen Formen historischen Erzählens enger verbunden ist" (Ächtler 2013, S. 42) als der Roman Ringel, Rangel, Rosen von Kirsten Boie, der in der interdisziplinär angelegten Publikation von Ächtler und Rox-Helmer Mayers Verlorenen Schuhen vergleichend gegenübergestellt ist. Ächtler ordnet Die verlorenen Schuhe als klassischen "realistischen historischen Roman" (ebd.) ein, der mit einem "kohärenten wie spannenden Aufbau mit einer unkomplizierten Erzählstruktur und reichlich Zeitkolorit" (ebd., S. 43) aufwartet. Aus Historikerinnen-Perspektive wird Mayers Jugendroman positiv beurteilt:
Man mag manche Pauschalisierung in der historischen Darstellung des Romans kritisieren und die Einbettung mancher historischer Details für zu konstruiert halten, wichtiger ist jedoch, dass Gina Mayer denjenigen ihre Erzählkraft geliehen hat, denen bislang selten Gehör geschenkt wurde: den Kindern und Jugendlichen um 1944/45, die in diese Zeit hineingeboren wurden und sich zurechtzufinden hatten (van Laak 2011, S. 93).
Allerdings erkennt auch van Laak eine Stereotypisierung in der Darstellung: "die Amerikaner als 'die Guten', die Rotarmisten als 'die Bösen'" (ebd., S. 101). Mayer ordne, so van Laak,
die Erzählstränge dem 'master narrative' einer Erfolgsgeschichte unter. Die Mädchen Inge und Wanda müssen von den heranrückenden Truppen der Roten Armee fliehen und sich damit auf eine individuelle Entwicklungsreise begeben. Diese trägt zwar Züge einer Emanzipationsgeschichte in sich, doch mündet diese – ganz traditionell und damit leider stereotyp – in der Wiederaufnahme oder Erneuerung familiärer Bindungen. (ebd., S. 101)
Im Autoreninterview, das den Band von Ächtler und Rox-Helmer abschließt, betont Mayer sowohl die große Bedeutung intensiver Recherchearbeit beim Verfassen historischer Romane als auch die Adressatenspezifik, welche auch Rox-Helmer als Kristallisationspunkt bezeichnet:
Wenn ich einen Jugendroman schreibe, müssen die Hauptfiguren ungefähr in dem Alter der Zielgruppe sein, das ist klar. Vorzugsweise immer ein bisschen älter als die primären Adressaten. Liebe, das Interesse am anderen Geschlecht oder die erwachsende Sexualität und all das sind zentrale Themen von Jugend, egal in welchem Jahrhundert. Eine Liebesgeschichte einzubauen finde ich sehr realistisch, das kann man nicht rauslassen. Und es ist spannend, eine Liebesbeziehung vor einem historischen Hintergrund zu entfalten,
so Mayer im Interview (in Ächtler/Rox-Helmer 2013, S. 165).
Holger Zimmermann nennt Die verlorenen Schuhe aufgrund der anfänglichen Hinwendung zur NS-Ideologie der Figur Inge als eines der wenigen Textbeispiele für das Erzählen aus Täterperspektive in der NS-KJL, wobei er Inge als Opfer unter den Tätern einordnet (Zimmermann 2011, S. 35)
Wenngleich alle Autorinnen und Autoren die tradierten Erzählmuster feststellen, die Mayer in Die verlorenen Schuhe nutzt, ist insgesamt dennoch festzuhalten, dass der Roman erstaunlich hohe Resonanz in wissenschaftlichen Publikationen gefunden hat (Ächtler/Rox-Helmer 2013, Jung 2018, Rox-Helmer 2019).
Zu den Verlorenen Schuhen hat der Ravensburger Verlag parallel mit der gekürzten Taschenausgabe Materialien zur Unterrichtspraxis veröffentlicht (Kumschlies/Müller 2011), die Kopiervorlagen zum handlungs- und produktionsorientierten Umgang mit dem Jugendroman in der Sekundarstufe I vorschlagen. So hat sich der Roman auch als Schullektüre etabliert.
Auch Die Schattenbande wird als Lektüre im Literaturunterricht empfohlen und bekommt im Kontext des historischen Kriminalromans besondere Aufmerksamkeit (vgl. hier Mikota/Schmidt 2020). Der Serie wird eine Nähe zu Kästner attestiert, was im Literaturunterricht auch in Verbindung mit Literaturgeschichte diskutiert werden kann. Die Anlage der Figuren ermöglicht eine genaue Figurenanalyse in niedrigeren Schulstufen etwa in Form von Lexikonartikeln (vgl. Mikota 2016).
4. Literaturverzeichnis
Primärliteratur
- Bosch, Luzie (2015): Die Sunshine Ranch. Sina auf heißer Spur. Ravensburg: Ravensburger.
- Bosch, Luzie (2015): Die Sunshine Ranch. Tori und die gestohlene Stute. Ravensburg: Ravensburger.
- Bosch, Luzie (2015): Die Sunshine Ranch. Falsches Spiel mit Hannah. Ravensburg: Ravensburger.
- Bosch, Luzie (2015): Die Sunshine Ranch. Myriams letzte Chance. Ravensburg: Ravensburger.
- Bosch, Luzie (2015): Die Sunshine Ranch. Juliane und der schwarze Reiter. Ravensburg: Ravensburger.
- Bosch, Luzie (2015): Die Sunshine Ranch. Ein Fall für Ayla. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2006): Das Mädchen ohne Gedächtnis. Düsseldorf: Patmos Verlag.
- Mayer, Gina (2008): Die falsche Schwester. Düsseldorf: Sauerländer.
- Mayer, Gina (2009): Mörderkind. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2010): Die verlorenen Schuhe. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2010): Die Mädchen von der Pferderanch. Eine Chance für Britt. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2010): Die Mädchen von der Pferderanch. Celines größter Sieg. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2010): Die Mädchen von der Pferderanch. Vivian und die Pferdeflüsterin. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2011): Die Wildnis in mir. Stuttgart/Wien: Thienemann.
- Mayer, Gina (2013): In guten wie in toten Tagen. Bindlach: Script 5.
- Mayer, Gina (2013): Morgen wirst du sterben. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2013): Küssen auf Amerikanisch. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2014): How to catch a star. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2014): Alle Augen auf dich. Bindlach: Script 5.
- Mayer, Gina (2015): Verliebt in Amsterdam. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Die Pferdeflüsterer- Academy. Reise nach Snowfields. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Die Pferdeflüsterer- Academy. Ein geheimes Versprechen. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Die Pferdeflüsterer- Academy. Eine gefährliche Schönheit. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Die Pferdeflüsterer-Academy. Verletztes Vertrauen. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gins (2018): Die Pferdeflüsterer-Academy. Zerbrechliche Träume. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Die Pferdeflüsterer-Academy. Calypsos Fohlen. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Die Pferdeflüsterer-Academy. Flammendes Herz. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2016): Der magische Blumenladen: Ein Geheimnis kommt selten allein. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2016): Der magische Blumenladen: Ein total verhexter Glücksplan. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2016): Der magische Blumenladen: Zaubern ist nichts für Feiglinge. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2016): Der magische Blumenladen: Die Reise zu den Wunderbeeren. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2017): Der magische Blumenladen: Die verzauberte Hochzeit. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2017): Der magische Blumenladen: Eine himmelblaue Überraschung. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Der magische Blumenladen: Das verhexte Turnier. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Der magische Blumenladen: Fabelhafte Ferien. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2019): Der magische Blumenladen: Der gefährliche Schulzauber. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2019): Der magische Blumenladen: Ein Brief voller Geheimnisse. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2020): Der magische Blumenladen: Hilfe per Eulenpost. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Der magische Blumenladen: Ein zauberhafter Adventskalender. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2019): Der magische Blumenladen für Erstleser. Band 1: Die verschwundenen Katzen. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2019): Der magische Blumenladen für Erstleser. Band 2: Das geheimnisvolle Mädchen. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2020): Der magische Blumenladen für Erstleser. Band 3: Der verzauberte Esel. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2020): Der magische Blumenladen für Erstleser. Band 4: Die gestohlene Freundin. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Das Hotel der verzauberten Träume: Anabells Tagebuch. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Das Hotel der verzauberten Träume: Fräulein Apfels Geheimnis. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2018): Lila und Zausel. Der zauberhafte Ponyhof. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2019): Lila und Zausel. Ein Pony in Gefahr. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2019): Lila und Zausel. Ein Einhorn verschwindet. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2020): Das Internat der bösen Tiere. Die Prüfung. Band 1. Ravensburg: Ravensburger.
- Mayer, Gina (2020): Das Internat der bösen Tiere. Die Falle. Band 2. Ravensburg: Ravensburger.
- Oliver, Sara (2016): Gefangen zwischen den Welten. Ravensburg: Ravensburger.
- Oliver, Sara (2017): Verloren zwischen den Welten. Ravensburg: Ravensburger.
- Oliver, Sara (2017): Zerrissen zwischen den Welten. Ravensburg: Ravensburger.
- Reifenberg, Frank/Mayer, Gina (2014): Die Schattenbande: Die Schattenbande legt los. München: Oetinger.
- Reifenberg, Frank/Mayer, Gina (2014): Die Schattenbande: Die Schattenbande jagt den Entführer. München: arsEdition.
- Reifenberg, Frank/Mayer, Gina (2014): Die Schattenbande: Die Schattenbande in Gefahr. München: arsEdition.
- Reifenberg, Frank/Mayer, Gina (2015): Die Schattenbande: Die Schattenbande und die große Verschwörung. München: arsEdition.
- Reifenberg, Frank/Mayer, Gina (2015): Die Schattenbande: Die Schattenbande hebt ab. München: arsEdition.
- Prechtel, Florentine/Mayer, Gina (2018): Nixe Lulu und die Meerhexe. Ravensburg: Ravensburger.
Sekundärliteratur
- Ächtler, Norman/Rox-Helmer, Monika (Hrsg.) (2013): Zwischen Schweigen und Schreiben. Interdisziplinäre Perspektiven auf zeitgeschichtliche Jugendromane von Kirsten Boie und Gina Mayer. Reihe: Literarisches Leben heute, hrsg. von Kai Bremer. Frankfurt a.M. u.a: Peter Lang.
- Jung, Britta C. (2018): Komplexe Lebenswelten – multidirektionale Erinnerungsdiskurse. Göttingen: V&R unipress.
- Kumschlies, Kirsten/ Müller, Sandra (2011): Materialien zur Unterrichtspraxis: Gina Mayer: Die verlorenen Schuhe. Hrsg. von Birgitta Reddig-Korn. Ravensburg: Ravensburger.
- Lexe, Heidi (2003): Pippi, Pan und Potter. Zur Motivkonstellation in den Klassikern der Kinderliteratur. Praesens: Verlag für Literatur- und Sprachwissenschaft.
- Mikota, Jana (2016): Die Schattenbande legt los. Ein Lexikon zu einer Kriminalserie. In: Anders, Petra/Staiger, Michael (Hrsg.): Serialität in Literatur und Medien. Band 2. Modelle für den Deutschunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. S. 78-87.
- Mikota, Jana/Schmidt, Nadine J.: Kriminalromane für ein junges Lesepublikum. Siegen: universi 2020 (i. Vorb.)
- O.V.: Der Zürcher Kinderbuchpreis 2020 geht an Gina Mayer. in. buchreport.de. 21.09.2020. URL https://www.buchreport.de/news/der-zuercher-kinderbuchpreis-2020-geht-an-gina-mayer/ (26.10.2020)
- Rox-Helmer, Monika (2019): Der historische Jugendroman als geschichtskulturelle Gattung. Fiktionalisierung von Geschichte und ihr didaktisches Potenzial. Frankfurt a.M: Wochenschau Verlag.
- Van Laak, Jeanette (2013): Historische Diskurse in Jugendromanen. Eine exemplarische Analyse zu den Romanen Die verlorenen Schuhe und Ringel, Rangel, Rosen. In: Ächtler, Norman/Rox-Helmer, Monika (Hrsg.): Zwischen Schweigen und Schreiben. Interdisziplinäre Perspektiven auf zeitgeschichtliche Jugendromane von Kirsten Boie und Gina Mayer. Reihe: Literarisches Leben heute, hrsg. von Kai Bremer. Frankfurt a.M. u.a: Peter Lang. S. 103-114.
- Zimmermann, Holger (2011): "Blumen für den Führer" – Kinder- und Jugendbücher aus Täterperspektive. In: kjl&m 11.3, S. 31-38.
Internet
- Website der Autorin: www.ginamayer.de (15.10.2020)