- Entstehung und Rezeption
- Zur Deutung der Hauptfiguren
- Fantastiktheoretische Dimensionen
- Sozialgeschichtlicher und politischer Hintergrund
- Illustrationen
- Intertextuelles Spiel
- Das Sams auf der Bühne
- Das Sams in Hörspiel, Hörbuch und Film
- Sprache, Komik und Lyrik
- Übersetzungen
- Das Sams in der Schule
- Literatur und Wirklichkeit
Germanistik oder Kunst?
„Nach dem Abitur stand ich vor der Frage, ob ich ein Germanistik- oder ein Kunststudium beginnen solle. Ich entschied mich für Letzteres, wurde Student in einer Malklasse der Akademie Stuttgart – und begann zu schreiben“ (Maar 2007, 13), so erläutert Paul Maar seinen Werdegang, den man als paradox bezeichnen könnte – oder doch eher als Ausdruck einer Doppelbegabung. Denn Maar ist bis heute nicht nur Verfasser, sondern darüber hinaus Illustrator vieler seiner Bücher. „Als junger Autor hatte ich das Gefühl“, so berichtet er, „dass nur ich allein wissen könne, wie die von mir erfundenen Figuren aussahen, und dass folglich nur ich selbst sie darstellen könne. Ich hatte ja meine Protagonisten beim Schreiben plastisch vorm inneren Auge gesehen, etwa Herrn Taschenbier aus den Sams-Geschichten“ (Maar 2007, 34f.). Dementsprechend hat Maar das Sams im Romantext ausführlich beschrieben und nach diesem Plan gezeichnet:
Da war einmal der Kopf: zwei freche, flinke Äuglein, ein riesiger Mund, so groß, dass man fast Maul sagen musste, und anstelle der Nase ein beweglicher kurzer Rüssel. Sein breites Gesicht war übersät mit großen blauen Punkten. Aus den feuerroten Haaren, die wie Stacheln eines Igels nach oben standen, schauten zwei abstehende Ohren.
Und so sah der Körper aus, auf dem dieser Kopf saß: Zuerst fiel der grüne, prallrunde Trommelbauch auf, weil er so groß war. Die Arme und die Hände waren die eines Kindes, die Füße dagegen erinnerten an vergrößerte Froschfüße. Brust und Bauch waren glatt und grün, der Rücken rot behaart wie bei einem jungen Orang-Utan. (Maar 1973, 16f.)
Zu einem besonders wichtigen Detail, den blauen Wunschpunkten, erläutert Paul Maar im Interview:
Wenn ich eine Figur erfinde, male ich sie mit Wasserfarbe und hänge sie auf. Ich hatte gerade den blauen Taucheranzug gemalt, als das Telefon klingelte und ein Buchhändler mich zu einer Lesung überreden wollte. Als ich wieder an den Platz kam, dachte ich, dass das Sams vielleicht mit ein paar Sommersprossen frecher aussehen würde. Ich tauchte also meinen Pinsel in Ocker und begann Sommersprossen zu malen. Die ersten waren ockerfarben, doch dann setzte sich das Blau durch – ich hatte vergessen, den Pinsel auszuwaschen. Und ich dachte: Warum soll es keine blauen Sommersprossen haben? Das wurden dann die Wunschpunkte. (Cassier/Stuff 2007)
„Anregungen aus der Comic-strip-Literatur“
Bei den Illustrationen handelt es sich um „Federzeichnungen, deren Grundtechnik das Zeichnen von Linien und Strichen ist. Maar gestaltet seine Illustrationen detailreich und wirklichkeitsnah, wie es für den Illustrationsstil des 19. Jahrhunderts typisch ist“, schreibt Jutta Hanner (2021, 164). Entscheidend sind allerdings Struktur und Anordnung der einzelnen Bilder, die weder charakteristisch für das Kinderbuch der 60er oder 70er Jahre sind noch traditionell anmuten. Paul Maar selbst beschreibt den Stil in einem Brief an das Lektorat des Oetinger Verlags, der zwar undatiert ist, jedoch aus dem Jahr 1971 stammen dürfte:
Ich bin gespannt, wie es mir mit meinen Sams-Illustrationen ergeht. Ich habe mir nämlich viele Anregungen aus der Comic-strip-Literatur geholt und oft größere Bilder aufgelöst in eine Folge von Einzelbildern oder in einem Bild Ausschnitte, Teilaspekte zu einem neuen Bild gruppiert und oft Bilder – wie bei den comics – durch ein strenges Viereck gerahmt. Man ist ja als Maler viel weniger objektiv als beim Schreiben.
In jedem Fall kann man davon ausgehen, darauf weist Jana Mikota (2019, 287) hin, „dass insbesondere auch die Illustrationen zur Beliebtheit [der Sams-Romane] beigetragen haben“. Während die Covergestaltung seit dem ersten Erscheinen des ersten Bandes 1973 farbig ist und meist eine Panelstruktur besitzt, die auf bestimmte Szenen des Romans vorausweist, wurden die Illustrationen im Buchinneren anfangs schwarz-weiß wiedergegeben.
Cover der Erstausgabe von 1973
mit Illustrationen von Paul Maar
Das Sams in Farbe
Erst 2011 weist der Autor in einem Brief an die Verlegerin Silke Weitendorf (2012, 74f.) darauf hin, „dass farbig illustrierte Bücher im Trend sind, und einfarbige eher ‚altmodisch‘ erscheinen. […] Wäre es nicht an der Zeit, auch die Innenillustrationen farbig zu machen? Ich hätte große Lust dazu.“ Sams im Glück ist dann der erste Band, der komplett in Farbe erscheint.
Wenn Paul Maar betont, nicht das Sams, sondern Herr Taschenbier sei die zentrale Figur der Romane, so spiegelt sich dies zudem in den Illustrationen wider, vor allem in jenen des ersten Bandes. Noch vor dem ersten Wort sieht man Herrn Taschenbier altmodisch, aber schick gekleidet auf einem Stuhl sitzen, zugeordnet sind ihm ein Waschbecken als Symbol der Reinlichkeit sowie – ordentlich gerahmt – die erste Zeile aus Ludwig Höltys Gedicht Der alte Landmann an seinen Sohn: „Üb immer Treu und Redlichkeit“. Taschenbier wird auf diese Weise als Biedermann charakterisiert. Mikota (2019, 294) weist außerdem darauf hin, dass in dieser ersten Zeichnung „sein Blick ins Leere“ gleitet, er wirke „einsam und traurig“.
Das Sams ist auch auf der Ebene der Bildkomposition als Gegenentwurf angelegt, der traditionellen Kleidung Taschenbiers wird die Nacktheit des Sams, Taschenbiers Beherrschtheit dessen Zügellosigkeit entgegengestellt, wenn es auf den zentralen Zeichnungen des ersten Bandes als „Viel- und Allesfresser“ (Mikota 2019, 296) gezeigt wird.
aus: Eine Woche voller Samstage (1973)
Illustration von Paul Maar © Oetinger
Mit dem Auftauchen des Sams ändert sich allerdings Herrn Taschenbiers Blick, er „wirkt nicht mehr leer, er schaut fürsorglich und sogar lächelnd auf das Sams, das in seinen Armen liegt“. In den Abbildungen werde, so Mikota (2019, 294f.), das „liebevolle Miteinander“ zwischen Sams und Taschenbier betont, das eine – mit Blick auf die Entstehung in den 1970er Jahren – ungewöhnliche und neue Vaterrolle zeigt (vgl. Sina 2013). Eine besondere Charakterisierung lässt auch die karikierende Darstellung von Frau Rotkohl erkennen, die, wenn sie Herrn Taschenbiers Zimmer saubermachen möchte, geradezu militärisch wirkt und mit Schrubber und Eimer bewaffnet in das Territorium ihres Untermieters einmarschiert.
Noch 2016 behauptet Mareile Oetken zu Recht, dass Maar die Illustration der Sams-Bücher nie an andere abgegeben und gleichsam zur „Chefsache“ erklärt habe. Obwohl sich der „Lebensalltag der Zielgruppe“ massiv verändert hat, stehe das Sams
unbeeindruckt davon […] mit blauem Taucheranzug und grüngelben Streifen, den flammendroten Haaren und den blauen Wunschpunkten in kraftvollen Kontrasten, unproportioniert, übergewichtig und fröhlich grinsend und mit seinen breiten Flossenfüßen fest verankert in dieser Welt voll dynamischer Umwälzungen und reißt mit seiner Vitalität die Couchpotatoes, die Zögerlichen und Mutlosen einfach mit. (Oetken 2016, 136f.)
Nina Dulleck illustriert
Doch bereits ein Jahr später, anlässlich des 80. Geburtstags von Paul Maar, entscheidet der Oetinger Verlag, alle Bände von Nina Dulleck illustrieren zu lassen, als erster Roman im neuen Gewand erscheint 2017 Das Sams feiert Weihnachten.
Cover der Erstausgabe von 2017
mit Illustrationen von Nina Dulleck
Marvin Madeheim (2017) stellt die beiden Illustrationsstile in einer vergleichenden Analyse der Abbildungen zum ersten Band einander gegenüber und hebt zunächst hervor, dass sich beim Sams, das zwischen Mensch und Tier changiert, der Fokus verschoben habe: „Wo Maars Darstellungen primär Nacktheit und die Ähnlichkeit zum Tier hervorheben, zeigen Dullecks Illustrationen das Sams als frechen Jungen“, also als Menschen.
aus: Eine Woche voller Samstage (2017)
Illustration von Nina Dulleck © Oetinger
Madeheim vergleicht aber auch die Abbildung des Studienrat Groll, der bei Maar als Parodie auf eine Lehrergeneration ausfällt, die den Unterricht totalitär gestaltet. In der Illustration unterstreicht Maar seine Kritik, indem er ihm nicht nur in der Frisur eine deutliche Ähnlichkeit mit Adolf Hitler verleiht (vgl. Wozilka 2005, 71), während Dulleck in der Schulszene das Sams und die Kinder hervorhebt. Madeheim beklagt, dass in Dullecks Zeichnungen die Mehrschichtigkeit sowie der Anspielungsreichtum wegfallen, die Maars Illustrationen ausmachen, und kommt zu dem Schluss:
Sozialgeschichtliche und gesellschaftspolitische Bezüge, wie sie bei Maar zu finden sind, fehlen [bei Dulleck] ganz. Die neuillustrierte Auflage von Maars Roman wird so zu einem Kinderbuch, welches wenig Platz für die Erwachsenen lässt. Obgleich es Kindern mit den verniedlichten Darstellungen leichter fallen wird, Gefallen am Sams zu finden, verliert das Buch doch im Gegenzug an illustratorischer Qualität. (Madeheim 2017)
Auch bei der Rezensentin der ZEIT kommt die neue Bebilderung weniger gut an, das Sams wirke wie „durch die Niedlichkeitsmühle gedreht“, kommentiert Stefanie Flamm (2018), die geradezu in Wut gerät: „[A]us dem eher unansehnlichen Quälgeist [ist] ein niedliches Frätzchen geworden, das mit einem dynamischen Lächeln über die Seiten federt. Meine Kinder finden das neue Sams ‚supersüß‘. Ich finde es schrecklich.“ Paul Maar selbst antwortet auf die Frage, wie ihm die Illustrationen Nina Dullecks im Vergleich zu seinen eigenen gefallen:
Nina bringt – wörtlich – eine neue Farbe in den Sams-Kosmos und trifft den Geschmack heutiger Kinder mehr als meine Bücher. Eine typische Situation: Nach einer Lesung strömen die Kinder zum Büchertisch und greifen nach den Dulleck-Büchern, aber die Mutter sagt: „Nein, wir kaufen das hier. Das habe ich als Kind schon geliebt“. Auf diese Weise finden auch meine Bücher noch Käuferinnen. (Stierstorfer 2023)
Mittlerweile sind alle elf Romane sowohl mit den Illustrationen Paul Maars als auch mit jenen Nina Dullecks auf dem Markt, jede und jeder darf sich also für die präferierte Version entscheiden – oder einfach beide Varianten lesen.
Literatur
- Maar, Paul: Eine Woche voller Samstage. Hamburg: Oetinger 1973.
- Maar, Paul: Vom Lesen und Schreiben. Reden und Aufsätze zur Kinderliteratur. Hamburg: Oetinger 2007.
- Cassier, Philip und Britta Stuff: So kam das Sams zu seinen Punkten. Interview mit Paul Maar. In: Die Welt vom 11.5.2007. URL: https://www.welt.de/kultur/article864782/So-kam-das-Sams-zu-seinen-Punkten.html.
- Flamm, Stefanie: Büüüargh! Von der Biene Maja bis zum Sams. In: Die ZEIT (2018) 3.
- Hanner, Jutta: Im Bilde. Zu den Illustrationen von Paul Maar in seinen Kinderromanen. In: Vom Sprachmeertauchen und Wunschpunkterfinden. Beiträge zu kinderliterarischen Erzählwelten von Josef Guggenmos und Paul Maar. Hg. v. Gabriele von Glasenapp, Claudia Maria Pecher und Martin Anker. Schneider: Baltmannsweiler 2021. S. 161-178.
- Madeheim, Marvin: Maar, Paul: Eine Woche voller Samstage. Die Illustrationen von Paul Maar und Nina Dulleck im Vergleich. 2017. In: https://www.kinderundjugendmedien.de/index.php/werke/2169-eine-woche-voller-samstage-die-illustrationen-von-paul-maar-und-nina-dulleck-im-vergleich.
- Mikota, Jana: „Das Mehrfachtalent“. Paul Maars Illustrationen im Kontext der Debatten um „Klassiker“ der Kinderliteratur. In: Bilder zu Klassikern. Hg. v. Ute Dettmar, Claudia Maria Pecher und Martin Anker. Schneider: Baltmannsweiler 2019. S. 287-305.
- Oetken, Mareile: „Am Anfang steht fast immer das Bild …“. Der Zeichner und Illustrator Paul Maar. In: Paul Maar. Bielefelder Poet in Residence 2015. Paderborner Kinderliteraturtage 2016. Hg. v. Petra Josting und Iris Kruse. München: kopaed 2016. S. 135-145.
- Sina, Kai: Fremdes Kind – Neuer Mann: Das Sams als eine Verhaltenslehre der Wärme. In: Unter dem roten Wunderschirm. Lesarten klassischer Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Christoph Bräuer und Wolfgang Wangerin. Göttingen: Wallstein 2013. S. 181-198.
- Stierstorfer, Michael: Interview mit Paul Maar (2023). URL: https://www.kinderundjugendmedien.de/interviews/6721-interview-mit-paul-maar.
- Weitendorf, Silke: Lieber Paul. Eine Hommage in Briefen zum 75. Geburtstag von Paul Maar. Hamburg: Oetinger 2012.
- Wozilka, Jenny: Komik und Gefühl in der Kinderliteratur. Baltmannsweiler: Schneider 2005.
[Der Abdruck des Auszugs aus der Verlagskorrespondenz erfolgt mit freundlicher Genehmigung Paul Maars sowie der Silke Weitendorf Stiftung.]
So zitieren Sie diesen Text:
Andreas Wicke: Fünfzig Jahre voller Samstage. Paul Maars Sams-Romane (2023). URL: https://sams.kinderundjugendmedien.de/